Durchgelesen – „Sommerwogen – Eine Liebe in Briefen“ v. Mark Twain

„Sommerwogen“ ist nicht nur eine Liebesgeschichte in Briefen, sondern ein autobiographisches Vermächtnis, das zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der Leser erhält einen aussergewöhnlichen Einblick in das Privatleben von Mark Twain.

Samuel Langhorne Clemens hat in seiner Jugend bereits kleine Reportagen und Anekdoten geschrieben. Nach seiner Druckerlehre verdiente er sich sein Geld mit vielen kleinen Jobs, unter anderem auch als Lotse auf dem Mississipi. Mit einem Leitartikel hatte er dann endlich als Journalist seinen Durchbruch und wurde unter seinem Pseudonym „Mark Twain“ bekannt.

Mit 32 Jahren verliebte er sich zum aller ersten und einzigen Mal in seinem Leben. Immer Sommer 1867 auf der Fahrt mit einem Schaufelraddampfer lernte er den Mitreisenden Charles Langdon kennen, der das Bild seiner Schwester Olivia bei sich hatte. Ab diesem Moment war es um Twain geschehen. Er traf sie zum ersten Mal im Winter des gleichen Jahres in New York. Danach folgten noch zwei weitere Treffen. Und im August 1868 verbrachte er einige Tage im Haus der Eltern von Charles und Olivia Langdon.

Olivia war eine schöne, zarte, mädchenhafte und sehr gebildete junge Frau. Äusserlich wirkte sie auf Twain immer sehr zerbrechlich, doch ihr Inneres war von einer besonderen Stärke. Sie verströmte Mut, Tatkraft, Offenheit und Ehrlichkeit. Sie hatte einen Collegeabschluss und war sehr belesen. Mark Twain dagegen war eher ein rauher Bursche, er fluchte gerne und er liebte Zigarren und Alkohol. Jedoch war er so verliebt in Olivia trotz ihrer Diszipliniertheit und Vernunft. Stürmisch wie er war, hatte er bei seinem Aufenthalt bei Olivias Eltern im Sommer 1868 gleich nach vier Tagen um ihre Hand angehalten. Dieser Heiratsantrag wurde natürlich abgelehnt, doch Olivia wies ihn trotzdem nicht gänzlich zurück, sondern gestattete ihm, weiter Briefe zu schreiben, allerdings unter der Anrede „Schwester“:

„Meine verehrte Schwester, Du bist so gut & so schön, & ich bin so stolz auf Dich! Gib mir ein kleines Zimmer in Deinem grossen Herzen, nur das kleine, das Du mir versprochen hast, & wenn ich mich seiner nicht würdig erweisen sollte, will ich für immer ein heimatloser Vagabund bleiben, der ich bin!“

Mark Twain durfte sich dann endlich im Februar 1869 mit seiner geliebten Olivia verloben, nach dem er seinen Schwiegervater davor noch mit Referenzen überzeugen und sich eine feste Anstellung suchen musste. Ein Jahr später heirateten sie im Hause der Familie Langdon. Die erste Zeit danach war wunderbar für die Beiden. Doch dann wurden sie mit vielen Schicksalsschlägen konfrontiert. Olivias Vater starb, sie bekam ihr erstes Kind (Sohn) und erkrankte danach schwer an Typhus. Olivia wurde ein zweites Mal schwanger und sie gebar eine kleine Tochter.  Kurz darauf starb der Sohn im Alter von fast 2 Jahren an Diphterie. Olivia war  verzweifelt und geschwächt und Mark Twain war oft wegen seiner Vortragsreisen unterwegs. Doch ihre gemeinsame Liebe gab ihnen Kraft und Zuversicht. Twain liebte  seine Frau sehr, was er in jedem seiner Briefe an Olivia (Livy) deutlich zeigte und schrieb:

„Mein lieber kleiner Schatz, meine unvergleichliche Frau, ich sehne  mich wie verrückt nach Dir. Du weisst ja gar nicht, wie sehr ich Dich liebe. Du wirst es nie wissen. Weil immer Du das Schwärmen übernimmst, wenn wir zusammen sind, & es keinen Zweck hat, wenn wir es beide tun – ein Schwärmer nimmt für gewöhnlich dem anderen das Wort aus dem Mund. Aber jetzt liegt ein Ozean zwischen uns, & ich muss schwärmen. Ich bete Dich einfach an, liebe Livy.“

Im Sommer 1878 reisten Mark Twain und Olivia gemeinsam nach Europa. Aufenthalte in Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz standen auf dem Programm. Twain suchte Ruhe, Abgeschiedenheit, und einen Ort, wo ihn niemand kannte und keiner Englisch sprach, um arbeiten bzw. ungestört schreiben zu können. In dieser Zeit entstand unter anderem sein berühmter Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“. Er schrieb Briefe an seine Familie, an Livy, wenn er sich mal wieder an einem anderen Ort befand, als sie.

„Sommerwogen“ ist ein Lesegenuss! Fast 30 Jahre lang schrieb Mark Twain Briefe an seine geliebte Frau. Dies ist eine feine  Auswahl seiner umfassenden Korrespondenz. Leider gibt es nur wenige Antworten von Olivia in diesem Buch, da die meisten ihrer Briefe verlorengegangen sind.  Dieses Werk enthält darüberhinaus auch noch einige Briefe an seine Kinder, die Eltern und Freunde. Selten hat man so etwas Geistreiches, Entzückendes und Liebevolles gelesen. Mark Twain ist dem Leser manchmal nur durch Tom Sawyer und Huckleyberry Finn bekannt.  Doch spätestens durch „Sommerwogen“ kann der Leser eine ganz neue Seite an Mark Twain entdecken. Seine Briefe sind zauberhaft, manchmal kitschig, witzig, humorvoll und immer sehr authentisch. „Sommerwogen“ ist mehr als eine sprachlich brillant geschriebene Autobiographie in Briefen, es ist pures Leben!



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