Vorstoß in die Bergregion
[pd-f/ht] Die Erfolgsgeschichte des E-Mountainbikes kennt zwei Geburtsstunden. Zum einen hat die Firma Biketec mit ihren „Flyer“-Modellen seit der Jahrtausendwende das E-Bike als solches überhaupt erst salonfähig gemacht und für eine breite Akzeptanz der Idee „Motor am Fahrrad“ beim Alltags- und Tourenradler gesorgt. Zum anderen wurde diese Idee vor einigen Jahren von jungen Mountainbike-Firmen ins Gelände überführt.
Eine Pionierstellung im Bereich sportlicher E-Bikesnimmt dabei Haibike ein. Der fränkische Anbieter fiel durch eine besonders innovative Anordnung des Mittelmotors auf, die fahrdynamisch und mit Blick auf die Sicherheit eine Trendwende einläutete.
Die Früchte der Entwicklung ernten viele begeisterte E-Mountainbiker, und sie tun ihre Freude kund. So wie es die Leserwahl des Fachmagazins Mountainbike (Ausgabe 02/15) veranschaulicht, bei der mit dem Haibike „Xduro Nduro Pro 26“ (6.499 Euro) auf Platz zwei in der Kategorie „Mountainbike des Jahres 2014“ ein Pedelec gelandet ist.
Das breite Publikum nimmt E-MTBs offensichtlich gut an, und es verwundert es nicht, dass weitere Hersteller nachziehen: In die Saison 2015 geht Flyer mit den zwei von Grund auf neu entwickelten Modellreihen „Goroc“ (Hardtail, ab 3.519 Euro) und „Uproc“ (vollgefedert, ab 4.619 Euro). Nicht jedem aber schmeckt diese „E-volution“: In einschlägigen Online-Foren kocht die Stimmung regelmäßig hoch, sobald die Sprache auf E-Mountainbikes kommt.
Kritik mit Widersprüchen
Bemerkenswert ist dabei nicht nur die Tatsache, dass die Kritik ausgerechnet aus den Reihen derer kommt, die selbst mancherorts noch immer um ihr Nutzungsrecht von Wald und Flur kämpfen müssen. Bemerkenswert ist noch mehr, dass E-Mountainbikes einerseits als Krücken für unsportliche, übergewichtige und – selbstverständlich – männliche Senioren dargestellt werden, dann aber im selben Atemzug als brandgefährliche Boliden für Adrenalinjunkies, die den Ruf derer gefährden, die nach eigener Ansicht einzig und allein den Lackmustest für echte Mountainbiker bestehen, nämlich die unmotorisierten Sportler.
Zugegeben, in beiden Stereotypen steckt ein wahrer Kern: E-MTBs ermöglichen auch weniger trainierten Fahrern anspruchsvolle Touren. Rassige Fullys wie das „Dual-e 10“ von Felt (3.999 Euro) wiederum lassen sich sehr sportlich und agil bewegen, während sie wie ein schwerer Downhiller satt auf dem Trail liegen. Haben die Kritiker also recht?
„Wie jedes Pedelec fährt auch ein E-Mountainbike nicht von alleine, schon gar nicht bergauf“, kontert Tobias Spindler von Riese & Müller.
„Der elektrifizierte Bergradler muss sich die Abfahrt genauso verdienen wie ein Biker ohne Unterstützung – auch wenn er weiter und höher kommt, als es mit reiner Muskelkraft möglich wäre.“ Vergangenheit jedoch ist der Gipfelsturm mit hochrotem Kopf, denn Überlastungserscheinungen lassen sich auf dem E-MTB leichter vermeiden. Das macht es sogar für Sportler interessant, die gezielt trainieren und die Belastung nach Belieben dosieren wollen. Ausgewiesene Bewegungsmuffel dagegen werden schnell feststellen, dass auch Mountainbiken mit Motor anstrengend ist.
Schaf im Wolfspelz?
Also doch etwas für Trailrüpel mit zu viel Testosteron im Blut, hört man die Puristen weiter nörgeln, während sie schon der Blick ins Angebot der Hersteller eines Besseren belehren müsste: Martialische Enduro-Maschinen und schnelle E-Bikes bilden die Ausnahme, mit ausgewogenen Modellen wie dem Hardtail „Charger mountain“ von Blue Label (2.999 Euro) siedeln sich Pedelecs primär im All-Mountain-Bereich an.
Mörderisches Tempo erreicht man durch die Motorkraft sowieso nicht, im Wald sind nur Modelle zugelassen, die bei 25 km/h abriegeln, d. h. allenfalls lässt sich bergab das Mehrgewicht in zusätzliche Geschwindigkeit verwandeln. Zudem erfordern gerade technische Passagen auf dem E-Mountainbike etwas mehr Geschick.
Hier wird offensichtlich der Schwarze Peter für Konflikte mit Wanderern pauschal weitergereicht. Dabei ist Rabaukentum eine Frage der Einstellung und nicht des Antriebs, man fährt eben nicht nur mit den Waden Fahrrad, sondern auch mit dem Kopf. Zudem hat die auf Tempo fixierte Bergab-Fraktion wohl eher wenig Interesse daran, selbst zu pedalieren und beim Aufstieg auf die Seilbahn zu verzichten – einen Motor brauchen Downhill-Freaks jedenfalls nicht.
Grenzen erweitern
Eine klare Stärke des E-Mountainbikes liegt insbesondere darin, Leistungsunterschiede zwischen Partnern oder innerhalb von Gruppen auszugleichen. Sicher, der Stärkere kann warten, aber wenn der Schwächere gut mithält, macht es beiden mehr Spaß. Freuen dürften sich außerdem sportliche Eltern, die sich mit Kinderanhänger nicht auf Asphaltstrecken in der Ebene beschränken müssen, merkt Anne Richarz von Croozer an. Doch auch ohne Zusatzballast kann ein E-MTB das bislang etwas zu weit entfernte Radrevier näher heranholen.
In vielerlei Hinsicht erweitert das Geländerad mit Motor somit den Aktionsradius, was jedoch gleich die nächsten Unkenrufe nach sich zieht: Es werde in den Bergen bald von Radlern wimmeln, die ihre Grenzen überschreiten und aus eigener Kraft nicht mehr herunterkommen. Wer sich daran erinnert, wie die ersten Dämpfersysteme auf den Markt kamen, erlebt ganz sicher ein Déjà-vu. Dabei ist es ohne Motor wahrscheinlicher, sich zu überschätzen, und bereits jetzt erklimmen viele lieber mit der Seilbahn den Berg, anstatt ihn zu erkurbeln. Ist es da nicht besser, nach einem Anstieg aus eigener Kraft noch genügend körperliche Reserven für die Abfahrt zu haben? Wie gesagt, spricht das E-Mountainbike, anders als ein elektrifiziertes Citybike, ohnehin eher Fahrer und Fahrerinnen an, die einigermaßen sportlich sind – genauso wie die klassische unmotorisierte Variante.
Träger für Innovation
Es mag noch eine Weile dauern, bis sich das E-Mountainbike vollständig emanzipieren kann, doch es reiht sich sehr wahrscheinlich in die Legion der vielen heute selbstverständlichen Innovationen ein, die sich von anfänglichem Gegenwind nicht aufhalten ließen. Neugierige stoßen beim Verschieben der Grenzen seit jeher auf Gralswahrer, die am liebsten alles beim Alten belassen wollen.
Dass sie selbst von allerlei technischen Verbesserungen profitieren, vergessen die Gegner der Motorisierung übrigens gerne: statt dicker Schenkel minimale Übersetzungsverhältnisse, statt ausgefeilter Fahrtechnik lange Federwege – mit Rädern aus den 1990ern ist kaum einer mehr auf technischen Trails unterwegs. Beim Radfahren gibt es nun einmal unterschiedliche Zielsetzungen, die Bewertung können nicht einzelne Gruppen übernehmen. Etwas Verständnis würde dagegen helfen. Dafür hilft es zum Beispiel, selbst mal mit elektrisch verstärkter Beinkraft zu fahren. Dann erklärt sich vielleicht auch das vermeintlich höhnische Grinsen der E-Radler beim Vorbeifahren. Denn über die beim Biken ausgeschütteten Glückshormone muss man einem echten Bergradler doch nichts mehr erzählen …
Quelle & Fotos: Pressedienst Fahrrad
Diesen Beitrag / Angebot bewerten