Unseren auf 6:30 Uhr gestellten Wecker brauchen wir nicht, denn schon ab 6:00 Uhr ist Leben in der Bude bzw. im Matrazenlager. Denn spätestens dann fangen die besonders motivierten Wanderer an zu packen und sich fertigzumachen. Wir machen aus der Not eine Tugend und sind auch schon um kurz nach halb Sieben putz und auch ein wenig munter beim Frühstück.
Die Nacht zwischen „35“ und „32“ war überraschend ruhig. Einzig „32“ hat mich ab und an mit lautem Schnarchen daran erinnert, dass ich nicht näher kommen sollte. Ob geträumt oder Realität – einmal ist mir denke ich der Ellbogen „aus Versehen“ ausgerutscht um eine besonders intensive Schnarchphase zu beenden. Da sich „32“ aber nicht beschwert, lass ich das einfach mal so stehen und Jan und ich gehen recht ausgeschlafen zum Frühstück.
Das „Haferl Kaffee mit Milch“ schmeckt wie ein „Café au Lait“, woraus wir wieder einmal lernen, dass Worte oft nur Schall und Rauch sind.
Allzu gesprächsbereit sind wir beide noch nicht. Der Tag ist aber noch lang, so dass wir mit Sicherheit noch jede Menge Möglichkeiten haben werden, den einen oder anderen Gedanken auszutauschen. Oder einfach gepflegt zusammen zu schweigen.
Um kurz nach halb Acht gebe ich das imaginäre Startsignal und nach den (zumindest für mich) obligatorischen Erinnerungsfotos unter dem Kemptner Hüttenschild machen wir uns zusammen mit etlichen anderen E5lern auf nach Holzau.
Die Erinnerungsfotos unter dem Hüttenschild hat mir Jan auf jeden Fall zugesichert. Alle anderen gemeinsamen Fotomöglichkeiten müssen dann aber immer wieder neu verhandelt werden. Wirken da noch die unzähligen Fotos von der Westküste nach, die wir letztes Jahr geschossen haben?
Die Westküste ist noch weit an diesem Morgen, österreichischen Boden betreten wir allerdings schon nach gut 30 Minuten. Wobei: wenn wir es nicht besser wüssten (aus diversen Karten und Reiseführern) wäre uns nicht klar, wohin wir unsere deutsche Heimat verlassen. Denn so sichtbar die einen die deutsche Grenze mit einem Adlerbestückten und schwarzrotgoldenen Schild markieren, so sparsam sind die anderen mit Hoheitsgebietsbekundungen. Kein Schild. Kein Hinweis. Kein Nichts, was darauf hindeutet, dass wir uns nun auf österreichischem Boden befinden.
Es geht nun steil bergab (der Weg, nicht mit Österreich hoffe ich) und wie am Vortag legt Jan ein sehr ordentliches Tempo an den Tag. Überholt werden wir auf jeden Fall nicht in den nächsten Stunden. Ganz im Gegenteil: gäbe es sowas in den Bergen, hätte wir wohl die linke Spur für uns gebucht und der Blinker wäre auch heftig in Gebrauch. Ich tue mein Bestes und kann dem jugendlichen Elan vor mir noch recht gut folgen.
Leider versteckt sich die Sonne (noch) auf der anderen Seite der Berge, so dass das tolle Panorama, dass sich uns zeigt kaum ablichtbar ist. Der blaue Himmel über uns macht aber tolle Versprechungen für den Nachmittag, die dann auch erfüllt werden.
Um 10:00 Uhr erreichen wir unser erstes Tagesziel in Holzau, das wir mit einer heißen Schokolade und einer „gspritzten Johannisbeere“ genießen.
Wir entscheiden uns für die „echte Männer“-Variante und steigen nicht in den (doch verführerischen) Bus ein, der die meisten der E5lern die nächsten 15 Kilometer zum Murnau-Tal chauffiert. Über Felder und Wiesen geht es stattdessen querfeldein über Stockach nach Bach.
Dort werden wir mit einer schulbuchmässigen Landung eines Paragliders begrüßt. Neben der Solo-Variante kann auch die Tandem-Variante gebucht werden. Da denke ich gerne an den Sprung aus 4000 Metern zurück, den ich Anfang August über Hockenheim gewagt habe. Über den Alpen hätte das sicherlich auch einen ganz besonderen „Kick“. Auch wenn die Aussicht auf Rhein und Formel 1 Rennstrecke auch sehr reizvoll waren (und ich mich sowieso vor allem auf den Horizont und den Kameramann vor mir konzentriert hatte wenn ich mich recht entsinne).
In Bach gönnen wir uns eine gut gekühlte „Cola-Light“ Dosenpause. Dank „Spar“ gibt es dazu noch eine sehr preisgünstige Mittagsbrotzeit. So gestärkt geht es nun scharf rechts ins Murnau-Tal und das in diesem Fall kunstvoll geschnitzte Hinweisschild sagt uns noch 5 Stunden bis zur Memminger Hütte voraus.
Diese Prophezeiung erfüllt sich dann auch bis fast auf die Minute genau. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg.
Immer steiler zieht sich der Weg durch aus Murnau-Tal, die Sonne brennt mittlerweile doch recht schweißtreibend vom weiß-blauen Himmel und so ist es kein Wunder, dass wir spätestens beim dritten Bus, der vollbesetzt mit E5lern, an uns vorbei fährt, unsere „echte Männer“-Variante in Frage stellen. Aber wie so oft im Leben hat alles zwei Seiten und wir genießen trotz der Anstrengungen die wunderbare Natur um uns herum.
Kurz vor 15:00 Uhr erreichen wir dann (endlich!) den eigentlichen Ausgangspunkt zum Aufstieg zur Memminger Hütte. Und da wir für heute schon genügend „echtes Mannsein“ bewiesen haben, nehmen wir die Möglichkeit des Gepäcktransports über die Materialseilbahn gerne in Anspruch. Zu viel „männlicher Stolz“ muss schließlich auch nicht sein.
So erleichtert stürmen wir förmlich den Berg hinauf, und die ersten 600 Höhenmeter erledigen sich „fast“ von selbst. Der eine oder andere Schweißtropfen fließt dann natürlich doch, was an Jans und meinem Hemden unschwer zu erkennen ist. Aber auch das gehört wohl irgendwie zur Alpenüberquerung (zumindest im Sommer).
Die Memminger Hütte ziert sich am Ende aber doch noch gehörig. Denn erst nach der „gefühlten“ 25. „letzten“ Kurve erblicken wir sind vor uns in der Sonne liegend. Diese Aussicht setzt die letzten Reserven bei Jan und mir frei und unter lautstarken Pfeifen der unzähligen Murmeltiere erreichen wir kurz vor 17:00 Uhr die Memminger Hütte, unser heutiges Etappenziel auf 2242 Meter.
Vor Ort gibt es erst einmal wieder die Qual der Wahl: Lager oder doch lieber Lager? Die Entscheidung fällt uns da nicht leicht, aber am Ende landen wir mit den Gewinnzahlen des Tages „139“ und „140“ im Winterraum, einer kleinen Hütte etwas abseits, die auch im Winter benutzt werden kann. So klein der Winterraum scheint, so viele Schlafplätze scheinen darin versteckt zu sein. Denn im Vergleich zu der fast luxuriösen Matrazenbreite auf der Kemptner Hütte, sind jetzt eher Sardinen-Masse in der vielzitierten Dose angesagt. Und anstelle der in diesem Fall vielleicht recht vielversprechenden Blondine liegt ein unrasierter und offensichtlich auch ungeduschter Mitfünfziger neben mir, mit dem ich in der Nacht noch den einen oder anderen recht verbitterten Kampf um ein paar Zentimeter mehr Platz führen werde.
Bis dahin sind es aber noch ein paar Stunden, die wir genüsslich auf der Sonnenterrasse verbringen. Beim Radler, einer Riesenportion Spagetti und bei ein paar sehr spannenden Partien „Mühle“, die Jan knapp aber verdient am Ende für sich entscheidet. Unsere holländischen Tischnachbarn schauen sehr interessiert zu, denn bis jetzt kannten sie nur „Dame“ aber nicht „Mühle“.
Kurz vorm Schlafengehen schenkt uns der liebe (Wetter-) Gott noch einen Sonnenuntergang aus dem Alpenbilderbuch, mit dem wir sehr großzügig für unsere heutige „echte Männer“-Energieleistung belohnt werden.
Heißes Wasser war übrigens „ausverkauft“ heute – der bergseekalte Bergsee hinter der Hütte war aber eine wunderbare und sehr erfrischende Variante. Und eine kostengünstige dazu. Denn der Preis für eine Minute „warme Dusche“ scheint ähnlich wie der Wasserpreis in Nepal streng proportional mit der aktuellen Höhe verknüpft zu sein: je höher desto teuer.