Eagles Of Death Metal live im Gasometer Wien
Ein Unsterblicher begleitet die Überlebenden auf die Bühne. Rund drei Monate nach dem Terroranschlag im Pariser Club Bataclan, dem die kalifornische Band im Gegensatz zu 89 Konzertbesuchern knapp entgangen ist, wippt Jesse Hughes zu Falcos Rock Me Amadeus unter tosendem Beifall in den Saal.
Schon da war klar: Die Eagles Of Death Metal haben ihren Witz nicht verloren. Die für viele überraschend früh wiederaufgenommene Europatournee gerät – zumindest vordergründig – nicht zur therapeutischen Verarbeitung der Erlebnisse, sondern hat ein einziges Ziel: To Have a Good Time.
Vergessen sind die Interview-Bilder die den schnauzbärtigen EODM-Sänger beim Versuch, über Paris zu sprechen, als schluchzendes Wrack zeigten. Vergessen auch seine jüngsten Aussagen, wonach jeder Waffen tragen dürfen sollte. Für viele hat sich der bekennende Republikaner damit um Kopf und Kragen geredet. Auch an diesem Gasometer-Abend redet er viel, doch der Inhalt ist meilenweit von Politischem entfernt. Vielmehr mimt Jesse den Gospel-Preacher, der in fiebrigen Wortschwallen die sexgeladene Magie der Musik beschwört. Vielleicht steckte hinter dieser Parodie mehr als nur eine Flause: Sie könnte auch als Flucht in die spirituelle Dimension des frühen Rock ’n‘ Roll gedeutet werden – oder schlicht zurück in eine Zeit, als Gut und Böse nicht weniger, aber noch säuberlich getrennt waren und die E-Gitarre einen Ausweg versprach.
Jesse wackelt mit dem Popo, fischt T-Shirts aus dem Publikum, lässt Girls and Boys zu einem Schrei-Contest antreten, flirtet wie üblich mit Mädels in den ersten Reihen – allerdings nicht ohne später seine Verlobung mit der am Keyboard stehenden Freundin Tuesday, die in Paris ebenfalls mit dabei war, zu verkünden. Auch die Band zeigt sich entspannt und gut gelaunt. Leadgitarrist Dave Catching, der mit weißem Rauschebart, Sonnenbrille und Holzhackerhemd mittlerweile aussieht wie ein Cousin von ZZ Top, greift nicht etwa zur Axt, sondern immer wieder zum Smartphone und hält abwechselnd das Publikum und seinen Sänger fest. An den Bühnenrändern ist Jesse nochmals zu bewundern, nämlich als Deckenhohe und ziemlich tuntige Uncle-Sam-Persiflage. Darunter steht nicht etwa „I Want You For U.S.Army“ sondern „I Only Want You“, gleichlautend mit einem der größten Hits der EODM und dem Opener dieses Abends. Einmal mehr fragt man sich, wie viel Gewicht man den Aussagen eines Mannes beimessen darf, der sich derart schonungslos selbst auf die Schaufel nimmt.
Die Setlist umfasst neben den größten Hits auch einige Nummern der neuen, kurz vor den Pariser Anschlägen veröffentlichten CD Zipper Down. Auch das zur Solidaritätsnummer erkorene und seither von zahlreichen Musikern gecoverte I Love You All the Time wird gespielt, hat an diesem Abend aber nichts Rührseliges an sich. Einzig das düstere Duran Duran-Cover Save a Prayer sorgt für eine kurze Unterbrechung des Gute-Laune-Programms. Alles in allem lieferten die Eagles Of Death Metal eine sehr gute Show, mit der ein oder anderen Länge dazwischen. Am Ende, zu Speaking in Tongues, bildete sich sogar ein kleiner Moshpit.
Die schönsten Momente des Abends waren jene, in denen uns Jesse die wunderbare Schlichtheit des Rock ’n‘ Roll vor Augen führte. Dieser kleine tätowierte Mann in Hosenträgern und mit langen Ohrhängern auf der Bühne macht einem wirklich glauben, dass die Welt noch zu retten sei. Seinen eigenen tapferen Kampf um die Rückkehr zu einem normalen Musikerleben ficht er ein Stück weit für uns alle aus. „Are you still having a good time?“ Es braucht so wenig dafür: Er setzt sich die Krankenkassabrille von der Stirn auf die Nase, streicht die verschwitzten Haare zurück und greift in die Saiten seiner E-Gitarre. Dass ihm ein verletzter Finger derzeit eine, wie er sagt, „Gitarrenklaue“ beschert, ist kein Hindernis. Im Rock ’n‘ Roll ging es noch nie um Perfektion, sondern ums Spüren. Den von den EODM oft gespielten Stones-Klassiker Brown Sugar – ein Song der Jesse wie auf den Leib geschneidert ist – stimmt er dieses Mal Solo (und mit lautstarker Unterstützung des Publikums) an. Der Funke springt sofort über. In der 1971 entstandenen Nummer ist alles verdichtet, was den Spirit des Rock ’n‘ Roll ausmacht, und Jesse ein Garant dafür, dass dieses Feuer niemals erlöschen wird. Ewig lockt die Sünde, und wir lassen sie uns durch das Böse nicht madig machen.
Nur einmal, gegen Ende des Konzerts, spricht Jesse die Tragödie von Paris kurz an. Wir alle wüssten, was in den letzten Wochen geschehen sei, ruft er hastig heraus, doch wir erlebten hier und jetzt etwas, das uns niemand wegnehmen kann. In diesem Kokon des Konzertsaals könnten wir eine fabelhafte Zeit haben.
Ein bisschen hallt dieser Satz nach, war es doch vor einigen Monaten ebendieser Kokon, der für so viele Menschen zu einer fürchterlichen, todbringenden Falle wurde. Der Terror des 21. Jahrhunderts wird am Rock ’n‘ Roll Spuren hinterlassen, daran zweifelt kaum einer. Er wird auch die Art und Weise, wie wir Musik wahrnehmen und konsumieren verändern. In welcher Form und in welchem Ausmaß, wird die Zeit zeigen. Dieses Mal, für die Länge eines Abends, war der Rock ’n‘ Roll lebendig. Und das macht Hoffnung.
Autor
Martin Foszczynski&post;