Durchgelesen – „Die Austern des Monsieur Balzac“ v. Anka Muhlstein

Verspüren Sie auch beim Lesen dieses Titels sofort ein Gefühl von Appetit, Hunger und Lust auf Schlemmereien ? Dann könnte dieses Buch Ihnen wahrlich gut « schmecken », denn hier geht es hauptsächlich um Essen, Fressen, Völlerei und Genuss. Trotzdem ist dieses Werk kein Kochbuch mit irgendwelchen Rezeptangaben. Nein, es ist, wie bereits der Untertitel treffend festhält, « eine delikate Biographie » über den grossen Dichter Honoré de Balzac. Diese besonderen und sehr skurrilen Einblicke in Balzac’s Leben haben wir Anka Muhlstein zu verdanken, die in vorliegendem Autorenporträt auf sehr originelle, geistreiche und besonders unterhaltsame Weise erläutert werden.

Anka Muhlstein, geboren 1935 in Paris, ist Historikerin und lebt seit 1974 in New York mit ihrem Mann, dem Romancier und Anwalt Louis Begley ( bekannt geworden durch seinen Roman« Lügen in Zeiten des Krieges »).  Sie hat mehrere Monographien veröffentlicht, unter anderem über James de Rothschild und über den Seefahrer Cavelier de La Salle, für die sie  von der Académie Française ausgezeichnet wurde. Für die Biographie des  französischen Reiseschriftstellers Astolphe de Custine hat sie den überaus hochgeschätzten und begehrten Prix Goncourt erhalten.  Aktuell ist nun  – dank der grandiosen Übersetzung von Grete Osterwald – diese « delikate » Biographie über Balzac auf Deutsch erschienen.

Honoré de Balzac gehört  für die Franzosen neben Molière und Victor Hugo, zu einem ihrer grössten Schriftsteller . Balzac wurde  am 20. Mai 1799 in Tours geboren und starb am 18. August 1850 in Paris.  Sein Haupt- und Lebenswerk ist der aus 88 Bänden bestehende, jedoch unvollendete, Romanzyklus « Die menschliche Komödie » (« La Comédie humaine »), die sich hauptsächlich mit der Französischen Gesellschaft in allen nur erdenklichen Facetten beschäftigt.

Anka Muhlstein beantwortet in ihrem beeindruckenden Buch viele spannende Fragen : Warum verbringen die Romanfiguren bei Balzac immer so viel Zeit in Restaurants, in Esszimmer,  bei Tisch oder in der Küche ? Warum  konnte Balzac einerseits maßlos fressen und andererseits leben wie ein Asket? Welches Gericht verknüpft Balzac mit Armut? Und warum denkt er bei reizvollen Frauen grundsätzlich an irgendwelche Früchte ? Anka Muhlstein begibt sich auf die kulinarischen Lebens-Spuren von Honoré de Balzac. Sie lässt ihn nirgends aus dem Auge, verfolgt ihn wie ein Privatdetektiv und entdeckt dabei, dass die « Menschliche Komödie » nicht nur eine Art Sittengemälde , sondern auch eine kulinarische Gesellschaftsstudie ist,  die sich zum Teil liest wie ein Fress- und Restaurantführer aus dem  19. Jahrhundert.

Balzac hatte eher eine freud- und emotionslose Kindheit und Jugend erlebt, die er teilweise auch in einem Pensionat verbringen musste.  So wundert es niemand, dass seine Fantasie nicht anders konnte, als sich ihren Weg in Punkto gutem Essen, Genuss und Luxus  in Form von Prosa zu bahnen. Er arbeitete nach seinem Jurastudium kurze Zeit bei einem Notar und wohnte spartanisch in einer Mansarde in Paris. Doch ab 1820 hatte dieses « arme » Leben ein Ende. Balzac verfasste unter Pseudonym Schundromane, um Geld zu verdienen, gab jedoch gleichzeitig in der Regel das Doppelte seines Lohns sofort wieder aus. Und somit wurde er Zeit seines Lebens wegen seiner hohen Schulden von einer Angst begleitet, im Gefängnis landen zu müssen. Doch seine finanzielle Situation liess ihn nicht abhalten, Fressorgien und andere Exzesse zu durchleben und zu zelebrieren. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Balzac, immer wenn er an einem Werk arbeitete – zum Teil bis zu 15 Stunden am Stück -, so gut wie nichts zu sich nahm, ausser ein paar Kirschen oder Birnen, Brot ,Käse und Unmengen von starken Kaffee.

Aber nach getaner Arbeit stürzte sich Balzac in das Pariser Leben und lernte, was es heisst gut zu speisen. Er entdeckte ein Restaurant nach dem Anderen, welche der Leser in seiner « Menschlichen Komödie » jederzeit besuchen konnte. Anka Muhlstein beschreibt dies sehr treffend :

« Balzac liefert uns also eine regelrechte Reportage der gesellschaftlichen und gastronomischen Wirklichkeit. Es spaziert mit uns durch Paris, am rechten wie am linken Seineufer, schickt seine Figuren bald in die feinsten, bald in die ärmlichsten Lokale. In der « Menschlichen Komödie » nennt er über vierzig Restaurants, denn er begnügt sich nicht mit einigen  berühmten Namen. Und egal, wie prächtig oder wie bescheiden das Etablissement , er verweilt bei den Gerichten, die angeboten werden, aber, typisch Balzac, ihn interessiert auch, was sie kosten. So blättern wir in einem Führer, der Sterne verleiht, ohne je die Rechnung aus den Augen zu verlieren. »

Und genauso stellt man sich Balzac vor. Ein Schlemmer und Genussmensch mit dem Hang, sein Budget ständig zu strapazieren.  Wir schlendern in Balzacs Werk über Märkte, durch Feinkostläden und durch die Küchen verschiedenster Restaurants. Halten als Leser quasi die Nase in die Töpfe und Backöfen und werden betört durch die unbeschreibliche Düfte von gebratenen Rebhühnern, gekochtem Ragout, Würsten, köstlichen Makkaroniauflauf, Gelees, Pfirsichkompott und anderen Köstlichkeiten. Mit sicherem Schritt und lebendiger Begeisterung führt uns Anka Muhlstein in ihrer Biographie an diese Orte und zu diesen Gerüchen, so dass wir sie so schnell nicht vergessen können, und am Liebsten sofort in dem dazugehörigen Werk von Balzac alles genau nachlesen möchten. Doch diese Biographie geht noch weiter, denn sie zeigt neben den unterschiedlichen  Essgewohnheiten in der französischen Gesellschaft auch die Zusammenhänge zwischen Liebe und Essen. Für Balzac wurde nämlich die unerfüllte Liebe oft mit einem exzessiven Mahl kompensiert….

In dieser mehr als faszinierenden Biographie spürt man die Begeisterung von Anka Muhlstein für den grossen Schriftsteller Balzac von der ersten bis zur letzten Zeile. Dieses Buch ist ein wahrer Genuss ! Lesen Sie diesen literarischen « Speise- und Lebensplan », aber nur dann, wenn Sie bereits gut zu Abend gegessen haben, denn sonst werden Sie während dieser Lektüre sicher ein zu lautes Magenknurren vernehmen, was die Konzentration doch weitgehend einschränken könnte und das wäre zu schade. Dieses Autorenporträt macht grosse Lust auf das pralle Leben, auf gutes Essen, auf das schöne Paris und selbstverständlich auf das literarische Werk von Honoré de Balzac.



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