Dzogchen, chinesischer Buddhismus und universeller Geist (Teil 3)

Von Rangdroldorje

von Lama Vajranatha (John Myrdhin Reynolds)

Tantra in China

Im Allgemeinen verlief die Entwicklung des Buddhismus in China, wo er viel früher eingedrungen war, ziemlich anders als seine Entwicklung in Tibet. In Tibet selbst gründete das Studium des philosophischen Buddhismus oder des Sutra-Systems des Mahayana (tib., mdo lugs) fest auf den Übersetzungen der ursprünglichen Sanskrit-Shastras oder philosophischen Abhandlungen, die von großen indischen Meistern wie Nagarjuna, Asanga, Vasubandhu, Chandrakirti usw. verfasst wurden. Andererseits und ganz im Gegensatz dazu gewannen in China nur die Übersetzungen der Mahayana-Sutras einen herausragenden und dauerhaften Platz im chinesischen Buddhismus. Dies stattete einen Geist und eine Askese des chinesischen Buddhismus aus, der ganz anders als der tibetische Buddhismus ist, der völlig vom Geist der indischen buddhistischen Tantras durchdrungen ist. Grundsätzlich basiert der chinesische Buddhismus und einschließlich Chan auf den Mahayana-Sutras, die als ihren wesentlichen Ansatz den Pfad der Reinigung (tib., sbyong lam) darstellen. Es stimmt, dass ein paar Tantras ins Chinesische übersetzt wurden, sogar ein paar wenige Anuttaratantras wie das Hevajra-Tantra beispielsweise, aber die Tantras erlangten in China keine große Verbreitung oder Popularität. Besonders der Antinomianismus und die freizügigen sexuellen Ansichten, die in den Anuttaratantras ausgedrückt werden, scheinen bei den Chinesen keine Anziehungskraft gehabt haben.
Einmal existierte eine kleine tantrische Schule in Südchina, aber ihr Einfluss war ziemlich begrenzt. Dies war die Mi Tsung oder „Schule der Geheimnisse“, die vom indischen Meister Amoghavajra (gest. 741 n. Chr.) gegründet wurde. Seine Lehre basierte auf den Yogatantras, die auch nach Tibet gelangt waren und erfreuten sich einiger Beliebtheit in der frühen Periode vor dem 11. Jhdt., als sie durch die Popularität der Neuen Übersetzungen (tib., gsar ma) der Anuttaratantras überholt wurden. Obwohl diese Schule das Mi Tsung in einem kleinen Kreis für eine begrenzte Zeit blühte, wurden die anderen Schulen des chinesischen Buddhismus in den Chan aufgenommen. Aber die Situation des Buddhismus war in Japan ganz anders, wo verschiedene Schulen des chinesische Buddhismus verpflanzt wurden, sich aber nicht miteinander vermischt haben, sondern getrennt blieben und ihre eigene und unabhängige Reinheit kultivierten. Aufgrund der Bemühungen des japanischen tantrischen Meisters Kukei (774 – 835 n. Chr.), auch als Kobo Daishi bekannt, wurde die chinesische Tradition nach Kyoto und Koyasan in Japan gebracht, wo dieser Meister seine eigene Schule des tantrischen Buddhismus gründete, auch bekannt als Shingon. Das ist nun die drittgrößte Sekte des Buddhismus in Japan, nach Jodo Shinshu (Reiner-Land-Buddhismus) und Zen. Die zwei Haupt-Tantras dieser Schule, die durch ihre chinesische Übersetzungen eingesetzt wurden, sind das Mahavairocana-Tantra (ein Sutra, sowohl in chinesischer als auch japanischer Version) und das Vajrashekhara-Tantra, das zum Charyatantra und zum Yogatantra gehört, die bei den Tibetern im Trend sind.

Das nächste Mal gehts um den “Universellen Geist”, den Einen Geist, den Evans-Wentz in seinen Übersetzungen postuliert hat. Also dranbleiben, Fortsetzung folgt! Oder ihr kauft euch einfach das Buch “Self-Liberation through Seeing with Naked Awarness“.