Durchgelesen – „Das amerikanische Hospital“ v. Michael Kleeberg

Das Leben schreibt viele Geschichten, traurige, mutige, schöne und intensive. „Das amerikanische Hospital“ ist eine von diesen nachhaltigen Lebensgeschichten, die besonders sanft, einfühlsam, aber auch unglaublich informativ und authentisch von Michael Kleeberg erzählt wird. Er selbst studierte Politische Wissenschaften, Geschichte und Visuelle Kommunikation. Sein literarisches Werk wurde mit dem Anna-Seghers-Preis (1996), dem Lion-Feuchtwanger-Preis (2000) und dem Irmgard-Heilmann-Preis (2008) honoriert. Seit 2000 lebt er als freier Schriftsteller und Übersetzer aus dem Französischen und Englischen in Berlin. Davor hat er 14 Jahre in Paris gelebt, eine Stadt die ihn sicherlich sehr geprägt hat und die auch der Schauplatz dieses Romans ist.

„Das amerikanische Hospital“ ist nicht nur der Titel dieses intensiven Romans, es ist auch der richtige Name eines privaten Krankenhauses in Neuilly, einem der nobelsten Vororte im Westen von Paris. Es ist in der Regel der Ort, wo Menschen Hilfe und Heilung suchen, aber es ist auch ein Ort der Begegnung. Und so kommt es, dass Hélène, eine 30 Jahre junge, dynamische und erfolgreiche Pariser Innenarchitektin, und David, ein amerikanischer Soldat, hier aufeinandertreffen. Im Herbst 1991 wartet Hélène an der Rezeption des American Hospitals und just in diesem Moment sieht sie einen Mann – Amerikaner – vor ihr zusammenbrechen. Er lag gekrümmt zu ihren Füssen und zuckte, als hätte er einen epileptischen Anfall. Sie sprang ihm sofort zur Hilfe, er klammerte sich an ihr so fest, dass ihr Kleid an der Taille aufgerissen wurde. Glücklicher-weise  kamen ihr zwei Pfleger zu Hilfe und sie wurde aus seinen starken Händen befreit.

Hélène hatte sich für das Hôpital Américain in Neuilly entschieden, um eine künstliche Befruchtung – eine sogenannte In-vitro-Behandlung – vornehmen zu lassen. Ihr Mann und sie wünschten sich unbedingt ein Kind. Aber sie konnte auf natürliche Weise keine Kinder bekommen, und für ihren Mann ist eine Familie ohne Kind keine richtige Familie. Unabhängig davon sollte sie auch noch ihre Arbeit aufgeben, um sich vollkommen auf die Behandlung konzentrieren zu können. Die Prozedur dieser künstlichen Befruchtung war unbeschreiblich aufwendig, Voruntersuchungen, Gespräche und schliesslich der erste Versuch im November. Ja und genau vier Wochen später bei der ersten Follikelpunktion, wo sie aufgrund einer leichten Narkose, eine Nacht im Krankenhaus verbringen musste, traf sie den Amerikaner wieder. Als sie in der Cafeteria sass, erkannte er sie, während sie beide jeder für sich ein Buch gelesen hatten:

„Entschuldigen Sie, sagte er im Stehen. Sie werden sich nicht erinnern. Sie haben mir -, er stockte. Sie waren sehr freundlich. Er blickte zu Boden. Sie haben sich um mich gekümmert, als ich -. Aber natürlich ! Jetzt lächelte sie im Wiedererkennen das Lächeln, das sie sich seinerzeit versagt hatte. Setzen Sie sich doch. Geht es Ihnen wieder gut? Er legte zuerst das Buch ab, bevor er dankte und Platz nahm. So fiel ihr Blick darauf. Oh! Elizabeth Bishop!,rief sie. Sagen Sie nicht, Sie kennen Elizabeth Bishop. The art of losing isn’t hard to master, zitierte sie, und sie schwiegen beide kurz. Hilfesuchend irrte sein Blick über den Tisch, dann las er, beinahe vorwurfsvoll: Aragon. Das sind ja auch Gedichte! La Diane Française…. „

Hélène freute sich über das Wiedersehen. Sie spürte eine unerklärbare Nähe zu diesem Mann, die sicherlich auf die gemeinsame Liebe zur Lyrik begründet war. Doch dies allein war es nicht. Sie erzählte ihm den Grund ihres Aufenthaltes im Hôpital Américain, dass sie nicht krank wäre, sondern unbedingt schwanger werden möchte. Er schwärmte weiter von Elizabeth Bishop, überhaupt würde für ihn die Poesie ein wichtiger Teil in seinem Leben spielen, noch dazu wo er die Literatur auch richtig studiert hatte.

Der erste Versuch der künstlichen Befruchtung scheiterte und sie musste sich Anfang des Jahres einer Ausschabung im Krankenhaus unterziehen. Sie liess sich nicht entmutigen und startete im Sommer darauf einen zweiten Versuch. Ihr Arzt machte ihr Hoffnungen. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass es nicht sofort funktioniert. Sie bräuchte Geduld. Hélènes Leben bestand von nun an nur noch aus Terminen bei ihrem Arzt. Das Hôpital Américain wurde wie eine Art „Arbeitsplatz“ zu dem sie regelmässig pendelte. Ja und dann sah sie ihn wieder und stellte mit Entsetzen fest, das er Soldat ist. Ein amerikanischer Soldat! Passt das zusammen: Lyrikliebhaber und Soldat? Sie konnte die Frage nicht beantworten. Sie war viel zu überrascht, um nicht zu sagen fast schon schockiert:

„Es stimmt schon, begann er, als sie sich im gegenübergesetzt hatte, ich hätte Ihnen gleich sagen sollen, dass ich Soldat bin. Ja. Man sollte das immer sofort sagen. So wie Aussätzige früher immer eine Pestklingel getragen haben. Damit die anständigen Menschen einen weiten Bogen schlagen konnten. Tut mir leid, wenn ich kurz angebunden war, sagte sie. Aber ich mag es nicht, angelogen zu werden, auch wenn das zu einer interessanten Unterhaltung geführt hat. Warum haben Sie mir erzählt, Sie hätten Literatur studiert, wenn Sie Soldat sind? Er sah sie ungläubig an. Aber ich habe Literatur studiert. So, so, so, neben dem Gewehrputzen? Ich meine es ernst, sagte er.“

David, der literaturstudierte amerikanische Soldat, ist im American Hospital Patient. Er wurde hier seit einer gewissen Zeit psychoanalytisch behandelt, um seine schrecklichen Erfahrungen im ersten Irakkrieg, bei dem er als Offizier teilgenommen hatte, zu verarbeiten. Er leidet an extremen Panikattacken, die sich nur sehr schwer in Griff bekommen lassen. David ist Berufssoldat mit Stolz und vor allem auch aus familiären Gründen. Hélène dagegen ist Pazifistin, sie findet den Krieg furchtbar und stellt auch die Rolle der USA in Frage. Dennoch fühlt sie sich von David irgendwie angezogen. Die beiden kommen sich näher, aber nicht in einer klassischen Liebesgeschichte. Sie werden Freunde und öffnen sich gegenseitig ihre verwundeten Seelen. David berichtet von seinen extremen Erfahrungen im Kriegseinsatz, von den Toten und Verwundeten. Hélène erzählt ihm von den weiteren erfolglosen Versuchen, schwanger zu werden. Zwei Menschen, die irgendwie beide, aber jeder für sich auf andere Weise, gebrochen und versehrt sind. Zwei Seelen, die durch intensive Gespräche und Zuhören voneinander erfahren, sich gegenseitig entdecken und sich in freundschaftlicher Weise „lieben“ und zu vertrauen lernen. Es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, die es ihnen erlaubt, den anderen jeweils zu unterstützen und zu helfen. Dadurch entsteht eine Kraft durch die sie beide am Ende des Romans eine ganz neue Art der Unabhängigkeit und Freiheit gewinnen ….

„Das amerikanische Hospital“ ist ein äusserst intimer Roman. Selten wird dem Leser ein so tiefer Einblick in die Seele zweier Menschen gewährt. Perfekt recherchiert sowohl im Bereich der künstlichen Befruchtung als im militärischen Bereich des ersten Irakkriegs, zeigt uns Michael Kleeberg wie nah die doch sehr unterschiedlichen Probleme der Menschen zusammenliegen können und welche Kräfte im Hinblick auf die Erkennung der menschlichen Tragödie entstehen können. Paris als Schauplatz bietet eine undurchdringbare Atmosphäre, welche beispielsweise bei den gemeinsamen Spaziergängen der beiden Hauptprotagonisten nicht besser in diesem Roman hätte beschrieben werden können. Bewundernswert ist jedoch vor allem das Einfühlungsvermögen von Seiten Michael Kleeberg, der sich wirklich unbeschreiblich kompetent, aber auch unglaublich sensibel in die Seele einer Frau ein denken, ja fast schon einleben kann. Die Geschichte wird erzählt aus der Sicht des Ehemannes von Hélène, was der Leser erst auf den letzten Seiten erfährt. Deshalb ist es um so bemerkenswerter wie fein die seelischen Qualen von beiden Hauptakteuren in die Privatwelt, aber auch in das Zeitgeschehen, integriert werden.

„Das amerikanische Hospital“ ist ein meisterhaft geschriebener Roman, voller Poesie und Dramatik. Ein Buch für Menschen, die sich bewusst sind, wie wichtig Freundschaft im Leben ist und die bereits erfahren haben bzw. noch erfahren werden, welch heilende und tröstende Wirkung ein Gespräch leisten kann.



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