Konkret, 09/2014
Die Wasserknappheit im Südwesten der USA gefährdet die kapitalistische Landnahme der Region. Von Tomasz Konicz
Wie hört es sich an, wenn Wissenschaftler in Panik geraten? Vielleicht so: »Wir hatten angenommen, daß es ziemlich übel aussehen würde. Aber das war schockierend.« Mit diesen Worten kommentierte Stephanie Castle, Spezialistin für Wasserressourcen an der University of California in Irvine, Ende Juli die Ergebnisse einer satellitengestützten Untersuchung der Grundwasserentnahme im Flußbecken des Colorado, des größten und wichtigsten Flusses im Südwesten der Vereinigten Staaten. Der Zu- und Abflußbereich des Colorado River erstreckt sich über die US-Bundesstaaten Colorado, Utah, Arizona, Nevada und Kalifornien, bevor der Fluß infolge übermäßiger Wasserentnahme im sandigen Flußbecken Baja Californias versickert, ohne seine Mündung im Golf von Mexiko zu erreichen.
Die rapide schwindende Wassermenge des Colorado spielt eine zentrale Rolle für die Landwirtschaft, die Elektrizitätsgewinnung und die Trinkwasserversorgung im Südwesten der USA und in Teilen Kaliforniens. Das Wasser des Flußsystems versorgt rund 40 Millionen Menschen in der Region, es dient zudem zur Bewässerung von 1,6 Millionen Hektar Agrarfläche. Der Colorado stelle somit »die Lebensader der westlichen Vereinigten Staaten« dar, erklärte Jay Famiglietti, ein auf Wasserkreisläufe spezialisierter Wissenschaftler, gegenüber der American Geophysical Union (AGU).
Das Wissenschaftlerteam nutzte bei der langfristigen Untersuchung, die den Anteil des Grundwassers an der Wasserversorgung des Südwestens der USA ermitteln wollte, Daten des Nasa-Satelliten Grace (Gravity Recovery and Climate Experiment), um aus den Veränderungen der Erdanziehungskraft in der Region die Grundwasserverluste zu errechnen. Die Studie, an der Castle beteiligt war, förderte zutage, daß rund 75 Prozent des Wassers, das dem Colorado-Flußbecken in den vergangenen neun Jahren entnommen wurde, aus dessen Grundwasserreservoiren stammte. Zwischen Dezember 2004 und November 2013 verlor das Flußbecken des Colorado rund 64 Kubikkilometer Wasser, was in etwa der doppelten Wassermenge des größten Stausees der USA, des an den US-Bundesstaaten Nevada und Arizona gelegenen Lake Mead, entspricht. Rund drei Viertel dieses gigantischen Wasserverlustes – 50 Kubikkilometer – gehen auf die Grundwasserentnahme zurück.
Das größte Problem bei der Grundwasserentnahme in der Region besteht darin, daß vollkommen unklar ist, wie lange sie noch fortgesetzt werden kann: »Wir wissen nicht exakt, wieviel Grundwasser noch übrig ist«, warnte Castle, »deswegen wissen wir auch nicht, wann wir auf dem Trockenen sitzen werden.« Während der Lake Mead jüngst »den niedrigsten je gemessenen Pegel« verzeichnet habe, ergänzte Famiglietti, habe die Studie eine »überraschend hohe und langfristige Abhängigkeit von Grundwasser bei der Überbrückung der Lücke zwischen Angebot und Nachfrage« festgestellt. Das Ausmaß der Grundwasserverluste könne für die Vereinigten Staaten eine weitaus größere Gefahr darstellen als ursprünglich angenommen, faßte die AGU die Ergebnisse der Studie zusammen.
Tatsächlich wird die Lage im Südwesten der USA noch durch eine ungewöhnlich lang anhaltende Trockenperiode verschärft, die mit schweren Dürren einhergehe und »beispiellos seit dem Beginn der verläßlichen Aufzeichnungen im Jahr 1895« sei, wie es im Anfang Mai vorgestellten Klimabericht der US-Regierung (National Climate Assessment) heißt. Nicht nur der Lake Mead, auch viele andere Stauseen wie etwa der Lake Powell verzeichnen bereits historische Tiefstände. Inzwischen weisen alle zwölf größeren Wasserreservoire des Südwestens im Schnitt einen Pegel von nur 60 Prozent ihrer Kapazität auf. Niedriger war dieser Wert nur im Dürrejahr 1977, als er auf 41 Prozent sank.
Der Klimawandel habe im Südwesten der USA bereits voll eingesetzt, warnten die Autoren des National Climate Assessment. Die Region habe sich in den vergangenen Dekaden schon merklich erwärmt, »die Periode seit 1950 war heißer als jede vergleichbar lange Periode in den vergangenen 600 Jahren«. Das Jahrzehnt zwischen 2001 und 2010 habe die höchsten Durchschnittstemperaturen seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnung mit sich gebracht. Der menschengemachte Klimawandel habe in Wechselwirkung mit der langen Dürreperiode zu verstärktem Baumsterben und zur Zunahme von Feuersbrünsten geführt, die mittlerweile Flächen erfaßten, die um 650 Prozent größer seien als in den siebziger Jahren.
Die US-Regierung prognostiziert aufgrund abnehmender Schmelzwasserzuflüsse in Teilen des Südwestens – in diesem Jahr sollen sie etwa in der Sierra nur 32 Prozent ihres langjährigen Durchschnittswerts erreichen – eine dauerhaft »abnehmende Verläßlichkeit in der Wasserversorgung für Städte, Landwirtschaft und das Ökosystem« in einer Großregion, in der 56 Millionen Menschen leben. Schwere und anhaltende Dürren werden »die bereits übermäßig genutzten Wasserressourcen weiter belasten und zu einer zunehmenden Konkurrenz zwischen Landwirten, Energieproduzenten und Stadtbewohnern « um die »kostbarste Ressource der Region« führen. Dabei war der Südwesten in seiner Klimageschichte besonders anfällig für lange und schwere Dürreperioden. »Paläoklimatische Aufzeichnungen des Südwestens zeigen schwere Megadürren, die mindestens 50 Jahre anhielten«, heißt es im National Climate Assessment. Zukünftige Dürreperioden werden der US-Prognose zufolge »substantiell heißer« und »häufiger, intensiver und länger anhaltend « ausfallen als diejenigen in den bisherigen historischen Aufzeichnungen.
Dabei gilt es inzwischen sogar als wahrscheinlich, daß im Südwesten der USA nun eine generelle Rückkehr zu einem weitaus trockeneren – und durch die Erderwärmung zusätzlich aufgeheizten – Klima ansteht, wie »Spiegel Online « ausführte: »Baumringanalysen haben ergeben, daß das 20. Jahrhundert dort die niederschlagsreichste Periode der vergangenen 1.200 Jahre war. Zuvor war es in der Region deutlich trockener als heute.« Laut diesen Studien gab es in der Region »zwischen den Jahren 850 und 1300 gleich zwei Megadürren – jede für sich fast 200 Jahre lang«. Es stehe nun zu befürchten, daß das Klima im Südwesten zu solchen Verhältnissen zurückkehren könnte: »Dann wären wohl auch die harten Sparmaßnahmen, die in Städten wie Las Vegas inzwischen gelten, nicht mehr ausreichend.«
Es lässt sich daher sagen, daß die kapitalistische Landnahme der gesamten Region in den vergangenen 150 bis 200 Jahren unter sehr günstigen klimatischen Bedingungen abgelaufen ist, was unter anderem die Ausbildung einer ressourcenhungrigen und nicht nachhaltigen Agrarindustrie ermöglichte. Der Südwesten der USA hat in der jüngsten Klimageschichte, in den vergangenen 100 bis 150 Jahren, einfach das Glück einer ungewöhnlich niederschlagsreichen Periode gehabt – das Pech dieser Region bestand zugleich darin, daß genau in diesem Zeitraum die kapitalistische Expansion eine Wirtschaftsweise in jenem Teil der USA etabliert hat, die den Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung vermittels effizienter Ressourcenverschwendung prolongiert (siehe KONKRET 6/12) – und selbst unter den günstigen Klimaverhältnissen der Vergangenheit nur mittels Raubbau an den bestehenden Wasserressourcen aufrechterhalten werden konnte.
Der nun vor einem klimatischen Wendepunkt stehende Südwesten ist eines der wichtigsten Agrargebiete der Vereinigten Staaten. Auf den 1,6 Millionen Hektar Agrarfläche, die durch Wasser aus dem Flußbecken des Colorado bewässert werden, werden fast 15 Prozent der gesamten Nutzpflanzenproduktion der Vereinigten Staaten realisiert, vor allem durch den Anbau von Obst und Gemüse in Kalifornien. Der Anbau gerade dieser »hochwertigen Feldfrüchte« im Südwesten, die »bewässerungsabhängig und besonders anfällig für Extreme an Feuchtigkeit, Kälte und Hitze« seien, umfasse inzwischen »mehr als die Hälfte« der nationalen Produktion, warnte die US-Regierung in ihrem National Climate Assessment. Aufgrund des Klimawandels prognostizierte Ernteeinbußen würden Landwirte zu Betriebsschließungen nötigen und »Arbeitsplatzverluste in ländlichen Regionen« mit sich bringen sowie mittelfristig »möglicherweise zu einer Verlagerung des Nutzpflanzenanbaus« nach Norden führen – vor allem bei »Mais, Baumfrüchten und Weintrauben« drohten künftig herbe Ernteeinbußen.
Dabei ist die Wirtschaft Kaliforniens schon längst von der Dürre betroffen, die auf 80 Prozent der Fläche dieses Bundesstaats laut dem »US Drought Monitor« ein »extremes« oder gar »außergewöhnliches« Niveau erreicht hat. Die bisherigen Folgekosten der Dürre werden für 2014 auf rund 2,2 Milliarden veranschlagt. Rund fünf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in den Agrarregionen Kaliforniens müßten aufgegeben werden, weil deren Bewässerung nicht mehr gewährleistet ist. Insgesamt werden laut einer Prognose der University of California in diesem Jahr dürrebedingt 17.000 Arbeitsplätze im Agrarsektor verlorengehen. Die kalifornische Landwirtschaft halte sich dank der Grundwasserreserven in dieser Dürre noch »beachtenswert gut«, doch führe die Unfähigkeit, das Grundwasser in regenreichen Jahren wieder aufzufüllen, zu einer Situation, die einer »Zugkatastrophe in Zeitlupe« gleichkomme, bemerkte Richard Howitt, einer der Autoren der Studie.
Die in den vergangenen Jahrzehnten klimageschichtlich betrachtet ungewöhnlich hohen Niederschlagsmengen im Südwesten haben dazu geführt, daß Nutzpflanzen nach Kalifornien importiert wurden und dort massenhaft angebaut werden, die in dieser trockenen Region nicht heimisch waren und sehr viel Wasser benötigen. Ein Paradebeispiel dafür ist der aus dem Mittleren Osten und Südasien stammende Mandelbaum, der von der kalifornischen Agrarindustrie inzwischen in Monokulturen gigantischen Ausmaßes angebaut wird. Rund 82 Prozent der globalen Mandelproduktion entfallen auf kalifornische Produzenten, die diesen Exportschlager, der zu 70 Prozent ins Ausland ausgeführt wird, auf einer Fläche von 320.000 Hektar zwischen dem nördlichen Tehama County und dem südlichen Kern County anbauen. Allein diese Mandel-Monokulturen verschlingen zehn Prozent des gesamten Wasserbedarfs des Bundesstaates Kalifornien. Jede einzelne Mandel brauche bis zur Reife 3,7 Liter Wasser, rechnete das US-Wirtschaftsportal »Business Insider« vor. Der gesamte Agrarsektor Kaliforniens verschlingt 80 Prozent des Wasserbedarfs dieses Bundesstaats.
Neben Mandeln gilt auch die als Viehfutter verwendete Luzerne als ein kalifornischer Exportschlager. Für den Anbau dieser Futterpflanze, die in die Turbomastanlagen und Milchfabriken der expandierenden Fleischindustrie (siehe KONKRET 5/13) geliefert wird, werden sogar 15 Prozent des kalifornischen Wasserverbrauchs veranschlagt. Mitten in einer historischen Dürre exportiert Kalifornien Unmengen an Futterpflanzen, zu deren Herstellung jährlich 378 Milliarden Liter Wasser aufgewendet werden. Diese Wassermenge könnte ausreichen, um »eine Million Familien über ein Jahr mit Trinkwasser zu versorgen«, erläutert das »Slate«-Magazin auf seiner Website.
Dennoch setzten die Farmer im Zentrum dieser Agrarindustrie, im kalifornischen Central Valley, weiterhin auf bewässerungsintensive Anbaumethoden und Feldfrüchte, obwohl die dortige Agrarregion insgesamt dabei sei, »sich in die Wüste zurückzuverwandeln, die sie vor etwas mehr als einem Jahrhundert war«, wie »Slate« bemerkt. Zurückzuführen ist der Widerwille, sich den Klimaveränderungen anzupassen, auf die heiligen Gesetze der freien Marktwirtschaft. Während an den Straßenrändern des Central Valley Schilder mit Stoßgebeten um Regen zu finden seien, müßten die Farmer der Region nun »wichtige Entscheidungen« treffen – und zumeist entscheide dabei das Geld. Wenn man vor die Wahl gestellt werde, wasserhungrige Fruchtbäume am Leben zu erhalten, die den zehnfachen Profit pro Hektar bringen, oder Gemüse zu pflanzen, dann falle die Entscheidung leicht, wenn man »seine Profite maximieren will«. Deswegen würden in diesem Jahr im Central Valley viele Gemüsefelder brachliegen, während die Farmer sich bemühten, die lukrativen Fruchtbäume zu retten. Die Resultate dieser Marktreaktion auf den Klimawandel seien »konterintuitiv«, wundert sich »Slate«: »Mitten in der schwersten Dürre seit einem halben Millennium werden gerade die wasserintensivsten Feldfrüchte bevorzugt angebaut.«