Wie immer bedarf es keines Weckers. Denn die Mitwanderer fangen wie die letzten Tage gegen 6:00 Uhr in der Früh an sich zu strecken und zu recken, zu packen und sich fertigzumachen. Jan und ich bleiben noch ein paar Minuten liegen, in stiller Diskussion mit uns selbst ob wir nun aufstehen sollen oder nicht. Wir entscheiden uns letztendlich natürlich fürs Aufstehen und Weiterwandern, noch sind wir ja nicht über „den Berg“ bzw. die Alpen.
Im Hüttenrestaurant wartet ein überraschend reichhaltiges Frühstücksbuffet auf uns, an dem wir uns reichlich stärken. Die nächsten Höhenmeter kommen nämlich bestimmt.
Nachdem die Zähne getapt und die Zehen geputzt sind (oder haben wir da nun was verwechselt all die Tage?), heißt es schon wieder Abschied nehmen und wir treten auf die Hüttenterrasse, auf der uns auch der Gletscher eine guten Morgen wünscht.
Das Wetter kann sich heute nicht wirklich entscheiden zwischen „blau-weiss“ und „grau-in-grau“. Die Handschuhe, dicke Wollmützen und hochgezogene Schals, in die sich etliche andere E5-ler packen, halten wir aber für weit übertrieben. Oder wollen die Mitwanderer nur einmal ihre komplette Ausrüstung präsentieren?
Wir tragen unten „kurz“ wie immer, obenrum aber genehmigen wir uns am Morgen auch erst einmal einen warmen und winddichten Fleece. Ich bleibe dabei natürlich bei einem signalblau während Jan ein klassisches Schwarz bevorzugt.
Wir machen uns auf zum Rettenbach Jöchl, mit knapp 3000 Meter der höchste Punkt der heutigen Etappe. Entlang des Gletschers geht es steil bergauf und wir bewundern eine Gruppe Kinder, die mit Steigeisen und Eispickel bewaffnet, den Gletscher queren werden. Einen besonders feschen 8-Jährigen frage ich, wie lange er schon in den Bergen unterwegs ist. „Seit dem ich 5 bin“ kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Ja ja, die (Berg-) Ureinwohner“ würde Jan jetzt wohl sagen.
Kurz vor dem Rettenbach Jöchl dürfen auch wir ein paar Minuten durch den Schnee stapfen, bevor es dann etliche Meter bergab geht. Rutschend auf dem Hosenboden versteht sich. Die meisten nehmen diese Rutschpartie allerdings eher unfreiwillig in Kauf. Der Bergsteigerkindergarten wird da sicherlich mit wesentlich mehr Freunde runterrutschen denke ich mir.
Am Jöchl angekommen ist von unbelassener Bergnatur nicht viel zu sehen. Etliche Skilifte, riesige Parkplätze und unzählige Baustellen zeugen davon, dass wir mitten im Gletscherskigebiet angekommen sind. Im Sommer fehlt aber logischerweise der Schnee, der im Winter wohl die eine oder andere hässliche Sünde verdeckt.
So ist es uns mehr als recht, dass der Postbus, der uns durch eine gut 3 Kilometer lange Röhre auf die andere Seite des Berges bringt, scheinbar nur auf uns gewartet hat, und sich ohne Zögern in Bewegung setzt, nachdem wir uns einen Platz ergattert haben.
Auf der anderen Seite empfängt uns allerdings das (fast) gleiche Bild. Die gleichen Skilifte, mindestes ebenso viele Parkplätze und allerorten eifriges Bauen und Basteln für die nächste Skisaison.
Wir schultern zusammen mit etlichen anderen E5lern unsere Rucksäcke und machen uns auf den Weg nach Vent.
Nach wenigen Minuten auf den Höhenweg sind wir wieder mit der Bergwelt „unter uns“ und nichts erinnert an die „ach so heile“ Skibergwelt. Wir folgende dem Höhenweg fast 4 Stunden. Und dieses Mal gibt es keine Alm, die Jan und mir den weiteren Weg mit einem Schorle versüsst. Allerdings gibt es viel zu reden, denn mittlerweile ist aus uns E5-lern eine regelrechte E5-Bergwanderreisegruppe geworden. So kommen wir Schritt für Schritt Vent näher und bei der einen oder anderen Anekdote oder Erzählung vergesse ich (meistens) meine schmerzenden Füße.
Vent ist dann ein Bergdorf aus dem Familienbergurlaubalbum. Viele Pensionen und Hotel, ganz modern eine Ausleihstation für „e-Bikes“, aber natürlich auch jede Menge Möglichkeiten uns mit einem Johannisbeere-Schorle für den bisherigen Tag zu belohnen.
Bevor wir heute aber in den Bergwandererfeierabend übergehen können, steht noch der Aufstieg zur Martin-Busch-Hütte auf dem Programm. Da Jan noch im Gespräch und seinem Schorle vertieft ist, starte ich alleine die letzte Etappe des Tages.
Zu Beginn kürze ich die doch sehr ausschweifenden Serpentinen auf dem direkten Weg über grüne Almwiesen ab. Später bin ich froh, der Hütte auch auf etwas flacheren Pfaden entgegen wandern zu können. Die letzten Meter sind wie in die letzten Tage die härtesten. Aber gegen 16:30 Uhr ist es geschafft: die Martin-Busch-Hütte liegt vor mir in der schon tiefstehenden Sonne und keine 10 Minuten später hab ich 2 wunderbar gemütliche Betten ergattert, meine Stiefel ausgezogen und das erste Radler des Tages bestellt. Bergsteigerherz, was willst Du mehr?!
Jan kommt nur wenige Minuten nach mir ins Ziel. Völlig nassgeschwitzt, weil er mich noch „abfangen“ wollte. Diese Bergwertung geht allerdings an mich. In der Gesamtwertung liegen wir aber gleichauf und werden wohl gemeinsam im gelben Alpenüberquerertrikot in Meran einlaufen.
Da es der letzte Hüttenabend für uns ist, bleiben wir dieses Mal bis zur offiziellen Bettruhe sitzen und freuen uns beim Einschlafen auf italienisches Eis, das wir am nächsten Tag in Meran genießen werden.