Durchgelesen – „Sarahs Schlüssel“ v. Tatiana de Rosnay

Sarahs Schlüssel“ ist kein historisches Werk. Nein, es ist ein sehr bewegender,unglaublich spannender und wichtiger Roman gegen das Vergessen und für das Erinnern an ein dramatisches historisches Ereignis in Frankreich, bzw. in Paris: die Zusammentreibung der Juden im Vélodrom d’Hiver, kurz genannt Vel d’Hiv, am 16. und 17. Juli 1942.

An diesen beiden Tagen wurden ca. 13000 Juden – darunter mehr als 4000 Kinder – aus Paris und aus den Vororten verhaftet und nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet. Das Pariser Vélodrom d’Hiver (eigentlich ein Radsport-stadion) diente dazu, die zusammengetriebenen und von der Polizei der französischen Vichy-Regierung  - auf Befehl der NS-Besatzung –  verhafteten Juden unter extrem menschenunwürdigen Bedingungen bis zu dieser Deportation festzuhalten.

Der Roman spielt in zwei Erzählebenen, die erste Ebene beginnt im Juli 1942 und die zweite im Mai 2002. Die Hauptfiguren sind Sarah Starzynski, ein jüdisches 10-jähriges Mädchen und Julia Jarmond, eine amerikanische Journalistin, die seit 25 Jahren in Paris lebt und mit einem Pariser verheiratet ist.

Sarah erlebte einen unbeschwerten Sommer mit ihren Eltern Rywka und Wladyslaw und ihrem kleinen Bruder, bis am einem Julitag im Jahr 1942 Polizisten vor ihrer Wohnungstür stehen und sie verhaften wollen. Sie ist vollkommen überrascht und erschrocken, aber trotzdem so besonnen, dass sie ihren kleinen Bruder noch zu retten versucht, in dem sie ihn in einen Wandschrank einsperrt, der als Spielversteck eingesetzt wurde. Sie versorgt ihn noch mit Wasser, tröstet ihn und verspricht ihm, ihn so schnell als möglich hier wieder herauszuholen. Den Schlüssel zu diesem Schrank hält sie ab diesem Zeitpunkt in ihrer Jackentasche fest. Sie wird nach entsetzlichen Tagen im Vel d’Hiv mit ihren Eltern in ein Zwischenlager gebracht, aus dem sie – getrieben von der Sorge um ihren kleinen Bruder und den Wunsch in aus dem Schrank zu befreien – jedoch fliehen kann. Sie findet Unterschlupf in der Nähe von Orléans in einem Bauernhof, deren Besitzer – ein älteres Ehepaar –  mehr als mutig und entschlossen sind, Sarah zu helfen. Unter höchstem Risiko gelingt es ihnen mit Sarah nach Paris zu fahren und ihre ehemalige Wohnung aufzusuchen, um endlich ihren Bruder in die Arme schliessen zu können. Doch inzwischen wohnt in diesem Appartement eine andere nicht jüdische französische Familie. Sarah ist erstaunt, stürmt durch die Wohnung, den Schlüssel immer noch fest in der Hand, öffnet den Schrank und findet ihren Bruder – verdurstet. Diese Situation ist sowohl für Sarah, als auch für die dort wohnende Familie, eine entsetzliche Tragödie. Und sie wird es immer bleiben…

Julia Jarmond, amerikanische Journalistin, verheiratet mit dem eher sehr egozentrischen und schwierigen Betrand Tézac, lebt seit 25 Jahren in Paris. Ihre Ehe ist auch nicht ganz unbelastet, noch dazu möchte ihr Mann unbedingt in die Wohnung seiner Grossmutter – genannt Mamé – einziehen, die sich im Marais-Viertel – dem jüdischen Zentrum in Paris – befindet. Sie ist davon nicht sehr überzeugt, obwohl sie Mamé als einziges Mitglied der Schwiegerfamilie sehr mag. Denn sie fühlt  sich immer noch nicht richtig zugehörig und bleibt auch für die Familie ihres Mannes immer die „L’Américaine“. Sie arbeitet bei einer kleinen Zeitung, die hauptsächlich von in Paris lebenden Amerikaner gelesen wird. Anlässlich des 60. Jahrestages des Vélodrome d’Hiver bekommt sie einen Auftrag, darüber einen Artikel zu schreiben. Bei den Recherchen entdeckt sie, dass diese Wohnung im Marais-Viertel, genau die Wohnung war, in der Sarah, ihr kleiner Bruder und ihre Eltern gelebt haben. Und diese Tragödie wurde während ihrer Ehe mit Betrand nicht ein einziges Mal angesprochen. Julia spürt diesem Familiengeheimnis immer mehr nach. Sie stösst auf Erkenntnisse, die ihr Leben zwar komplett aus dem Gleichgewicht bringen. Doch sie sorgt dafür, dass diese Erlebnisse zum ersten Mal ausgesprochen werden und diese Tragödie auf gar keinen Fall in Vergessenheit gerät….

Das Buch ist absolut kein Thriller, aber es hat seine Sogkraft!. Tatiana de Rosnay kann durch die parallel verlaufenden Zeitebenen – welche am Ende zusammenfinden –  eine unglaublich intensive Spannung erzeugen, dass es für den Leser fast unmöglich wird, das Buch aus der Hand zu nehmen. Ihre Sprache ist ungekünstelt, direkt und sehr klar. „Sarahs Schlüssel“ ist so berührend und erschreckend, dass man sich nicht wundern muss, wenn beim Lesen einem ganz unbewusst die Augen feucht werden und sich teilweise ein beklemmendes Gefühl einstellt. Dieser Roman wirkt nicht nur sehr lange nach, sondern fordert dazu auf, sich bewusst zu erinnern und niemals zu vergessen!



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