Durchgespielt! – Dreamfall: Chapters

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Im Ankündigungsartikel  zu Red Thread Games Dreamfall: Chapters sprach ich bereits davon: Acht lange Jahre haben Fans der Serie sehnsüchtig gewartet und das nach einem üblen Cliffhanger. Wie würde der nächste Part nun weitergehen? Ist es nach so langer Zeit überhaupt möglich, die vorherige Storyline direkt an ihrem Endpunkt aufzugreifen und die Geschichte glaubhaft weiterzuerzählen? Was erwarten Kenner und Liebhaber der Spielewelten um Stark und Arcadia und ihrer Protagonisten? Und eignet sich das Game auch für Einsteiger, wie es auf der Rückseite der Verpackung von Dreamfall: Chapters angepriesen wird? Was hat sich in der Technik des Spiels in der vergangenen acht Jahren getan und wie viel “Adventure” ist geblieben? All das und noch mehr soll in diesem Artikel behandelt werden, geschrieben von einem echten Fan und treuen Liebhaber der gesamten Serie – und ich muss zugeben, im Moment bin ich noch nicht so ganz sicher, was ich denken soll. Aber dazu später mehr.

Und, ach ja: Natürlich wird hier nichts zu den vergangenen Teilen und diesem Spiel gespoilert (soweit es möglich ist).

Jenen, die die vorherigen Teile nicht gespielt haben, aber trotzdem wissen möchten, ob Dreamfall: Chapters etwas für sie ist, lege ich zunächst den genannten Vorgänger dieses Artikel ans Herz, in welchem beide Vorgänger spoilerfrei in ihrem Prinzip und der Story erklärt werden. Es gilt aber natürlich: Spielt sie. Es lohnt sich. Und ich gebe zu…für einen Neueinsteiger stelle ich mir insbesondere den Anfang von Dreamfall: Chapters nur schwer verdaulich vor.

Ein Schnelltest:

Stark / Arcadia / Zeit der Geschichten / April Ryan / Newport / Watilla / Wonkers / Gleichgewicht / Hüter / Raven / die Drachen / Lady Alvane / Krähe / Winter / Der Vagabund / Krähenboy / Dreammachine / Dreamtime / Reisende / Träumerin / das Symbol des Gleichgewichts / Portale / und ja…auch der quitsche-blaue Schwimmreif mit Entenkopf!

Keine Ahnung, was das alles ist? Ja, es wird zum Teil erklärt. Aber Vieles eben auch nicht.

 

Präziser Anschluss – Die Story

Wir beginnen genau dort, wo wir im zweiten Teil vor acht Jahren aufgehört haben. Natürlich ist ingame nicht so viel Zeit vergangen – ein Jahr nach der Handlung darf sich Zoe Castillo, eine unserer Protagonisten, aus ihrem komatösen Zustand erheben und erneut die Cyberpunk-hafte Welt von Stark erkunden – und vielleicht auch bald das mittelalterliche, magische Arcadia?… Hier dürfen wir uns zunächst mit einem weiteren Bekannten aus dem Vorgänger durchschlagen, dem Krieger Kian Alvane. Spieler von Dreamfall wissen: Da fehlt doch noch jemand?…Und das hat nicht ohne Grund etwas mit dem Cliffhanger des zweiten Teils zu tun. Doch dazu soll hier nichts verraten werden – denn auch ich weiß nach Beendigung des erschienenen Gameparts noch nicht, was es damit nun genau auf sich hat. Der Raum für Spekulationen ist für Kenner des ersten Teils, The longest Journey, hierbei am größten – ebenso wie die weiterführende Ebene eines Verständnisses für die Tiefe der Story, der Welt und ihrer Bewohner. Alleine die erste Szene des Spiels erscheint für Neueinsteiger vermutlich mit einem großen Fragezeichen, da sie in dieser Spielepisode nicht weiter erklärt wird.

Bereits an diesem Punkt sei gesagt: Obwohl das Spiel an vielen Stellen seines überwältigenden Anfangs versucht, dem Neueinsteiger zu erklären, wo er sich hier befindet, was er hier tun soll und wer er eigentlich ist, stelle ich persönlich mir das Ganze als etwas zu Viel zum Nachholen der “Basics” vor. Nicht nur, dass man keinerlei Beziehung zu alten Charakteren, geschweige denn zum Protagonisten hat, mit dem man in der Vergangenheit allerhand Abenteuer erlebt hat; besonders das Verständnis um die Mechanik zwischen den Welten Stark und Arcadia, die Bedeutung verschiedener Symbole oder allein nostalgische Anspielungen auf frühere Begegnungen oder Objekte verlieren für den Spieler an jeglicher Emotion und Bedeutungsschwere.

Doch muss das schlecht sein? Zoe lag im Koma, sie erinnert sich nicht an die Taten, die sie in der Woche begangen hat, bevor man sie in diesen Zustand versetzte – doch man berichtet ihr davon. Und genauso wird es dem unwissenden Neueinsteiger gehen, der quasi mit der Protagonistin zusammen die Vergangenheit aufdecken darf. Kein schlechter Schachzug der Entwickler. Dennoch bleibe ich dabei: Es geht zu viel verloren und einiges an Emotionen und Verständnis wird auf der Strecke bleiben, wenn man die Vorgänger nicht gespielt hat. Trotz Pixelbrei bei The longest Journey: Gebt es Euch. Ein zauberhaftes Spiel und einer der Adventure-Klassiker.

Kommen wir zurück zur eigentlichen Story:

Die komatöse Zoe in der traumhaften Zwischenwelt Die komatöse Zoe in der traumhaften Zwischenwelt “Zeit der Geschichten”

Das Spiel beginnt in der Zeit der Geschichten, in welcher Zoe ihren komatösen Körper und dessen zunehmend schlechter werdenden Zustand beobachtet. Doch in der winterlichen verlassenen Landschaft aus hohen schneebedeckten Felsen warten zahlreiche schimmernde Lichter darauf, begutachtet zu werden – es sind träumende Menschen. Menschen, die an die sogenannten Dreammachines angeschlossen sind, in welchen sie bewusst Träume erleben können – ein gefährliches Freizeitvergnügen, doch ein wachsender Hype. Jenen Personen kann Zoe in den ersten Spielminuten helfen; quasi ein kleines Tutorial, in welchem wir auch in die jüngsten und vergangenen Ereignisse eingeweiht werden. Doch bleiben wir natürlich nicht ewig hier. Nach einer ersten großen Entscheidung, die sich tatsächlich schon direkt auf das folgende (Zoe betreffende) Kapitel auswirkt, dürfen wir aus dem Schlaf erwachen. Anschließend wechseln wir zu Kian, dem bereits erwähnten Krieger und Dreamfall Protagonisten, der in einem Gefängnis in Arcadia auf seine Hinrichtung wartet. Dass wir dieser entgehen müssen, erscheint logisch. Und auch hier werden Entscheidungen getroffen.

 

Decisions, decisions… – Die Steuerung und das Entscheidungssystem

Wir spielen, wie im direkten Vorgänger Dreamfall, in Third-Person-Ansicht mit WASD und Maus (wahlweise mit Gamepad oder auch nur mit der Maus); über ein Aktionsrad können wir direkt an Interaktionsobjekten und Personen auswählen, was wir tun wollen. Die Freiheit, alles Mögliche anzuklicken, lässt uns das Spiel nicht. Laufen wir herum und sehen uns um, springt der Cursor direkt auf mögliche interessante Punkte, um uns darauf aufmerksam zu machen. In der Regel können wir uns Zoes Kommentare dazu auch anhören, während wir weiter herumlaufen – das spart Zeit. Und erinnert an moderne Adventures, beispielsweise aus dem Hause Telltale (The Walking Dead, The Wolf among Us, …).

Im Vorgänger Dreamfall konnte man unter anderem schleichen, was für einige Situationen der einzige Lösungsweg war. Der Nachfolger Chapters bietet bisher (vollkommen ausreichend) die Optionen des normalen Gehens und des schnellen Rennens an; wahlweise an der Tastatur mit der altbekannten Shifttaste zu bedienen, oder aber durch eine bloße Maussteuerung durch Betätigung beider Tasten – enstpanntes Spielen, auch ohne Gamepad. Per Tab wird das Inventar geöffnet, in welchem Gegenstände auch kombiniert werden können.

 

Bisher füllt sich das Inventar beider Charaktere nur minimal - aber gebastlet werden durfte schon (was, das müsst ihr dann selbst herausfinden)Bisher füllt sich das Inventar beider Charaktere nur minimal – aber gebastelt werden durfte schon (was, das müsst ihr dann selbst herausfinden)

Interessant wird es in Dialogen. Dreamfall: Chapters pries bereits seit seiner Ankündigung die Entscheidungsfreiheit und die schwerwiegende Bedeutung der Entscheidungen der Spieler an. Während eines Gesprächs können wir somit nicht allerhand Themen abklappern, sondern entscheiden uns, auf welches Thema – abhängig von den vorherigen Aussagen/der Stimmung/unseren Ambitionen – wir weiter eingehen möchten. Oder, welche Entscheidung wir treffen. Diese Wahl kann uns banal erscheinen, doch man kommt schon ins Grübeln, wenn nach Auswahl unserer Antwort Telltale-like ” (diese Person) wird sich das merken.” über den Bildschirm flimmert.

Bedeutendere Entscheidungen sind mit einem Symbol gekennzeichnet – und hier haben wir es wieder, das fehlende Vorwissen. Es handelt sich, wie auf dem Cover des Spiels, um das Symbol des Gleichgewichtes; vor allem bekannt aus The longest Journey. Und man ahnt es: Mit diesen Entscheidungen (meist hop oder top) beeinflussen wir das Gleichgewicht und den weiteren Storyverlauf. Das kann direkt umgesetzt werden, jedoch auch in den folgenden Büchern des Spiels. Mag man uns noch? Gefährden wir unsere Beziehung? Wird eine Person, die wir später erst kennenlernen, uns das krumm nehmen oder uns belohnen? Und wie machen wir das mit uns selbst aus? Was bedeutet unsere Entscheidung für die Welt, die Geschichte, unsere Freunde und Feinde und vor allem: Für uns?

Dreamfall: Chapters gelingt es ausgezeichnet, dieses Gefühl von “darüber denke ich jetzt lieber mal kurz nach” und ebenso das erschreckende “huch, das war wichtig?!” aus uns herauszukitzeln. Gut zur Übersicht, aber eigentlich fies: Am Ende des Buches werden alle Entscheidungen aufgelistet und mit Kommentaren versehen, sowie mit einem Prozentsatz der Community Entscheidungen. Und ich gebe zu, ich war ziemlich irritiert, als ich erkannte, dass die Entscheidung, meinem Freund die altgediegene Käsesuppe oder doch lieber die neumodische Schweinswurst zum Essen mitzubringen, als “weitreichende Entscheidung mit unerwarteten Konsequenzen” betitelt wurde. Bis zum nächsten Part werde ich mir nun denken: “Oh mein Gott, was habe ich nur getan?!” – und habe keine Ahnung, worauf das hinauslaufen wird. Ebenso wie 50 % der Community, die die gleiche Entscheidung getroffen haben.

 

Ein Junkie, angeschlossen an eine DreammachineDas Aktionsrad zeigt mögliche Interaktionen an. Außerdem zu sehen: ein Junkie, angeschlossen an eine Dreammachine

 

Politisch, technisch, umfangreich – Die Spielwelt (Stark)

3 Monate nach ihrem Erwachen ist Zoe mit ihrem Freund, dem Enthüllungsjournalisten Reza, von Kapstadt nach Europolis gezogen, um ein neues Leben zu beginnen und daran zu arbeiten, sich zu erinnern – denn auch ihr Aufenthalt in der Zeit der Geschichten scheint verblasst. Die Welt Stark des Jahres 2220 erinnert an Cyberpunk, sie ist stark industriell geprägt (haha, Stark…*hust*) und von politischen Unruhen geprägt – vor allem in Europolis, einem Bereich, der unter anderem das, was wir unter Europa verstehen, zusammenfasst. Zoe lebt im Bezirk Propast, zugehörig zu Prag. Und es fallen auch familiäre Begriffe wie Berlin, Dresden oder Triest – ein geografischer Bezug ist schon mal da.

Doch trotz all der Technik, intelligenten Robotern, billig herstellbaren Organen und scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten, zeigt sich schnell, wie begrenzt Zoes neues Leben wirklich ist. Zwischen den beeindruckend hohen Gebäuden – die einfach fantastisch aussehen! – dringt keine Sonne in die düsteren Häuserschluchten. Alles wird beleuchtet von bunten Neonreklamen und künstlichem Licht – das auch fantastisch aussieht! – Straßenhändler tummeln sich mit Imbisswagen und Nippes am Wegesrand, alles scheint geschäftig – und politisch. An den Häuserwänden prangen Werbeplakate, die den Spieler an tatsächliche vergangene Zeiten erinnern. “Born to lead: Konstantin Wolf” verspricht ein gesäubertes, reines und geeintes Europa (das kennen wir doch…), Marxisten protestieren auf den Straßen und die rot-blauen Farben der “Lea Uminska”, einer Sozialdemokratin, leuchten von weiteren Bannern. Werbebots fliegen umher, versuchen sogar, den Menschen an ihren Haustüren Dreammachines und Softdrinks zu verkaufen – und bewerben vor allem den ominösen Konstantin Wolf, der die Meinungen der Stadtbewohner spaltet.

 

Händler, Imbisswagen, Nippes und Schätze - das Backsteinviertel von PropastHändler, Imbisswagen, Nippes und Schätze – das Backsteinviertel von Propast

 

Und auch Zoe ist mittendrin im politischen Geschehen, eigentlich nur als ein Hobby, doch dies soll sich bald ändern. Die weitläufigen grau schimmernden Gassen mit den bunten Lichtern und aufwendigen Animationen fliegender Luftschiffe und Schuttles zwischen den Hochhäusern, laden zunächst zum Verirren ein. Da hilft auch nicht die sprechende Stadtkarte, der Krähenboy. Zu Erkunden gibt es viel, scheinbar im späteren Spielverlauf auch einiges zu begehen. Doch zunächst führt uns die Handlung aus der Praxis von Zoes Psychotherapeut in die Arbeitsstelle ihres Freundes Reza, der an neuen Enthüllungsgeschichten bei der “The Hand that feeds” arbeitet. Unterwegs fallen sofort die zahlreichen schwer gepanzerten und bewaffneten Wachen auf; das Eye, eine Art Polizei der Regierung. Um Unruhen zu vermeiden – und natürlich auch aus anderen Gründen – wurden rund um den Bezirk Straßensperren errichtet. Keine Metro, kein Ausgang – nicht ohne geprüfte Formulare und Papiere. Hier geht es also erst einmal nicht weiter. Politik ist das Stadtthema Nummer 1, verraten nicht nur die Plakate, sondern auch die Dauerschleifen der Passantengespräche. Weiteres Unbehagen findet sich in den dunklen Straßenecken: Hier liegen Junkies, an Dreammachines angeschlossen (man darf es sich wie eine Gesichtsmaske vorstellen) und vegetieren in realitätsfernen Träumen vor sich hin. In vielen Haushalten sieht es nicht anders aus, erfahren wir.

 

Das Eye ist überall präsentDas Eye ist überall präsent

Sprachlich zeigt sich Dreamfall: Chapters, wie seine Vorgänger, humorvoll, nachdenklich, aber auch sehr erwachsen. Sexuelle Anspielungen, die häufige Verwendung des verärgerten Ausrufes (beginnend mit den Buchstaben Sch****) und zahlreiche Slangwörter, mit denen anscheinend noch nicht einmal Zoe viel anfangen kann begegnen dem Spieler sehr häufig in der Umgebung. Aber es hält sich einem ästhetischen und angemessenen Rahmen.

Neben der “Hand that feeds” können wir uns außerdem zum “Inferno”, einer heruntergekommenen Roboter-Werkstatt, begeben, um dort für unsere launische Arbeitgeberin ein paar Tests an einer “Neu”anschaffung zu durchzuführen. Die erste bedeutsame Quest und das erste etwas fordernde Rätsel (wie befinden uns ja schließlich in einem Adventure) erhalten wir jedoch am Wahlbüro der Uminska, in dem wir ehrenamtlich Dienst an einer Sache tun, die wir zwar ganz gut finden, die uns bisher aber nicht ganz so mitgerissen hat. All das findet am Ufer eines schmalen Flusses statt, der sich durch das Viertel zieht, die roten Lampignons eines chinesischen Marktes spiegeln sich in Wellen des Wassers und die Menschen schlängeln sich vorbei an allerlei dubiosen Händlern, die neben nicht so vertrauenserweckend aussehend künstlichen Organen sogar ganze synthetische Ziegen anbieten. Der übrige begehbare Bereich des Bezirks erhebt und senkt sich in diversen Ebenen über die Map, was ihn nicht gerade übersichtlicher, aber umso interessanter macht. Etwas höher gelegen befindet sich auch das kleine Apartment von Zoe und Reza, in dem wir uns ebenfalls umsehen können.

Wohin es uns nach dem Abschluss der zweiten Zoe-Passage verschlägt, soll nicht verraten werden. Dieses Interludium gibt jedoch den bereits genannten Raum für umfangreiche Spekulationen und macht mehr als nur neugierig auf den nächsten Part.

 

Beeindruckende AussichtenBeeindruckende Aussichten

 

“Hilfe! Bitte helft mir!… Hilfe! Bitte helft mir! …Hilfe! Bitte…” – Über kleine Bugs, Glitches und Dauerschleifen

Dreamfall: Chapters ist aufgrund seines Umfangs in Bücher aufgeteilt; beim Kauf des Spiels erwirbt man jedoch nicht nur sofortig Buch 1, sondern gleichzeitig auch Season Passes zu den folgenden Büchern, die in Abstand zueinander erscheinen sollen – das erscheint sowohl positiv, als auch vielleicht ein bisschen…sagen wir, nervenaufreibend. Die Wirkung des Ganzen? Mehr Zeit für die Entwickler = auch hoffentlich eine ausgereifte Umsetzung + Spannung für uns Spieler. Bei der fehlerfreien Umsetzung hakt es allerdings schon in Part 1.

Ja, es ist Crowdfunded. Ja, es ist ein kleines Team. Ja, es geht im Kern natürlich um die Story. Ja, Grafik ist nicht so wichtig. Aber, mögen manche sagen…

In meiner kurzen Spielzeit von circa acht Stunden (und ich habe mir Zeit gelassen und mich des Öfteren verlaufen) sind mir einige Grafikfehler, aber vor allem Lokalisationsfehler (Sprachaufnahmen) untergekommen. Der witzigste und gleichzeitig etwas schwierige Glitch ereilte mich zu Beginn des Spiels in der Kian-Passage, beim Ausbruch aus dem Gefängnis. Und ja, nun muss ich spoilern. “Jemand” rief mir blutender Weise und schon halb im Sterben zu “Hilfe! Bitte helft mir!” – ich eile natürlich sofort zu ihm, um mit ihm zu reden. Klar will ich ihm helfen, doch zunächst darf ich mich entscheiden, ob ich ihn auch nach einem Weg nach draußen frage. Gesagt, getan. Und seine Antwort?

“Hilfe! Bitte helft mir!” … nun gut, okay? Das wollte ich ja sowieso. Nächste Entscheidung: Soll ich ihm einen letzten Wunsch erfüllen oder nicht? Ja, aber klar mache ich das – ich bin ja ein ehrenvoller Krieger. Er lehnt sich also schwer atment zu mir, ich halte still mein Ohr an seinen Mund, wartend auf seinen letzten Wunsch und –

“Hilfe! Bitte helft mir!” … spätestens hier war mir klar: Verdammt, Dauerschleife. Ich sage an dieser Stelle nur “Shaun!!!” (diesen Glitch bitte unbedingt bei Youtube anschauen, wenn ihr ihn nicht kennt).

Okay. Quest aktualisiert. “Den letzten Wunsch erfüllen”. Ja, aber welchen?! Ich laufe umher, suche alles ab und er immer nur “Hilfe! Bitte helft mir!”. Na toll. Dann finde ich ein Messer. Ich kombiniere: Er am sterben, ich habe ein Messer, er hat einen letzten Wunsch. Ob das jetzt die korrekte Auslegung ist?… Nun gut, es hat dann doch alles funktioniert, wie es sollte, aber dennoch ist so ein Glitch/Bug wirklich hinderlich, wenn man nicht weiß, was das Ziel der Quest ist.

Andere Bugs ließen mich durch geschlossene Türen in nicht texturiertes Gebiet marschieren. Wieder andere spielten Soundfiles ab, die hier gar nicht hingehörten und mir sogar die folgende Story spoilerten – und dies trifft auf kaputte Dialoge, als auch auf Objektinteraktion zu. Dann wäre da noch das Grafikflimmern, das aber anscheinend modisch sein soll und die bunten Reflektionen der Umgebung direkt vor die Iris des Spielers klatscht – Bug oder nicht, es hat genervt. Dann noch die Türen, die einfach nicht die Hitboxen der Charaktere berücksichtigen und durch sie hindurch schwingen; ähnliches gibt es unter den wandernden NPCs zu beobachten. Jene sind übrigens recht hölzern animiert und im Einheitslook a lá Copy/Paste gestaltet, was nach einiger Zeit schon auffällt. Auch der Unterschied zwischen den aufwendigen Gesichtsanimationen von Zoe und anderen bedeutsamen Charakteren und den unwichtigeren NPCs sticht ins Auge, ist jedoch meiner Meinung nach nicht von Relevanz – letztlich geht es um die Gesamtatmosphäre und die stimmt. Die leichte Emotionslosigkeit der Gesichtsmimik der bedeutsamen Charaktere in Dialogen kratzt dabei allerdings ein bisschen am ansonsten gelungenen Look.

Also: alles nicht so schlimm. Ich frage mich nur, episodenhaftes Veröffentlichen, um Qualität zu gewährleisten und dann das?… Ich empfinde es nicht als schlimm, Fehler passieren überall. Aber ich habe dazu auch andere, entäuschtere Stimmen gelesen.

 

Tiefsinnige Monologe, umfangreiche Dialoge, nervende Dauerschleifen und herzerwärmende Nostalgie – noch ein Wort zur Gestaltung

Ja, es sind nur acht Stunden und es ist nur das erste Buch. Danach ändert sich bestimmt einiges an der Umgebung. Aber ich muss gestehen, dass mich die Sprachfiles der Passanten in Propast wirklich gestört haben. Der zu erkundende Bezirk ist vergleichsweise umfangreich und wunderbar detailliert gestaltet; grafisch ein absoluter Hingucker. Doch das anfängliche Verlaufen und das Zurücklegen der immer selbigen Fußwege führt dazu, auch immer wieder an den selben Passanten vorbei zu laufen. Und deren Kommunikation untereinander bekommen wir nicht einfach beiläufig als abgerissene Gesprächsfetzen mit, sondern immer wieder aufs Neue; scheinbar, wenn wir die entsprechende Schleife auf dem Boden berührt haben. Denn dann beginnt die Sprach-Schleife. Immer wieder wird ein und derselbe Text (mehr haben die “Deko-NPCs” bisher nicht) abgespielt und das immer wieder von vorne, wenn wir vorbeilaufen. Haben wir ihn komplett gehört und bleiben stehen, kommt nichts mehr. Aber gehen wir einmal um die Ecke und kehren zurück, geht es wieder los. Ein beiläufiger Ausschnitt aus dem Gespräch hätte mir gereicht. Durch die Kürze des ersten Buches mag es vielleicht auch nicht dafür gedacht sein, hundert Mal daran vorbeizulaufen.

Ein weiterer Punkt, der sehr viel Liebe zum Detail und zur Umsetzung aufzeigt, aber auch etwas künstlich und auf Dauer nervig erscheint, sind die anfänglichen Monologe und Dialoge, die sich aber mit der Spielzeit enorm verbessern. Zum Einen sind beide Parts unglaublich lang und ausufernd, zum Anderen werden vor allem in Zoes Monologen Formulierungen verwendet, die mehr an einen Poetry-Slam-Contest erinnern, als an die Gedanken, die man sich vielleicht normalerweise machen würde. Als positives Element der Dialoge ist allerdings die technische Umsetzung des vorherigen “gedanklichen” Anhörens möglicher Antworten zu nennen, die bei Aktivierung der Antwort nicht noch einmal wiederholt, sondern verkürzt wiedergegeben werden.

Besonders schön gelungen sind folgende Elemente:

Am Straßenrand findet sich ein Musiker mit Gitarre – und zwar ein Echter, Egil Olsen. Denn Red Thread Games suchte vor Veröffentlichung nach Bands und Künstlern, die sich selbst im Spiel verewigen wollten, in Straßenacts, Radiosendungen oder Clubmusik. Und hier haben wir einen von ihnen, der als Singer und Songwriter in leisen Tönen auf der Gitarre zaubert und ein wenig Ruhe in der geschäftigen Welt schafft. Ich bin auch beim ersten Erkunden hängen geblieben. Und hey – er ist der einzige Umgebungs-NPC, dessen Soundfile nicht wieder von vorne beginnt, wenn wir vorbeilaufen, sondern durchläuft!

Ich habe ihn schon erwähnt, die virtuelle Karte mit dem sprechenden Krähenboy. Fans von The longest Journey werden wahrscheinlich, wie auch ich, ein amüsiertes und nostalgisches Lächeln auf den Lippen haben.

Der aufblasbare blaue Entenschwimmreif ist zurück! Das Interaktionsobjekt aus The longest Journey finden wir auf einem verwitterten Plakat mit Foto und Text wieder, welches den Besitzer des wiedergefundenen Schatzes sucht. Eine gelungene Anspielung!

Egil Olsen an der Gitarre - da bleibt man gerne stehen und hört zuEgil Olsen an der Gitarre – da bleibt man gerne stehen und hört zu

 

Zufrieden oder nicht zufrieden? – Das Fazit

Unzufrieden bin ich nicht. Nachdem ich das erste Buch beendet habe, bin ich auf jeden Fall neugierig und wieder gänzlich in den Welten von Stark und Arcadia versunken. Ich hatte vielleicht an der ein oder anderen Stelle eine sauberere Umsetzung erwartet. Und ja, vielleicht auch mehr Content. Denn wahrscheinlich müssen sich Spieler noch einige Zeit gedulden, bis der nächste Part nach “Buch 1: Reborn” erscheint. Was die Story angeht, bin ich allerdings absolut begeistert, neugierig und werde mich bis zum Erscheinen des nächsten Parts mit anderen Spielern in Foren verkriechen und spekulieren.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Mechanik des Spiels in Steuerung und Entscheidungsfeatures unglaublich gut funktioniert und großen Spaß macht; eine würdige Erweiterung des ursprünglichen Prinzips. Hier hat man das Gefühl, dass die eigenen Entscheidungen, mögen sie noch so banal sein, Konsequenzen haben werden. Doch an Rätseln mangelt es leider bisher, vielmehr wird man – ähnlich der erwähnten Telltale Games – durch die Handlung und Umgebung geleitet, die jedoch positiver Weise frei begehbar ist. Ein wenig mehr Interaktion mit Objekten, als das bloße Anschauen, hätte nicht geschadet.

Die Umgebung ist ebenfalls stimmig und glaubhaft gestaltet. Technik-kritische Aussagen des zweiten Teils Dreamfall, die dort vor allem als Eindruck weitergegeben wurden, werden hier in Worten und Taten verstärkt; hinzu kommt das politische Element um den aktuellen Wahlkampf und die Unruhe in der Bevölkerung. Dreamfall: Chapters ist düster, kontrovers, glaubwürdig und interessant – und ebenso faszinierend anzusehen. Wie sich die Welt Arcadia entwickelt hat und welche Unruhen dort toben, bleibt für den nächsten Part abzuwarten.

Durch die Überschüttung mit Informationen aus Dreamfall und die bisher fehlenden Informationen aus The longest Journey kann ich jedoch Neueinsteigern dieses Spiel zwar als interessantes und spannendes Adventure empfehlen, jedoch nicht guten Gewissens als Einzelgame anpreisen (man beachte jedoch meine Voreingenommenheit durch das Spielen beider Vorgänger). Bundles beider Vorgänger sind erhältlich und bereiten auf die komplexe Welt mit ihren zahlreichen Strukturen, Personen, Elementen und Geschichten vor und bieten zudem eine emotionale Bindung an “die längste Reise” und den “Traumfall”, den der Spieler gemeinsam mit seinen Charakteren April, Zoe und Kian bestreitet.

Um jedoch objektiv zu bleiben, erwähne ich noch einmal das Koma-Beispiel: So, wie Zoe ihre Geschichte erzählt bekommt und nach und nach aufdeckt, wird es auch dem Neueinsteiger gelingen, ein gutes Spieleerlebnis zu erzielen. Wer jedoch den vollen Umfang genießen möchte, sollte die anderen Teile auf jeden Fall spielen. Man spielt ja auch nicht nur Mass Effect 3. Das macht zwar Spaß, erfüllt aber nicht das Prinzip einer Trilogie und ebenso gestaltet es sich hierbei – denn Dreamfall: Chapters wird leider den Abschluss der Langen Reise bilden.

Man darf gespannt sein, wie es weitergehen wird!

 


 

Ein paar Daten

Dreamfall: Chapters (Ende der Trilogie um The Longest Journey und Dreamfall)

Red Thread Games (Dev+Pub)

Third-Person Adventure im Fantasy-Setting mit entscheidungsbasiertem Storyverlauf

Erscheint in Episoden

Bei Steam für 29,99 € erhältlich (beeinhaltet Buch 1: Wiedergeboren, sowie den Season Pass für die kommenden Episoden – diese sind im Preis inklusive)


 


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