Paris, bekannt und oft erwähnt als Stadt der Liebe, werden wir hier nicht nur als Schauplatz, ja sondern auch als Protagonistin erleben können, die anderen Menschen einen Raum bietet, die gegenwärtige Wirklichkeit mit der Vergangenen zu vergleichen, zu vermischen und neu zu entdecken.
Urs Faes (geboren am 13. Februar 1947 in Aarau) wuchs im Suhrental auf und absolvierte am Klosterinternat Wettingen sein Abitur. Danach studierte er Geschichte, Germanistik, Philosophie und Ethnologie. Unterbrochen durch verschiedene Auslandsaufenthalte in Irland, Nord- und Südamerika, schliesst er 1978 seine Dissertation an der Universität Zürich ab. Er arbeitet als Journalist u.a. beim Tagesanzeiger und der Neuen Zürcher Zeitung und schreibt seine ersten Gedichte und Prosatexte, die in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht werden. 1983 erscheint sein erster Roman « Webfehler ». Es folgen Theaterstücke, Hörspiele, Erzählungen und weitere Romane. Geehrt mit vielen Preisen, wie zum Beispiel dem Literaturpreis des Kanton Solothurns 1999 und dem Einzelwerkpreis der schweizerischen Schillerstiftung 2001 und 2008 für den Roman « Liebesarchiv » zählt Urs Faes zu den wichtigsten Schweizer Schriftstellern. Aktuell ist nun seine Erzählung « Paris. Eine Liebe » erschienen !
Wie bereits erwähnt und durch den Titel kaum anders vorstellbar, spielt diese sehr stimmungsvolle und intensive Erzählung in Paris. Wir haben September und genau nach fast dreissig Jahren kehrt Eric in « seine » Stadt wieder zurück, in der er damals Student war.
Er kommt am Gare de l’Est an und wird durch den Lärm und die Hektik irritiert, versucht ohne darüber nach zu denken, in diesem Gewühl nach einem grünen Mantel Ausschau zu halten, den Mantel den Claudine immer getragen hattte. Sie war eine junge Studentin, die ihn faszinierte, in die er verliebt war und die ihn bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr losgelassen hat. Doch heute wird er von André abgeholt. Er hat ihm ein Hotel in der Nähe der Sorbonne organisiert. André hat ihn überzeugt, dass er nach so langer Zeit endlich wieder einmal nach Paris kommt. Eric hat Angst, nicht vor der Stadt, aber vor den Erinnerungen, vor den erlebten Szenen mit Claudine, die ihm hier unbewusst wieder in gewisser Weise fast schon real vor Augen erscheinen werden. Eric ist überrascht, wie sehr sich Paris in den dreissig Jahren verändert hat, doch mit Andrés Hilfe entdecken sich noch den Charme von Früher und die alten Jazzkeller. Doch das Wichtigste für Eric ist, die Wege nachzulaufen und die Orte aufzusuchen, die mit Claudine in Verbindung standen.
Claudine war Eric’s grosse Liebe, er der « Lizentiat in Philosophie, verkrallt in eine Dissertation zur Bedeutung von Hegels Herr und Knecht für den marxistischen Diskurs » und sie eine Studentin mit langem blonden Haar, schmalen Händen und kurzgeschnittenen Nägeln. Claudine zeigte ihm Paris, und wenn er nicht da war, beschrieb sie die Stadt in ihren Briefen und erzählte ihm von ihrer Leidenschaft für Kirchen und Friedhöfe.
Mit André schreitet er die Stationen ab, an denen er mit Claudine liebte, lebte und diskutierte. Die Stadt war wie eine Gesamterinnerung an seine Zeit und an seine Liebe :
« Alles war Paris, eine Liebeserklärung an Claudine, die durch die Rue de Rome gegangen war, ihr fiel das Licht zu, das abendlich mild auf der Strasse traf, den Asphalt sprenkelte. Ihr gehörten die Chansons. Bonjour la vie / Bonjour mon vieux soleil / Bonjour ma mie / Bonjour l’automne vermeil… »
Claudine machte ihn glücklich, ihre Stimme faszinierte Eric und er war berauscht durch ihre Erscheinung und ihre Art. Doch in den Februartagen vor dreissig Jahren war Claudine zwar in Paris, sie hatte jedoch wenig Zeit für ihn und schickte ihn mit ihrem Stadtplan allein durch Paris. Und jetzt geht er wieder allein durch die Stadt, zumindest was Claudine betrifft. André begleitet ihn auf seiner Erinnerungswanderung. Er trifft auf eine ehemalige Concierge in der Rue de Sèvres 88, wo er unter dem Dach in einem Chambre de bonne die « schönsten Jahre seines Lebens » verbracht hat. Auch die Concierge wundert sich :
« Und was sie denn suchten, fragt sie und tritt näher an sie heran.
Das, was zurückgeblieben sei von damals. »
Was nun wirklich zurückgeblieben war, konnte bzw. kann Eric dies noch in “seiner” Stadt der Liebe, in Paris, finden ? Damals, oft bevor Claudine und Eric in die Metro eingestiegen waren, begann sie einen Satz, ohne ihn je zu vollenden, mit : « Ich muss Dir noch etwas sagen ». Wird Eric noch herausfinden, was sie ihm eigentlich immer und schon sehr lange mitteilen wollte…?
Urs Faes hat dem Leser eine traumhaft schöne Erzählung von gerade mal 65 Seiten geschenkt, die durch die zarten sensiblen Zeichnungen von Nanne Meyer nicht nur ergänzt, sondern auch in ihrer Intensität bestärkt wird. Der Leser spürt mit der unglaublichen Feinfühligkeit der Sprache diesen besonderen Zauber und die unsterbliche Magie von Paris, die sich trotz ihrer Veränderung in den letzten dreissig Jahren auch heute noch wiederfinden lässt. Die Liebe zur Stadt und die Liebe zu Claudine sind fast eins. Es ist wie eine verbindende Liebeserklärung, denn wie Claudine ist auch Paris eine « Frau » : geheimnisvoll, direkt, unangepasst, verrückt, charmant, zart, hart und unberechenbar.
« Paris. Eine Liebe » ist ein literarisches Kleinod an Inspiration, Sprache, Atmosphäre und Gefühl. Urs Faes schreibt wie selbst erlebt. Man erkennt kleine autobiographische Annährungen, entdeckt seine Liebe zur Stadt Paris und zu den Frauen und wünscht sich nach dieser emotional berauschenden Lektüre nichts Sehnlicheres als auf den Spuren von Claudine und Eric durch Paris zu flanieren…!