Richard Yates zählt zu den grössten und wichtigsten amerikanischen Schriftstellern und Essayisten. Geboren 1926 in Yonkers, New York und gestorben 1992 in Birmingham, Alabama lebte er bis zu seinem Tode in Kalifornien. Seine Werke haben zu seinen Lebzeiten nie die Anerkennung erhalten, die sie verdient hätten. Er arbeitete als Journalist, Lehrer und begann seine Karriere als Romancier 1961 mit dem Werk „Zeiten des Aufruhrs“, welches erst kürzlich von Sam Mendes verfilmt wurde. Ende der sechziger Jahre waren Yates und sein umfassendes Werk immer mehr in Vergessenheit geraten. Inzwischen wurde Richard Yates wieder neu entdeckt. Seine Kurzgeschichten zählen zu den besten des 20. Jahrhunderts. Heute vergleicht man ihn mit Autoren wie J.D. Salinger und John Updike. Sein Leben wurde geprägt von Höhen und Tiefen, er war ein psychisch labiler Trinker und gleichzeitig ein echter Realist. Er zog das Unglück an, versuchte aber ebenso diesem zu entfliehen. Und das Schreiben war sicherlich eines der sinnvollsten Fluchtmittel, die er finden konnte.
„Ruhestörung“ gehört zu seinen wichtigsten Romanen und erschien bereits 1975. Jetzt liegt dieser intensive und erschütternde Roman zum ersten Mal in der bemerkenswerten deutschen Übersetzung von Anette Grube vor. Das Buch erzählt eine dramatische Geschichte, die den Leser in die düsteren und erbärmlichen Winkel der menschlichen Seele blicken lässt.
Der Hauptprotagonist - John Wilder – ist ein beruflich erfolgreicher New Yorker Anzeigenverkäufer. Er hat eine liebende Ehefrau – Janice – und einen zehnjährigen Sohn. Doch eines Tages im Spätsommer ändert sich das bis jetzt so glücklich scheinende Leben. Inzwischen wieder von seiner Dienstreise nach Chicago zurückgekehrt, ruft John seine Frau aus einer Bar an. Er klingt total verstört, macht einen betrunken Eindruck und ist vollkommen aufgelöst:
„«Verdammt noch mal, hörst du mir nicht zu? Ich habe gerade gesagt, dass ich nicht nach Hause kommen kann.» Sie beugte sich, auf der Kante des Doppelbetts sitzend, vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und hielt den Hörer mit beiden Händen fest. «Warum nicht?» fragte sie.“
John ist tatsächlich betrunken. Wenn Probleme auftauchen, flüchtet er sich immer öfter in den Alkohol. Er gesteht Janice, sie mit einer anderen Frau betrogen zu haben. Er ist verzweifelt, weil er kein Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn gekauft hat. Kurzum, er ist nervlich am Ende. Janice ruft voller Sorge seinen besten Freund Paul an, der Anwalt ist. Sie erklärt ihm die dramatische Situation, erzählt ihm von John’s Ängsten und ihren Ängsten, denn John hat gedroht, sie und ihren Sohn umzubringen.
Paul ist raffiniert, geht in die Bar, wo sich er und John immer treffen. Findet ihn und versucht mit ihm ganz zufällig ins Gespräch zu kommen. Doch John ist wirklich vollkommen fertig, hat mehrere Tage nicht geschlafen, ist total betrunken und kurz vor dem Zusammenbruch. Paul schafft es, John in ein Krankenhaus einliefern zu lassen, in dem er aber randaliert. Er wird sofort mit einem Krankenwagen ins Bellevue – die Psychiatrie – gebracht. Fünf Tage muss John an diesem Ort verbringen, denn es ist gerade das Thanksgiving – Wochenende und keiner der Ärzte ist im Einsatz. Geschlossene Abteilung, Alkoholentzug, Psychopharmaka, das ganz Programm ist ein wahres Trauma für John. Nach seiner Entlassung kehrt er erstmal zu seiner Frau zurück und arbeitet wieder erfolgreich weiter. Es folgen Psychotherapien und Treffen bei den Anonymen Alkoholikern. Man könnte glauben, dass er ernsthaft versucht, mit dem Trinken aufzuhören, doch die Flasche bleibt nach wie vor sein bester Freund. Er lügt alle an, seine Familie, seine Freunde und auch die Therapeuten und Ärzte, wie Dr. Blomberg:
„«Waren Sie bei den Treffen?» «Bei zwei. Das erste war grässlich…» Er versuchte mehrmals und ohne offenkundigen Erfolg zu erklären, warum. …. «Und Sie haben nicht getrunken?» «Nein.» Das war gelogen – auch nach dem zweiten, besseren Treffen hatte er in der Küche heimlich drei warme Bourbons getrunken, bevor er ins Bett ging – , aber es schien sinnvoll, in Anbetracht von Blombergs Honorar.“
Doch diese schrecklichen Tage in Bellevue lassen ihn wieder an einen Traum erinnern und somit bastelt er an einer neuen Idee, die ihn motivieren könnte, dem Trinken abzuschwören. Er will seine schlimmen traumatischen Erfahrungen und Erlebnisse in der Psychiatrie verfilmen und geht deshalb nach Hollywood. Doch da läuft leider alles gar nicht nach Plan und der Alkohol wird bald wieder sein wichtigstes „Nahrungs- und Beruhigungsmittel“….
„Ruhestörung“ ist ein aufwühlendes und provozierendes Buch. Es beschreibt mit unglaublicher Präzision die Selbstzerstörung eines eigentlich erfolgreichen, aber nicht erklärbar unglücklichen Mannes. Yates öffnet dem Leser kompromisslos die Augen und konfrontiert ihn unmissverständlich mit den Problemen – Sucht und Abhängigkeit – und den daraus entstehenden Konsequenzen. Das Buch ist nicht nur ein simpler Psychiatrieroman, sondern auch ein komplexes menschliches Psychogramm, das den Leser nicht so schnell loslässt. Richard Yates beschreibt mit seiner klaren und teilweise bedrohlich messerscharfen Sprache die Charaktere dieses Romans so authentisch wie die Fälle in einer psychologischen Studie über Alkoholprobleme. Vor allem die atemberaubenden Dialoge unterstützen die ungeschönte Realität und Dramatik des Romans.
„Ruhestörung“ ist ein Werk mit einem brisanten und nicht gesellschaftsfähigen Thema, das nie aktueller sein könnte. Als Leser sollten Sie jedoch beachten, dass dies keine leichte Problem-Lektüre für entspannte Stunden ist. Im Gegenteil es handelt sich hier um ein sehr literarisches und sprachlich äusserst differenziertes Buch, das den Leser unglaublich stark fordert und nachhaltig wachrüttelt.