Durchgelesen – “KL – Gespräch über die Unsterblichkeit” v. John von Düffel

Von Durchleser

By durchleser on 13. September 2015

Wollen wir nicht alle unsterblich sein, oder es zumindest versuchen ? In der heutigen Zeit könnten aus medizinischer Sicht die Chancen auf eine gewisse körperliche Unsterblichkeit gar nicht so klein sein. Aber ist diese Unsterblichkeit auch wirklich erstrebenswert, sowohl für sich selbst als für die Gesellschaft, in der wir uns bewegen ? Fragen über Fragen, die sich nicht sofort und vielleicht auch nur unter philosophischen Aspekten beantworten lassen. Wäre da nicht ein perfekter Kandidat für diese Fragen bereits vorhanden, der uns sicher weiterhelfen kann. John von Düffel hat diesen Menschen « getroffen » und zeigt uns in seinem neuesten Werk « KL –Gespräch über die Unsterblichkeit » das unglaublich beeindruckende Ergebnis.

John von Düffel, geboren am 20. Oktober 1966 in Göttingen, hat nach seinem Abitur Philosophie, Germanistik und Volkswirtschaftslehre studiert. Nach seiner Promotion arbeitete er als Filmjournalist und Theaterkritiker. Er war und ist Dramaturg an mehrerer deutschen Bühnen und ist derzeit am Deutschen Theater Berlin tätig. Nebenbei ist er Professor für szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Romane « Vom Wasser » (1998), « Beste Jahre » (2007) und « Goethe ruft an » (2011). John von Düffel wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet unter anderen mit dem Aspekte-Literaturpreis 1998 und dem Nicolas-Born-Preis 2006.

John v. Düffel begibt sich in seinem aktuellen Werk auf den Weg zu einem ganz besonderen « Interviewpartner » um ein nicht ganz einfaches Thema « Die Unsterblichkeit » erstmals so richtig zu durchleuchten. Wer könnte es nicht anderes sein als KL, den wir – selbst wenn wir mit Mode nicht das geringste zu tun haben oder uns dafür nur rudimentär interessieren –  als eine « unsterbliche » Persönlichkeit wahrnehmen. Gerade erst hatte er seinen angeblich 80. Geburtstag, denn so keiner weiss sein wirkliches Geburtsdatum, aber vielleicht macht genau dies die Unsterblichkeit aus, die KL so perfekt lebt und inszeniert.

Der Ich-Erzähler, das alter Ego von John v. Düffel – nennen wir ihn den Journalisten – wird standesgemäß vom einem Fahrer am Bahnhof in Paris abgeholt und es geht direkt in das Atelier von KL. Es folgt eine sehr lange Wartezeit. Natürlich kommt KL nicht gleich, es ist der Assistent, der zu erst einmal viele Punkte klarstellen muss, bevor das anberaumte Interview überhaupt stattfinden kann. Die Bedingungen sind schwierig, es gibt viele Gebote, wenig journalistische Freiheit, letztendlich kann man eigentlich fast keine Fragen stellen und die Interviewzeit darf dreissig Minuten nicht überschreiten. Der Journalist bereits desillusioniert von den komplizierten Umständen ist mehr als überrascht als KL plötzlich vor ihm steht.

KL gibt sofort klar zu verstehen, dass er grundsätzlich keine Interviews gibt und keine Gespräche mit Menschen führt, die er nicht kennt. Doch KL lässt seine Gedanken sprechen und es sprudelt nur so aus ihm heraus. Es geht über Kultur, Erziehungsfragen, Disziplin und deutsche Mentalität :

« Ich bin ein deutsches Mentalitätsmuseum, ein Vatikan der deutschen Tugenden, die wandelnde deutsche Tugend-Enklave – lachen Sie nicht ! »

Aber das ist nicht alles. Der Journalist versucht ein philosophisches Gespräch mit KL zu führen. Es drängt sich im Hinblick auf so viel Disziplin die Frage nach dem Genie auf. Denn für ein Genie wird KL of gehalten. Aber genau diese Bezeichnung wendet er vehement ab :

« Ich sage Ihnen, ich kenne Kollegen – hochtalentierte, begnadete Künstler ! – , die so mit dem Genialsein beschäftigt sind, dass sie überhaupt keine Zeit mehr haben zu arbeiten. Genie ist ein full-time-job. Mir persönlich ist das zu anstrengend. »

Kurzum, KL ist kein Genie und will auch keines sein und somit ist es kaum verwunderlich, dass er dem Journalisten eindringlich erläutert, wie hart er arbeitet, nicht konsumiert, was aber nichts mit Enthaltsamkeit zu tun hat und er nichts anderes als ein Produzent ist : « Ich bin ein Fließbandarbeiter im Luxussegment. »

Das Gespräch ist nach 27 Minuten und 30 Sekunden beendet und KLs Assistent begleitet den Journalisten wieder aus dem Atelier. Doch es bleibt nicht bei dieser einzigen Begegnung mit KL, davor trifft der Journalist noch ganz zufällig während zweier Zugfahrten BS und HS, zwei Damen – die eine im Show-Business eine mehr als beliebt bekannte Grösse und die andere eine « Politpensionärin » aus Schleswig-Holstein, die im Bezug auf Unsterblichkeit so einige Aspekte besteuern können und könnten. Doch letztendlich wird das Gesprächs-Finale mit KL – ausgerechnet in Deutschland und nicht in Frankreich – der philosophische Höhepunkt und dadurch werden nicht nur komplexe Fragen in puncto Unsterblichkeit sondern auch weitaus einfachere in Bezug auf die kaum zu bändigende Müdigkeit etc. beantwortet.

Dieses Buch befreit uns so unglaublich charmant vor Überheblichkeit, Unnahbarkeit und lässt die Hüllen der Distanz fallen, ohne jedoch unangenehm aufdringlich zu werden. Wir begegnen durch John v. Düffels KL einen Mann, den wir vielleicht – dank der Regenbogenpresse – glauben zu kennen, der deutscher ist als wir denken, der disziplinierter ist, als wir es uns je vorzustellen wagen und weder eine Ikone noch ein Genie sein möchte. Wie schön, dass von Düffel diese grandiose Kunstfigur KL geschaffen hat, die doch sehr viel mit einem gewissen Modedesigner namens Karl Lagerfeld gemeinsam hat bzw. haben könnte, er es aber nicht ist, oder vielleicht doch?

John v. Düffel kann mit seiner raffinierten Technik des literarisch-kunstvollen Interviews nicht nur tiefgreifende Probleme der profanen Übermüdung, sondern auch die Relevanz der kaum zu überbietenden Selbstvermarktung treffsicher analysieren. Er lässt seine Protagonisten, KL, aber auch die Damen BS – alter Ego vielleicht von Barbara Schöneberger – und HS – Heide Simonis – immer in einer respektvollen und fürsorglichen Umgebung agieren, somit ist dieses Buch keine böse und mit übler Nachrede gespickte Satire. Es ist ein sehr amüsantes, frech bissiges Werk, das die Disziplin und einige andere doch eher deutsche Tugenden gekonnt verpackt und in so manch anderes Licht rückt.

« KL- Gespräch über die Unsterblichkeit » ist ein mutiges Buch, ein Buch zum Lachen, Schmunzeln, aber eben auch zum Nachdenken. Es überrascht mit Begegnungen, gibt interessante und unerwartete Einblicke in eine Gesellschaft, die alles versucht, der Unsterblichkeit mit welchen Mitteln auch immer näher zu kommen !


Hugo von Hofmannsthal – Gedicht

Kategorien:Bücher, Deutschland, Durchgelesen, Literatur

Schlagwörter:Distanz, Gesellschaft, Interview, John von Düffel, Müdigkeit, Tugenden, Unsterblichkeit