Kennen Sie auch diesen unbeschreiblichen Duft eines Buches? Ein Duft, der angenehm nach Papier und Holz riecht. Ein Duft, der sich in die Nase des Lesers einnistet und die Lektüre begleitet, bis er das Buch am Ende aus der Hand legt. Es ist ein sehr sensuelles Erlebnis, auf das jeder Bibliophile sicherlich nie verzichten möchte. Ja und wer könnte diesen Duft eines Buches nicht besser beschreiben und erklären als ein Buchbinder bzw. eine Buchbinderin.
Anne Delaflotte lässt uns mit ihrem ersten Roman „Mathilde und der Duft der Bücher“, der nun ganz aktuell auch in deutscher Übersetzung erschienen ist, eintauchen in Welt des Buchbinderhandwerks. Anne Delaflotte ist 1967 in Auxerre geboren und im Burgund aufgewachsen. Sie studierte in Paris internationales Recht und Diplomatie und ist selbst gelernte Buchbinderin. Seit 1993 betreibt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Alexander Mehdevi, eine internationale Buchhandlung in Prag. Inzwischen lebt sie dort auch als freie Schriftstellerin.
„Mathilde und der Duft der Bücher“ spielt in einem kleinen Ort namens Montlaudun in der Dordogne. Mathilde ist eine junge Frau Ende zwanzig und hat sich nach einer sehr atemberaubenden Karriere als Diplomatin in Paris für das Buchbinderhandwerk entschieden, welches bereits ihr geliebter Grossvater ausgeübt hatte. Sie hat sich von ihrem Erbe und Ersparten ein Haus in diesem kleinen Dorf gekauft. Mitten im Dorfkern arbeitet Mathilde in ihrem Laden-Atelier zwischen zum Teil sehr netten Nachbarn, wie der Bäcker André und der Schuster Sébastien, aber auch schwierigen alteingesessenen Damen wie die Besitzerinnen des kleinen Tante Emma Ladens. Das Geschäft läuft für Mathilde jedoch sehr schleppend und sie muss sich um ihre Kundschaft mehr als bemühen, fast schon kämpfen.
Doch sie bereut ihre Entscheidung nicht, jetzt als Buchbinderin zu arbeiten, denn sie liebt Bücher. Jeden Morgen geniesst sie ihr Frühstück im Atelier umgeben von Büchern und streicht danach ihre Hand über die Buchrücken der noch zu restaurierenden Werke:
„Dann erst mache ich richtig Bekanntschaft mit dem Objekt. Es reicht nicht aus, es bloss in Augenschein zu nehmen, man muss das Gewicht fühlen, Mass nehmen, es in der Hand spielen lassen. Manchmal schweife ich ab und lese aufs Geratewohl hier und da einige Zeilen. Damit verstosse ich gegen die Regeln meines Grossvaters und Lehrmeisters, der die Ansicht vertrat, ein Buchbinder habe nicht zu lesen. Ein Analphabet sei für die Arbeit am geeignetsten, ob es nun seine Enkelin war oder sonst wer. Er empörte sich über die Auffassung, man dürfe ein Buch schon vorsichtig aufschlagen und sich an seinem Stil ergötzen, wenn der Leim vielleicht noch nicht ganz trocken, der Block aber schon fest ist.“
Eines Tages – Mathilde ist sehr vertieft in ihre Arbeit – klopft es an der Tür und ein junger, sehr attraktiver Mann betritt ihr Atelier. Er übergibt ihr ein altes und durch Brandspuren beschädigtes Buch zur Restauration. Mathilde ist ganz verwirrt, der Mann ist ihr vollkommen unbekannt, scheint auch nicht aus dieser Gegend zu kommen. Er versprüht jedoch einen ungewöhnlichen Duft nach Wald und Erde, der sie fasziniert. Der Mann wirkt kränklich und schwächelt. Sie versucht ihm zu helfen, aber er lehnt ab, gibt ihr eine Anzahlung von 100.- Euro und sagt, dass er das Buch nach sechs Tagen, so wie Mathilde es vorgeschlagen hat, wieder abholen werde. Er wollte keine Quittung und die eigentlichen Preisver-handlungen sollten zwei Tage später stattfinden. Doch dazu kommt es nicht mehr. Der unbekannte junge Mann wollte nach dem Besuch in Mathildes Atelier zum Bahnhof, um den Zug nach Paris nehmen zu können, doch leider wird er von einem LKW auf dem Bahnhofsplatz erfasst und ist sofort tot.
Mathilde ist geschockt und vollkommen durcheinander. Und genau in diesen Momenten helfen nicht nur die netten Nachbarn, sondern vor allem ihr geliebter „Cyrano“. Das berühmte Buch „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand ist ihr Lieblingswerk. Es liegt auf ihrem Nachtisch und tröstet sie in schwierigen Zeiten. Es hilft bereits das Lesen einiger Zeilen und schon kann das Leben wieder weitergehen.
Das alte Buch dieses verunglückten Mannes liegt nun auf ihrem Ladentisch und Mathilde hat nicht mal den Namen des Besitzers, geschweige denn die Adresse. Was soll sie tun? Sie sieht sich das Buch in Ruhe an: es enthält Zeichnungen und Aquarelle einer galloromanischen Tempelanlage in einem Wald. Mathilde entscheidet sich für die Restaurierung und entdeckt dabei eine handgeschriebene Namensliste. Sie wird neugierig und fängt an, Nachforschungen zu unternehmen. Sie spürt, dass dieses alte Buch ein Geheimnis enthält, welches sie unbedingt aufdecken muss. Doch Mathilde hat nicht gedacht, dass auch dadurch für sie Probleme entstehen können: ihre mühsam akquirierten Aufträge werden annulliert, es wird schlecht über ihre Buchbindekunst geredet und es wird so gar in ihrem Atelier eingebrochen. Hat dies alles vielleicht mit dem alten Tempel-Buch des unbekannten Mannes zu tun … ?
„Mathilde und der Duft der Bücher“ ist ein faszinierendes, zauberhaftes, aber auch spannendes Buch. Selten finden wir in Romanen die Buchbinderhandwerkskunst so sensibel und authentisch beschrieben wie in diesem wunderbaren Werk. Man möchte sich am Liebsten bei der Lektüre neben Mathilde stellen, das Leder berühren, seine Nase in das Papier halten und zusehen, wie sie den Block festklebt . Dieser Roman ist ein sprachlich so elegantes und musikalisches Buch! Allein schon durch die immer wieder eingebauten Stellen des „Cyrano der Bergerac“ und durch die literarische Feinfühligkeit, wie Anne Delaflotte über die restaurierende Bücher schreibt, als wären sie Lebewesen, lässt sie uns mit ihrem Roman nicht nur Edmond Rostand neu oder wiederentdecken, sondern auch den sensuellen Wert eines Buches erfassen.
„Mathilde und der Duft der Bücher“ ist ein ganz besonderes und aussergewöhnliches Prosastück, voll französischer Atmosphäre, Raffinesse und auch einer gewissen Dramatik. Anne Delaflotte hat darüberhinaus ein durchaus sehr informatives Werk in Punkto Buchbinderei, aber gleichzeitig einen sehr sinnlichen und luftigen Roman aus der Welt der Bücher geschrieben, der den Leser beglückt und in eine magische Stimmung versetzt. Nach dieser wundervollen Lektüre werden Sie in Zukunft immer ihre Hände zärtlich über den Einband eines Buches streichen und ihre Nase ganz zielstrebig an das Papier führen, um den ganz besonderen und vielleicht auch betörenden Duft der Bücher aufsaugen zu können!