Durchgelesen – „Schwüle Tage“ v. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling (1855-1918) stammt aus einem alteingesessenen baltischen Geschlecht. Er wurde im heutigen Lettland geboren, wo er seine Jugend verbrachte. Er ging als Zwanzigjähriger nach Wien , da er in seiner Heimat als gesellschaftlicher Aussenseiter galt. Er studierte an der Universität Wien Kunstgeschichte und Philosophie. Nach seinem Studium verwaltete er die Güter in seiner ehemaligen Heimat, siedelte aber nach dem Tod der Mutter mit seinen drei Schwestern nach München um. 1897 erkrankte er schwer und erblindete. Sein gesundheitlicher Zustand zwang ihn, die letzten Jahre in München nur noch in seiner Wohnung zu arbeiten, in dem er seine Werke seinen Schwestern diktierte. Eduard von Keyserling zählt zu den bedeutendsten impressionistischen Erzählern.

Schwüle Tage“ ist eine feine kleine Novelle, die das Leben, die Liebe und die Sorgen des Hauptprotagonisten Graf Bill von Fernow während eines Sommers äusserst poetisch und anmutig beschreibt.

Bill von Fernow, ein junger Graf  - gleichzeitig auch der Ich-Erzähler  -, muss die Sommerferien dieses Mal mit seinem Vater verbringen, anstatt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern ans Meer fahren zu können:

„Schlimmer noch war es, allein mit meinem Vater den Sommer verbringen zu müssen. Wir Kinder empfanden vor ihm stets grosse Befangenheit.“

Er wird bestraft von seinem Vater, Graf Gerd von Fernow, da er seine Abiturprüfung nicht bestanden hat. Bill soll auf dem Gut der Familie für die neuen Prüfungen lernen. Es ist für ihn eine schreckliche Vorstellung, diese so sehr ersehnte Sommerzeit mit seinem Vater verbringen zu müssen, der ihn immer von oben herab behandelt:

„Mein Vater sah mich gelangweilt an, gähnte diskret und meinte: «Es ist wirklich nicht angenehm, ein Gegenüber zu haben, das immer seufzt und das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, spielt. Also – etwas Tenue – wenn ich bitten darf.»“

Doch Bill hat auch noch neben seiner nicht bestandenen Abiturprüfung andere Sorgen. Er fühlt sich nicht nur ungeliebt von seinem Vater, sondern er spürt auch die unerwiderte Liebe zu dem Mädchen Gerda aus dem Nachbargut. Gerda ist nämlich verliebt in den Verlobten ihrer Schwester Ellita. Ja und Ellita hat wiederum ein Verhältnis mit Bill’s Vater, das er per Zufall entdeckt. Bill ist nicht schockiert, sondern höchstens überrascht. Zum ersten Mal sieht Bill in den Augen seines Vater Gefühle und Schwäche. Die Vater-Sohnbeziehung war eine Mischung aus Liebe, Hass, Bewunderung und Verachtung.

„Zu Hause, in meinem Zimmer, fühlte ich mich bange und erregt. Das Leben schien mir traurig und verworren. Schlafen konnte ich nicht. Aufdringliche und aufregende Bilder kamen und quälten mich. Die Nacht war schwül.“

Bill empfindet eine unendlich starke Sehnsucht nach körperlicher Liebe, welche sehr feinfühlig, aber intensiv, von Eduard v. Keyserling beschrieben wird. Auch die Liebe seines Vaters zu Ellita, welche leider sehr dramatisch endet, schlängelt sich wie ein roter Faden durch diese kraftvolle und lyrische Novelle.

„Schwüle Tage“ ist ein schmales feines Buch, das den Leser trotz der Vater- und Sohnprobleme und den unerwiderten Liebesgefühlen in eine beschwingte, sommerliche Stimmung versetzt. Die Kunst der Beschreibung und die Magie der poetischen Sprache machen diese Novelle zu einem kleinen literarischen Meisterwerk. Eine wunderbare Lektüre für sonnige und nicht nur für „schwüle“ Tage!



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