WEIMAR. (fgw) Wer war Eduard Fuchs? Ein “Kunstsammler und Zeitkritiker”, so zumindest faßt Heiner Jestrabek seine “biographisch-politische Skizze” über Eduard Fuchs zusammen. Und bei beidem kann man nur von “understatement” sprechen. Dazu unten mehr. Was vermittelt uns Jestrabek über Eduard Fuchs? Wie ist das Leben dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit zwischen Geburt am 31. Januar 1870 in Göppingen und Tod im Pariser Exil am 26. Januar 1940 verlaufen? Was hat Fuchs hinterlassen, was bleibt von seinem Werk?
Dem Rezensenten ist der Name Fuchs erstmals in der ersten Hälfte der 1980er Jahr während seines Studiums der Kulturwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität begegnet. In den Lehrveranstaltungen zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung war das und Dozent Dr. Horst Groschopp war es, der hier Eduard Fuchs erwähnte und würdigte. Insbesondere dessen Hauptwerk, die “Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart”, aber auch Fuchsens diverse Werke zur Geschichte der Karikatur. In den 1990er Jahren dann bekam der Verfasser dieser Zeilen viele der genannten Fuchs-Bücher in Westberliner Antiquariaten zu Gesicht.
Wer also war Eduard Fuchs? Fuchs wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf, doch schon in jungen Jahren schloß er sich der während des Bismarck’schen Sozialistengesetzes illegalisierten Sozialdemokratie an. Als Sozialdemokrat gehörte er deren linkem Flügel an und wurde daher später auch Mitbegründer von Spartakusbund und Kommunistischer Partei (KPD). Unmittelbar nach deren Gründung reiste er im Auftrag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu W.I. Lenin nach Moskau. Mit Lenin wurde Fuchs übrigens bereits 1900 bekannt, als dieser im Münchner Exil lebte. Und Franz Mehring setzte ihn zu seinem Nachlaßverwalter ein. Später wurde Fuchs zum Kritiker Stalins und der Stalin’schen Politik; er schloß sich daher der KPD-Opposition an. Nach der Machtübertragung an Hitler raubten die Nazis sein Vermögen, viele Kunstwerke und vor allem Dokumente wurden von diesen vernichtet.
Doch Eduard Fuchs war nicht so sehr Parteipolitiker, sondern in erster Linie Publizist. Zunächst erwarb er sich große Verdienste als Redakteur linker Zeitungen und Zeitschriften. Frühzeitig begann er aber auch als Schrifsteller und Verleger zu arbeiten. Und schon in jungen Jahren legte er den Grundstein für seine seinerzeit berühmte Kunstsammlung, angefangen mit Karikaturen. So entwickelte sich Eduard Fuchs auch zu einem profilierten und weithin anerkannten Kulturhistoriker. Und bereits in den 1890er Jahren suchte er einen eigenen proletarischen Kulturbegriff zu entwickeln.
Da wundert es auch nicht, daß Fuchs frühzeitig aus der Kirche austrat und Freidenker wurde. So schrieb er 1899:
“Die Kirche hat einen guten Magen,
hat ganze Länder aufgefressen.
Und doch sich nie übergessen.
Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,
kann ungerecht Gut verdauen.”
Und da es wundert ebenfalls nicht, daß der Redakteur und Schriftsteller regelmäßig ins Visier der bigotten wilhelminischen Justiz geriet… Anklagen und Verurteilungen zu Haftstrafen wegen “Pressevergehen” und insbesondere wegen des Verstoßes gegen den (heute noch gültigen) Paragraphen 166 des Strafgesetzbuches (Gotteslästerung”) ereilten ihn ohne Unterlaß. Nebenbei, in der Weimarer Republik durfte Fuchs die Erfahrung von ungebrochener Kontinuität des Bündnisses von Klerus und Justiz machen, wenn es um Geistesfreiheit, um Kunstfreiheit ging.
Hierzu zitiert Jestrabek Fuchs aus dessen dreibändigen Reihe “Kultur- und Kunstdokumente” (1924) u.a. so: “Die religiösen Anschauungen der Völker sind nun einmal nichts anderes als die Projektion ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen an den Himmel. Dieser ist also nicht mehr als ein Spiegel; und aus einem Spiegel kann nur das Gesicht herausschauen, das in ihn hinschaut.”
Selbstverständlich legte sich Fuchs auch mit den reformistischen Führern der Nach-Bebel’schen SPD (“bürgerlich bereits im Kopf, Sozialist nur noch mit dem Hintern”) an, die er schon frühzeitig auch so kritisierte: “Der richtige Friedensfreund stößt auf dem Internationalen Kongress mit Champagner auf die Völkerverständigung an und stimmt zu Hause für das Militärbudget.” Dies schrieb er bereits 1897 und 1914 wurde das zur Realität, als die Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion für die Kriegskredite stimmte. Diese bittere Feststellung hat sogar zu Anfang der 21. Jahrhunderts nichts von ihrer Richtigkeit verloren.
Liest man Fuchs’ “Gedanken eines arbeitslosen Philosophen” aus dem Jahre 1896: “Kreta ist pacificiert, lese ich in den Zeitungen. Die Pacificierten thun gewiß keinen Seufzer mehr. O, über die schönen Fremdwörter!” – dann könnte man fast meinen, er habe prophetisch die “humanitären Interventionen” der Gemeinschaft der ehemaligen Kolonialmächte im Blick gehabt (Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien…)
Breiten Raum widmet Jestrabek in seinem Fuchs-Porträt den thematischen Karikaturenbänden:
“Die Karikatur der europäischen Völker”; “Die Frau in der Karikatur”; “Geschichte der erotischen Kunst”; “Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart” (drei Haupt- und drei Ergänzungsbände); “Der Weltkrieg in der Karikatur” sowie “Die Juden in der Karikatur”.
Jestrabek würdigt den Kunstsammler, Autor und Herausgeber Fuchs: “…zeigte sich Eduard Fuchs als historischer Optimist in der Tradition der Aufklärung, auch hinsichtlich seiner stetigen, historischen Kritik an Christentum und Kirche. (…) Einen Schwerpunkt bildte die volkstümliche Kritik am alles beherrschenden Klerus, die Reformation, Humanismus, die Zeit der Inquisitoren und die Perversionen der ‘Hexen’prozesse.” (S. 76)
Doch blieb Fuchs nicht an der Oberfläche stehen, denn so schreibt Jestrabek bei der Vorstellung der thematischen Karikaturenbände weiter: dieser “…reklamierte bei seinen kulturhistorischen Darstellungen der Kriegsgeschichte immer wieder die ökonomischen Ursachen und die Rolle des Geldes. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts sei das Papsttum der konkurrenzlose Beherrscher Europas gewesen. Nach dessen Schwächung durch die Reformation…” beherrschten die Kolonialmächte den Weltmarkt. “Krieg war nur Mittel zum Zweck, alle Kriege waren Handelskriege. Dies gelte auch bis in die jüngste Gegenwart.” (S. 77/78)
Insbesondere die “Sittengeschichte” sollte der größte Verkaufserfolg von Eduard Fuchs werden und ihm ab 1909 die finanzielle Unabhängigkeit sichern. Diese Edition trug ihm auch den Spitznamen “Sitten-Fuchs” ein.
Vorgestellt wird daneben auch die umfangreiche Kunstsammlung von Fuchs; allein seine Sammlung von Lithographen Honoré Daumiers belief sich auf über 6.000. Hinzu kamen fast 20.000 Handzeichnungen und Drucke anderer Künstler sowie eine Spezial-Bibliothek mit fast 8.000 Bänden.
Neues und vor allem unbekanntes erfährt der Leser in den Kapiteln über die Arbeit von Fuchs im Russischen Hilfsverein während des I. Weltkrieges, über die Mission bei Lenin im Jahre 1918 und über die Arbeit im Verein “Freunde des Neuen Rußland”.
Nicht zuletzt war Eduard Fuchs auch maßgeblich an der Gründung des Frankfurter “Instituts für Sozialforschung” im Jahre 1924 beteiligt.
Ausführlich geht Jestrabek dann auf den Bruch mit der KPD ein, hier erfährt der Leser auch viel wissenswertes über die KPD-Opposition und deren führende Köpfe; insbesondere über August Thalheimer. Gleiches gilt für den dokumentierten Briefwechsel mit David Rjasanow, dem Herausgeber der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe. Rjasanow fiel 1938 dem Stalin-Terror zum Opfer.
Lesenswert und zuzustimmen sind Jestrabeks Gedanken zu den Nachwirkungen des Schaffens von Eduard Fuchs, vor allem was die “eigenständigen Kulturbewegungen der Arbeiterbewegung” angeht. Er schreibt weiter: “Die kulturpolitischen Bemühungen von SPD und SED waren sich eigenartigerweise darin einig, überwiegend spießbürgerliche Moralbegriffe zu tradieren. Erst mit der sexuellen Emanzipationsbewegung ab Ende der 1960er Jahre gab es wieder vermehrtes Interesse an Fuchs’schen Themen.” (S. 143) Jestrabek hebt aber auch hervor, daß es noch Mitte der 1920er Jahre unter dem Einfluß von Lenin und Trotzki in der jungen Sowjetunion eine Vielfalt der künstlerischen Ideen und Meinungen gegeben habe.
Ein ausführlicher Anhang u.a. mit Selbstzeugnissen rundet das Fuchs-Porträt ab.
Auf die eingangs gestellten Fragen zur Person Eduard Fuchs schreibt Jestrabek zusammenfassend: “Das Gesamtwerk von Eduard Fuchs sollte so als Beitrag zu einer undogmatischen und aufklärerischen Kunsttheorie gesehen werden. (…) Seine aufwendig gestalteten illustrierten Kunst- und Geschichtswerke sind auch dem heutigen Leser uneingeschränkt zu empfehlen. (…) Eduard Fuchs gebührt das Verdienst, die Schönheit und Nützlichkeit der Kunst den um Menschlichkeit kämpfenden Zeitgenossen vermittelt zu haben und sie so für den noch lange nicht abgeschlossenen Emanzipationskampf der Menschheit gewonnen zu haben.” (S. 148)
Dem ist nichts hinzufügen!
Damit ist auch das erste understatement aufgeklärt, war doch Eduard Fuchs weitaus mehr als nur ein Kunstsammler und Zeitkritiker unter vielen anderen.
Zum zweiten understatement: In der ihm eigenen Bescheidenheit nennt Heiner Jestrabek eine “Skizze”. Doch seine bemerkenswerte und überaus empfehlenswerte Arbeit über Eduard Fuchs ist mehr als nur eine Skizze! Diese Schrift stellt eine gelungene und wissenschaftlichen Ansprüchen genügende kulturwissenschaftliche Arbeit dar. Vielleicht aber wollte der Autor mit dem Begriff “Skizze” hintersinnig jüngere Wissenschaftler anregen, sich ihrerseits des Fuchs’schen Werkes anzunehmen…
Heiner Jestrabek: Eduard Fuchs – Kunstsammler & Zeitkritiker. Eine biographisch-politische Skizze. 192 S. m.Abb. kart. edition Spinoza im Verlag freiheitsbaum. Reutlingen u. Heidenheim 2012. 14,00 Euro. ISBN 978-3-922589-53-1
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]