« Die besten Wochen meines Lebens begannen damit, dass eine Frau mich verliess, die ich gar nicht kannte. » so lautet der vollständige Titel der deutschen Übersetzung dieses äusserst poetischen und originellen Romans. Aber den eigentlichen literarischen Schlüssel dieser feinen Liebeskomödie findet man leider nur im französischen Titel « Peut-être une histoire d’amour ». Das « peut-être » (vielleicht, oder kann sein) beschreibt das wahre Geheimnis dieser Geschichte, ein Geheimnis, das sich um die Schwierigkeiten, Höhen und Tiefen des realen oder fiktiven Lebens dreht, in welches der Leser hier ganz en passant spielerisch eintaucht.
Martin Page, geboren am 7. Februar 1975, verbrachte seine Jugend in einem südlichen Pariser Vorort. Er hatte viele Studiengänge wie zum Beispiel Jura, Psychologie, Philosophie, Kunstgeschichte und Soziologie begonnen, aber niemals abgeschlossen. Er arbeitete unter anderem als Nachtwächter und Putzmann. Mit 25 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman (« Comme je suis devenu stupide ») und lebt seit einigen Jahren als Schriftsteller in Paris, wie der Hauptprotagonist aus seinem Roman « Die besten Wochen meines Lebens… », welcher übrigens 2008 mit einem der wichtigsten französischen Literaturpreise dem « Prix Renaudot » ausgezeichnet und in zwanzig Sprachen übersetzt wurde.
« Die besten Wochen meines Lebens … » erzählt die Geschichte eines sehr erfolgreichen und attraktiven Pariser Junggesellen. Dieser junge Mann mit dem Namen Virgile, dreissig Jahre alt und ein Hypochonder wie er im Buche steht, arbeitet in einer sehr angesehenen Pariser Werbeagentur, die sich ganz in der Nähe des Louvre befindet. Ein Quartier, das ihm eigentlich nicht gefällt, ausser der Buchhandlung Delamain, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet, und für ihn oft als Rückzugsort dient. Trotz seiner herausragenden beruflichen Fähigkeiten, die sogar eine angemessene Beförderung entstehen lassen, welche er aber keinesfalls annehmen möchte, ist sein Leben eher ein Trauerspiel im Hinblick auf Liebesbeziehungen. Um es auf den Punkt zu bringen : Virgile wird ständig von den Frauen verlassen, was sein bereits sehr schwach ausgeprägtes Selbstwertgefühl noch mehr ins Wanken bringt. Doch spätestens an dem Tag, als per Anrufbeantworter Clara ihm mitteilt, ihn zu verlassen, ändert sich sein ganzes Leben. Doch wer ist eigentlich Clara ?
Virgile wird durch diese Trennung – von einer ihm unbekannten Frau – vollkommen aus seinem genau durchgeplanten Leben herausgerissen. Aber vielleicht sind diese Worte auf dem Anrufbeantworter wie ein unerwünschtes Geschenk, um seinem Leben ganz unbewusst eine neue Wendung geben zu können. Bis jetzt kann Virgile keinesfalls ohne seiner Therapeutin Frau Dr. Zetkin leben. Er kleidet sich immer gleich und hat seinen privaten Lebensmittelpunkt im 10. Arrondissement von Paris:
« Er wohnte in einer Absteige in der Rue de Dunkerque, genau gegenüber von der Gare du Nord und ihren Statuen. Im Erdgeschoss des Gebäudes befand sich ein Porno-Kino, das Calypso. Von den sechzehn Wohnungen dienten fünfzehn dem Austausch von Geld und Sekreten. Er hatte eine lange Zeit gebraucht, um sich an das ständige Stöhnen der Prostituierten und ihrer Kunden zu gewöhnen ; heute störte es ihn nicht mehr als Konzert der Grillen in der Provence. Aus seiner Wohnung drang wenig Getöse, Geschrei und Gebrüll nach draussen. Sein Tod hätte eine ernste Konsequenz, das wusste Virgile : Die Studien der gefühlsmässigen Katastrophen würden dramatisch ins Stocken geraten. »
Und nicht nur die Studien würden ins Stocken geraten, sein ganzes Leben und vor allem die bis jetzt erfolglose Suche nach einer Liebesbeziehung wären nur noch Schall und Rauch. Virgile ist vollkommen verwirrt, die Angst vor dem Tod, besonders vor einer unheilbaren Krankheit, wird durch diese Nachricht auf dem Anrufbeantworter immer grösser. Er denkt zwar auch an einen üblen Streich, doch ein Leiden, wie die Frühdemenz, scheint ihm immer wahrscheinlicher. Er kündigt sämtliche Anschlüsse wie Telefon und Strom und letztendlich so gar den Mietvertrag, weil er sicher ist, schwer krank zu sein. Virgile lässt sich durch eine Überweisung von seiner Psychoanalytikern in den Computertomographen schieben, um jegliche Anzeichen auf Frühdemenz oder andere Krankheitsbilder auszuschliessen. Zu seinem Erstaunen ist er vollkommen gesund, was seine Therapeutin nicht im geringsten verwundert.
Doch das Leben von Virgile, der übrigens nie ohne Marc Aurels Selbstbetrachtungen verreisen würde, steht weiterhin auf dem Kopf. Seine Ex-Freundinnen versuchen ihn zu trösten wegen Clara und unbekannte Menschen besichtigen seine Wohnung. Er sucht nicht nur nach Erklärungen, sondern auch nach Lösungen. Auch seine Angst, dass er durch die Liebe zu einer Frau, seine grosse Liebe zu Paris verlieren könnte, bereitet ihm grosses Kopfzerbrechen. Virgile merkt jedoch immer mehr, wie sehr ihm plötzlich Clara fehlt. Und deshalb entschliesst er sich, die unbekannte, geheimnisvolle Frau zurückzuerobern…
Martin Page hat mit seinem Buch « Die besten Wochen meines Lebens… » nicht nur eine subtile französische Komödie über einen ziemlich verrückten Grossstadtneurotiker geschrieben, sondern auch einen sehr intelligenten und witzigen Roman vorgelegt, der sich durch seine besonders raffinierte erzählerisches Qualität auszeichnet.
Wie bereits eingangs erwähnt, geht es hier um das « Vielleicht », das sich wie ein roter Faden durch die Fantasie und Wirklichkeit dieses Romans zieht. Eine Frau wie Clara, die nicht wirklich existiert, aber trotzdem real zu sein scheint, wenn sich all seine Ex-Freundinnen so rührend um ihn kümmern. Eine Frau, die mehr Fiktion ist, aber letztlich durch ihre « Existenz » das Leben vollkommen durcheinander bringt und den liebeskranken Helden sozusagen aus der Welt der « Toten » in die Welt der « Lebendigen » zurückführt.
Und genau diesen Weg beschreibt Martin Page – dank seiner sehr feinfühligen und gleichzeitig äusserst selbst ironischen Charakterisierung seines Hauptdarstellers – auf sehr humorvolle, aber intellektuell anspruchsvolle Weise. Gleichzeitig spürt der Leser Virgile’s grosse Liebe zu seiner Stadt :
« Wenn man die kulturelle, menschliche und ästhetische Wüste der Kleinstädte in der Banlieue oder in der Provinz kennengelernt hat, so ist Paris eine wahre Oase. Man darf nicht in Paris aufgewachsen sei, um in diese Stadt verliebt zu sein, wie man arm gewesen sein muss, um den Wert des Geldes zu schätzen. »
Und genau diese Pariser Oase könnte keine bessere Kulisse sein für Martin Page’s grandiosen komödiantischen Roman, der nicht nur eine ideale Spätsommerlektüre ist, sondern sich auch als sehr gute Grundlage für einen Woody-Allen-Film eignen würde !