„Wir bringen Euch durch die Nacht“. So begrüßt mich die Neue Welle um kurz nach 3 Uhr und der unnachahmige Musikmix aus 4 Jahrzehnten bietet mir zuerst Reggea und dann die Titelmusik von „Top Gun“ um wach zu werden.
Was ich aber dieses Mal garnicht brauche, denn ich liege sowieso schon länger wach. Irgendetwas hat mich wach gehalten. Ist es die Nervosität vor der Wanderung? Obwohl es doch „nur“ in und über die Alpen geht? Oder ist es die Vorfreude auf die Tage mit Jan?
Jedenfalls bin ich froh, dass ich dieser alles andere als ruhigen Nachtruhe ein Ende bereiten kann und begebe mich erst einmal unter die heiße Dusche (wie war das mit den liebgewonnen Ritualen vor einer Reise?)
Danach wecke ich Jan und mache mich ans Broteschmieren. Es gibt Baguette mit Salami und Gurke. Und als Alternative Baguette mit Gurke und Salami. Das geht ganz fix – jedenfalls schneller, als Jan braucht um wach zu werden. Ihm stecken wohl die letzten 2 Wochen Pfadfinderlager in den Knochen – oder doch die durch-„zockte“ Nacht mit Johannes?
Gegen halb Vier weilt er aber unter den Lebenden und keine halbe Stunde später sitzen wir schon an der Strassenbahn-Haltestelle Richtung Hauptbahnhof. Zusammen mit ein paar wenigen und verschlafenen Mitbürgern, die sich wohl schon auf dem Weg zur Arbeit befinden. Zum Glück kann ich normalerweise ein wenig länger schlafen, wenn ich mich nicht gerade auf den Weg über die Alpen mache.
Trotz unzähliger (oder ist es am Ende nur die eine riesengrosse?) Baustellen und Umleitungen erreichen wir fast minutengenau den Hauptbahnhof.
Schnell noch die Schokomilch vom Wiener Feinschmecker (Ritual!), und schon sitzen Jan und ich im ICE auf dem Weg nach Ulm, um Ulm und um Ulm herum. In Ulm steigen wir allerdings in die „gefühlte“ schwäbische Bummeleisenbahn um, und kommen Oberstdorf nun nur noch Stückchen für Stückchen näher. Wir haben wohl viel Zeit, denn die recht kurzen Fahrzeiten zwischen den Bahnhöfen werden jedesmal durch ungleich längere Aufenthalte in den Bahnhöfen verlängert. Mittlerweile sind wir schon über 5 Stunden unterwegs und die Müdigkeit kämpft ein wenig mit der wachsenden Neugierde auf die bevorstehende Tage und den immer grüneren und hügeligeren Aussichten, die an uns vorbeiziehen (wenn wir dann tatsächlich fahren!).
Jan und ich plaudern übers Hanf anbauen, über Pfadfinderprüfungen. Über Mädels. Und über (Jo-) Hannes, seinen besten Freund.
Dem Schaffner scheint das Bummelbahntempo auch schon in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Friedlich vor sich hin schnarchend liegt er im ansonsten menschenleeren 1.Klasse-Abteil und harrt sehr entspannt den Dingen, die da kommen.
Gegen 10:00 Uhr ist es dann aber soweit – wir fahren im Bahnhof von Obersdorf ein und zusammen mit etlichen anderen Wanderern machen wir uns bereit ab jetzt zu Fuß weiterzugehen. In Anbetracht des Bummelbahntempos der letzten Stunden werden wir aber wohl kaum langsamer sein. Wir sehen etliche E5-Mitstreiter, die wir auch in den nächsten Tagen immer wieder entdecken werden. Ein Geheimtipp ist der E5 also mit Sicherheit nicht. Eher der Klassiker, den man(n) einfach gemacht haben muss.
Nach einer kleinen Stärkung und dem Besuch diverser Buchläden hat Jan seine „Fantasyhüttenabendlektüre“ und ich die nötigen E5-Karten – sicherheitshalber möchte ich doch nicht ganz ohne Karten loslaufen. Da Langeweile und Orientierungslosigkeit damit keine Chance mehr haben, machen wir uns nun tatsächlich auf, und nach ein paar kleineren Irritationen in der Obersdorfer Fußgängerzone finden wir den richtigen Weg Richtung Spielmannsau.
Alpen wir kommen!
Über die vielzitierten Allgäuer Wiesen, auf denen in der Tat nur sehr zufrieden kauende Kühe zu finden sind, geht es langsam bergauf und nach 2 Stunden erreichen wir Spielmannsau.
Dort gönnen wir uns erst einmal ein erstes Saftschorle. Dieses Mal noch mit Apfel, spätestens ab dem zweiten Tag steigen wir dann konsequent auf Johannesbeere um. Holunder ist aber auch sehr lecker.
Jan knurrt der Magen und probiert sich an einem Hirschschinkenbrot. „Vornehm geht die Welt zugrunde“ denke ich, aber Jan wird die Energie noch brauchen die nächsten Tage.
Mein Rucksack zwickt schon merklich nach den ersten 2 Stunden, doch nach einer kurzen Umpackpause und einigen strategisch günstigen Gepäckverlagerungen (das Schwere muss doch immer nach unten, das weiß doch jedes Kind!) wird es ein bisschen besser.
Ich habe eindeutig zu viele Ballast dabei, den ich die nächsten Tage aber tapfer durch die Alpen tragen werde. Beim nächsten Mal aber werden maximal 10 Kilogramm gepackt. Und kein Gramm mehr.
Direkt hinter Spielmannsau beginnt der Aufstieg zur Kemptener Hütte. Zuerst sehr gemächlich durch Wald und Wiesen. Entlang des Sperrbachs, der uns noch ein paar Stunden begleiten wird. „Am Knie“ geht es dann links dem Sperrbachtobel entgegen und der Aufstieg will und will nicht enden.
Jan ist der Tempomacher und die 2 Wochen Pfadfinderlager haben ihm wohl sehr gut getan. Denn er legt eine erstaunliche Geschwindigkeit an den Tag, und ich muss mich sehr sputen, mithalten zu können.
Meine Bewunderung für die Träger letztes Jahr in Nepal steigt mit jedem Schritt und jedem Höhenmeter, den Jan und ich hinter uns lassen.
So langsam kommt auch Jan an seine Grenzen, doch die eine oder andere Traubenzucker, Müsliriegel und Snickerspause retten uns am Ende und gegen 16:30 Uhr erreichen wir die Kemptner Hütte auf 1846 Meter, das Ziel unserer ersten Etappe.
Für ein Zimmer reicht es leider nicht mehr, aber wir bekommen zwei gemütliche Schlafplätze 34 und 35 im (Matrazen-) Lager direkt unter dem Dach. Beim Blick auf meinen doch sehr kräftigen Matrazennachbarn bin ich froh, an meine Ohrenstöpsel gedacht zu haben.
Die Radler schmecken in der nachmittägliche Sonne und mit Blick auf diverse Gipfel, deren Namen ich mir wir immer nicht merken kann, vorzüglich, und spätestens beim Rinderbraten nach „Hausmannsart“ sind die Strapazen des ersten Tages fast schon vergessen. Nach einer lauwarmen 3-Minuten Dusche sind wir dann auch schon müde genug und gegen 20:30 Uhr legen wir uns zwischen unserer Nachbarn auf „35“ und „32“ und träumen den gerechten Schlaf der müden Bergwanderer.