E5 – Teil 4: Von Zams zur Braunschweiger Hütte

Von Jochen1970

Da war sie also – die ultimative Mörder-Königs-Etappe!

Aber wenn Jan und ich dann am Abend beim Schorle oder Radler im Hüttenrestaurant sitzen, sind die Strapazen (fast) schon wieder vergessen. Die Blasen an den Füssen allerdings sind noch da und sind stille aber schmerzhafte Zeugen der letzten Tage. Ich frage mich warum ich letztes Jahr in Nepal so wenig Probleme damit hatte? Mein rechter kleiner Zeh ist mittlerweile auf jeden Fall fast so blau wie mein Schlafsack. Zumindest (Farb-) Ton in Ton.

Der Tag heute beginnt allerdings sehr entspannt. Die Gigeles verwöhnen uns und ein paar Mit-E5ler mit einem leckeren und reichhaltigen Frühstück. Nachschlag inklusive.

Und auch der erste Anstieg des Tages hinauf zur Venetspitze ist mit der gleichnamigen Bergbahn besonders leicht und zehenschonend zu bewältigen. Auch heute werden wir von viel blaue-weißem Alpenhimmel verwöhnt. Und der Regenschauer des Tages kommt passenderweise während unserer Fahrt mit der Bergbahn über uns, so dass wir uns gegen 8.30 Uhr trocken und ausgeruht auf den Weg Richtung Wenns machen können.

Da wir heute nicht gleich am Vormittag alles Pulver verschießen wollen, entscheiden Jan und ich uns heute für die „einfacherer“ Variante. Wir lassen potentielle 3 Gipfel im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und begeben uns direkt auf den fast eben verlaufenden Venet-Rundweg, der uns die nächsten 3 Stunden die Richtung vorgibt. Über alpengrüne Wiesen geht es schnell voran, und wie immer sind wir meist auf der rechten Überholspur zu finden. Wir überholen sogar den einen oder anderen Mountain-Bike-Fahrer. Allerdings sind auch die mehr schiebend als fahrend unterwegs und wir fragen uns, was den Reiz ausmacht, sein Fahrrad durch die Alpen schieben. Vielleicht das klassische „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“?

Nach gut 2 Stunden erreichen wir die Larcheralm, auf der Jan erste und sehr positive Bekanntschaft mit einem Holundersaft-Schorle macht. Eine willkommene und sehr leckere Abwechslung zur Johannisbeere.
Laut Schild sind es nur noch 1,5 Stunden bis hinunter nach Wenns. Allerdings scheint sich der folgende Abstieg ein Vorbild am gestrigen Leidensweg hinunter nach Zams genommen zu haben. Steiler und steiler geht es auf dem „alten Almweg“ hinunter in Tal. Und wie immer sind die letzten Kilometer die anstrengendsten.

In Wenns hat dann aber auch schon lange der Fortschritt Einzug gehalten und wir belohnen uns erst einmal wieder mit einer eisgekühlten Dose „diet coke“. Wir würden denke ich perfekte Werbemotive abgeben in diesem Moment: der erschöpften Bergwanderer, der dank einer Cola zu neuen Kräften kommt.

Die Bushaltestellendichte in Wenns ist bemerkenswert. Dank Jan´s Intuition positionieren wir uns an der ersten Bushaltestelle im Ort. Ein Glücksfall: denn als der Postbus, der uns weiter nach Mittelberg bringen wird, in Wenns einfährt, wird schnell klar, dass nicht alle E5ler, die noch an den folgenden Haltestellen warten, eine Platz finden.

Nach knapp einstündiger und sehr kurviger Fahrt sind wir in Mittelberg, dem Startpunkt zum Aufstieg zur Braunschweiger Hütte. Da sich der blau-weiße Alpenhimmel seinen Platz ein wenig (zu sehr) vom wolkenverhangenen Gewitterhimmel hat streitig machen lassen, verzichten wir auf ein weiteres Holundersaftschorle an der Gletscheralm und machen uns zielstrebig auf den Weg.
Leider mit Gepäck, da die Materialseilbahn nach Aussage des Hüttenwirts „heut nimmer fahren wird“.  Schade nur, dass wir genau die gegen später über unsere Köpfe hinweg gleiten sehen.

Wir entscheiden uns gegen den direkteren Jägerweg und für die etwas flachere aber längere Berg-„Autobahn“, die sich in langgezogenen Serpentinen den Berg hinauf windet. Jeder läuft jetzt sein Tempo und kämpft sich Schritt für Schritt den Berg hinauf. Die Gewitterwolken werden zu unserer Erleichterung wieder lichter und wir freuen uns, den guten alten weiß-blauen Alpenhimmel wiederbegrüßen zu können.

Am Abend wird es noch richtig heftig „krachen“ – da sitzen wir aber schon lange in der Hütte, klopfen uns stolz auf unsere Rucksackgestählten Schultern und genießen unser Hüttensteak oder das Wiener Schnitzel. Aber wie heißt es so schön: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“.

Vor dem Steak und dem Schnitzel gilt es noch die letzten ca. 400 Höhenmeter zu überwinden und die werden steiler und steiler. Wir klettern jetzt mehr als dass wir wandern und kämpfen uns so über ein weites Geröllfeld höher und höher. Der schwäbische Studenten-E5-Eilzug überholt uns wie all die Tage zuvor mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Da treten wir gerne zur Seite, und lassen dem jugendlichen Bergsteigerelan den Vortritt.

Kurz vor dem Hütte zeigt sich uns mit einem Male der Gletscher. Schon sichtbar ramponiert von globaler Erderwärmung und unzähligen Bergbaustellen für zukünftige oder erweiterte Skilifte. Aber immer noch in beeindruckender Größe und mit wunderschönem Funkeln. Da legen wir gerne eine allerletzte Pause ein, genießen diesen Aus- und Anblick und die letzten Traubenzucker und Snickers, die sich in unserem Rucksack noch finden. Jan setzt zwischenzeitlich neben Traubenzucker auch die „heavy metal“-Droge ein und erklimmt so Kopfhörerbedeckt die letzten Meter zur Braunschweiger Hütte.

Wir haben heute Glück (das wir uns aber auch mehr als verdient haben!) und bekommen zwei sehr gemütliche Betten in einem 8 Mann- und Fraubettzimmer. Die meisten davon sind altbekannte E5ler, die es sich allerdings heute wesentlich leichter gemacht haben, und die Gletscherbergbahn in Anspruch genommen haben und sich damit den Aufstieg von Mittelberg aus erspart haben.
Die Braunschweiger Hütte ist die mit Abstand schönste Hütte der ganzen Tour. Sehr sauer, viel helles Holz wechselt sich ab mit den steinalten Grundmauern. Und von der Terrasse springt dem müden aber zufriedenen Bergwanderer das phänomenale Gletscherpanorama ins Gesicht.

Am Abend lernen wir zukünftige Annapurna-Wanderer kennen und ich kann mich nur schwer zügeln und erzähle eine nepalesische Anekdote nach der anderen. Doch auch dieser Abend geht recht früh zu Ende und lange vor der offiziellen Berghüttenbettruhe um 22:00 Uhr liegen Jan und ich in unseren Schlafsäcken und träumen uns in unseren verdienten Schlaf.

Es ist lange her, dass Jan als kleiner Bub zu mir in die Wohnung gekrabbelt kam und in mein altes Telefon gebrabbelt hat. Wie schön, dass wir heute gemeinsam die Alpen erklimmen können.