Durchgelesen – “Blaubart” v. Amélie Nothomb

Wer kennt es nicht das Märchen von Blaubart ? Charles Perrault (1628 – 1703) war der Erfinder dieses frauenmordenden Blaubarts. Ein Märchen, das für zahlreiche andere Werke adaptiert wurde, sei es Dramen, Filme, Opern, Illustrationen, Erzählungen und jetzt auch für einen Roman. Amélie Nothomb hat sich dieser Geschichte in besonderer Weise angenommen und wir dürfen nun – dank der hervorragenden Übersetzung von Brigitte Große – einen neuen alten Blaubart entdecken, der aktuell in deutscher Sprache erschienen ist und bereits 2012 unter dem Titel « Barbe bleue » in Frankreich veröffentlicht wurde.

Amélie Nothomb – Tochter eines belgischen Diplomaten – ist am 13. August 1967 in Kobe (Japan) geboren. Sie verbrachte ihre ersten fünf Jahre in Japan. Aufgrund des Berufes ihres Vaters kamen längere Aufenthalte in China, New York, Burma und Laos hinzu. Erst im Alter von 17 Jahren kam sie nach Europa zurück. Sie studierte Romanistik an der Université Libre de Bruxelles. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie für ein Grossunternehmen in Tokio. 1992 kehrte sie nach Belgien zurück und veröffentlichte ihren ersten Roman « Hygiène de l’assassin » (« Die Reinheit des Mörders »), welcher von der Leserschaft und von den Kritikern frenetisch bejubelt wurde. Seitdem schreibt sie jedes Jahr einen Roman, der nach den Sommerferien in Frankreich erscheint. Sie wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, wie zum Beispiel « Grand Prix du Roman de l’Académie française » (1999) für den Roman « Stupeur et tremblements » (« Mit Staunen und Zittern »), « Grand Prix Jean Giono pour l’ensemble de son œuvre » et 2007 mit dem « Prix de Flore » für « Nid’Ève, ni d’Adam » (« Die japanische Verlobte »). Amélie Nothomb lebt als Schriftstellerin in Paris und Brüssel.

Nothombs Blaubart spielt in Paris des 21. Jahrhunderts. Die Hauptprotagonisten sind Saturnine (25 Jahre alt, sie arbeitet als Lehrerin an der École du Louvre) und Don Elemirio Nibal y Milcar (44 Jahre alt). Saturnine eine junge belgische Frau sucht schon lange eine neue Unterkunft. Aktuell wohnt sie noch bei ihrer Freundin Corinne in der Banlieu, doch sie möchte gerne im Zentrum von Paris leben. Sie meldet sich auf eine Anzeige für ein 40 qm- Zimmer mit Bad und Mitbenutzung der Küche in einem noblen Stadtpalais im 7. Arrondissement für nur 500.- Euro im Monat, und das in Paris. Für Saturnine ganz klar, hier muss irgendwo ein grosser Haken sein, denn die Preise liegen bei einem solchen Angebot meistens beim Doppelten. Somit ist es auch kein Wunder, dass die Nachfrage für dieses Zimmer sehr hoch ist und sie nun neben 15 anderen Frauen auf die Besichtigung warten muss. Während dieser Wartezeit hört sie interessante Informationen über den Vermieter Don Elemirio und die Vormieterinnen. Acht Frauen sollen es gewesen sein und sie sind, seitdem sie hier gewohnt haben, alle verschwunden oder vielleicht sogar tot ? Doch Saturnine lässt sich nicht verwirren und wird doch tatsächlich als neue Mieterin von Don Elemirio ausgewählt. Er zeigt ihr das Zimmer mit dem prachtvollen Bad und die modern eingerichtete Küche. Und sie wird darauf hingewiesen den Eingang zur Dunkelkammer nicht zu betreten. Alle andere Räumlichkeiten würde sie benützen dürfen.

Saturnine unterschreibt den Vertrag bei Don Elemirios Sekretär, lässt sich auch mit seinem Chauffeur zu ihrer Freundin fahren um alles einzupacken und zieht noch am gleichen Tag in ihre neue Bleibe. Neben dem Sekretär, dem Chauffeur gibt es noch Mélaine, der sich um den Haushalt kümmert. Don Elemirio kocht sehr gerne und lädt Saturnine am ersten Abend in seine Küche zum Essen ein. Saturnine versucht cool zu bleiben, sich nicht durch die Gedanken an verschwundene Frauen beirren zu lassen und verhält sich dadurch Don Elemirio gegenüber eher sehr kühl und teilweise sogar taktlos. Schliesslich fragt sie ihn, was er denn so den ganzen Tag über mache :

« « Ich bin Spanier », erklärte er.
« Danach habe ich nicht gefragt. »
« Das ist mein Beruf.»
« Und worin besteht der ? »
« Die spanische Würde ist weit über alle anderen erhaben. Ich bin Vollzeit würdig. »
« Und worin zeigt sich Ihre Würde, heute Abend zum Beispiel ? »
« Ich werde das Inquisitionsregister wiederlesen. Es ist wunderbar ! Wie konnte man diese Instanz so verleumden ! »… »

Ja und so diskutieren sie beide über Folter, Mord, Tod, Hexerei usw. Und nicht nur dieser Abend wird mit anspruchsvollen Themen verbracht, auch die Folgenden sind getragen von den Eigenarten und Vorstellungen dieses doch irgendwie merkwürdigen Mannes, der übrigens auch ein Faible für Farben und schöne Stoffe hat. Nur Champagner fehlte bis jetzt im Haushalt von Don Elemirio, für den Saturnine zu Beginn erst einmal selbst sorgte und der nun fortan als ein wichtiges Elixier für die weiteren Gespräche dienen wird. Denn früher oder später geht es mehr und mehr um das Verschwinden der acht Untermieterinnen. Saturnine ist nun die neunte im Bunde. Die verschlossene Tür zur Dunkelkammer hatte für alle Vorgängerinnen letztendlich doch eine zu grosse Anziehungskraft, sie wurden neugierig und sind seitdem wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht kann auch Saturnine dieser Neugierde nicht widerstehen…?

Amélie Nothomb hat dieses alte Märchen zu neuem und vor allem modernen Leben erweckt. Amélie Nothomb besitzt eine ganz besondere Gabe, sie kann mit ihrer – ja fast schon zügellosen – Erzähllust die Charakter-eigenschaften eines Menschen so brillant darstellen, dass einem beim Lesen teilweise der Atem stockt. Sie hat aber auch einen Humor und Witz der seinesgleichen sucht, mit dem sie auch schwierige und tiefgründige Themen ausgezeichnet verpackt und somit dem Leser auf spielerische Weise näher bringt. Amélie Nothombs besondere Fähigkeit liegt in der explosiven Prägnanz ihrer Dialoge. Don Elemirio und Saturnine liefern sich im wahrsten Sinne des Wortes einen faszinierend wortreichen « Fechtkampf », wobei zu Beginn noch lange nicht klar ist, wer hier als Sieger gefeiert werden kann. Denn hier geht es noch um viel mehr als nur um Würde und Moral.

« Blaubart » gehört sicher neben vielen anderen zu Amélie Nothombs besten Romanen. Sie zeigt ihr Schreibtalent wieder einmal auf eindrückliste Weise. Kann trotz Anspruch und Intellekt einfach grandios unterhalten. Und schafft es, aus einem Märchen schon fast einen kleinen subtilen Thriller zu zaubern, der nicht nur amüsant skurile, sondern auch nachdenklich intelligente Spannung erzeugt. « Blaubart » ist kein normaler Roman, er ist wie ein prosaischer Feuerwerkskörper, den Sie, verehrter Leser, unbedingt in diesem Literatur-Frühling krachen lassen sollten !


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