Sind wir nicht alle ein wenig verrückt? Oder wissen wir nur nicht, ob wir verrückt sind? Denn was heisst eigentlich normal sein? Ist normal wirklich das Gegenteil von verrückt? Es gäbe noch Tausende von ähnlichen Fragen, die sich jeder sicherlich schon einmal in seinem Leben gestellt hat. Doch was passiert, wenn man spürt, dass wirklich nicht mehr alles so ist, wie es eigentlich sein sollte. Wenn der Körper streikt, der Geist nur noch müde ist und man sich in einer Traurigkeit befindet, die nicht enden möchte. Diesen Zustand kennt die Autorin Eva Lohmann sehr gut, und hat uns mit ihrem Erstlingsroman „Acht Wochen verrückt“ ein grandioses Werk geschenkt, das nicht besser in die sogenannte tadellos funktionierende Welt passt könnte.
Eva Lohmann, geboren 1981, arbeitet als Innenarchitektin und Werbetexterin in Hamburg. Sie hatte nach Depressionen und Burn-Out selbst einen Zusammenbruch und wurde in eine psychosomatische Klinik eingewiesen. Dort hat sie sehr genau Tagebuch geführt, welches letztendlich als Grundlage für diesen ersten autobiographischen Roman diente. Eva Lohmann nimmt uns mit auf eine Reise in eine ganz andere Welt und stellt uns als alter Ego die Hauptfigur Mila ihres ersten Romans vor.
Mila, eine junge Frau Ende zwanzig, erfolgreich mit einem gut bezahlten Job inklusive Beförderung, einem netten Partner und vielen Freunden, wird an einem Donnerstag in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen. Seit Wochen, ja fast schon Monaten war sie zu nichts mehr in der Lage. Zuerst funktionierte Mila nur noch vor allem in ihrem stressigen Job, dann wurde ihr alles zuviel, selbst die Hausarbeit. Sie hatte keine Lust mehr auszugehen, sie lag am Liebsten nur noch im Bett und gab sich ihrer nicht mehr enden wollenden Traurigkeit hin. Sie hofft nun auf Hilfe und wundert sich, als sie in dieser Klinik ankommt, dass die Einrichtung zuerst mehr einem Hotel als – wie man im Jargon so schön sagt – der Klapse ähnelt.
Das „neue“ Leben in der Klinik am See beginnt langsam. Nachdem sie ihr Zimmer zugeteilt bekam und ihre magersüchtige Zimmergenossin Clara kennengelernt hat, versucht sie ein wenig zur Ruhe zu kommen. Sie entdeckt den Klinikgarten und beobachtet ihre anderen Mitpatienten. Zwei Tage später hat sie ihre erste Sitzung bei ihrem Therapeuten Dr. Hennings:
„Er hält mir die Hand hin und sieht nett aus. Gross, grauhaarig, mit einem kleinen Bart und um die vierzig. Auf eine bestimmte Weise sogar attraktiv, solange man seinem Kleidungsstil keine Beachtung schenkt. Mein zukünftiger Therapeut trägt praktische Ledersandalen, Trekkinghosen und – ein gebatiktes Shirt.“
Trotz seines „Kleidungsstils“ wird Dr. Hennings während der nächsten Wochen für Mila der wichtigste Ansprechpartner in dieser Klinik. Sie erkennt durch seine Hilfe, dass hinter ihrer Depression noch viel mehr steckt und ein Burn-Out selten allein auftritt. Es wird ihr bewusst, dass ihre körperlichen Schmerzen, die sie mit allerlei Tabletten zu bekämpfen versucht hatte, rein psychosomatische Schmerzen sind. Der regelmässige Tablettenkonsum, um immer zu funktionieren, hat sie bereits in eine Abhängigkeitsspirale befördert, die sie selbst nicht hätte durchbrechen können. Deshalb werden die Schmerzpillen konfisziert und Mila darf dafür nur noch ein Antidepressiva schlucken, das die ersten Tage aus blöden und nicht ganz ungefährlichen Nebenwirkungen nichts zu bieten hatte. Nach zwei Tagen ist der „Drogentrip“ jedoch vorbei und der Körper hat sich endlich an die Substanz gewöhnt. Mila ist immer noch traurig, fängt aber trotzdem langsam an, ihre Seele und deren Bedürfnisse mit Dr. Hennings Hilfestellung zu entschlüsseln.
Trotz ihrer Depression fühlt sich Mila im Vergleich zu ihren Mitpatienten eher als total „normal“. Betrachtet man beispielsweise Katharina, die nach einem Jahr Trennung von ihrem Freund immer noch ständig weint, oder denkt man an Ron – verheiratet und zweifacher Familienvater -, der sich als Frau in einem Männerkörper fühlt und nicht weiss, wohin mit diesen Empfindungen. Doch am Meisten geschockt ist Mila von ihrer Zimmernachbarin Carla, als diese eines Tages ihren Koffer packt, da sie in ein richtiges Krankenhaus sprich Psychiatrie wechseln muss, denn ihr Gewicht ist auf lebensbedrohliche Weise gesunken, was nur noch mit Zwangsernährung verhindert werden kann.
Im Laufe dieser acht Wochen lernt Mila, die Ich-Erzählerin, nicht nur neue Freundschaften schliessen. Nein, sie erkennt, dass sich hinter ihrer Depression auch eine Tablettensucht versteckt und ein nicht unbedeutender Vaterkomplex begründet ist. Mila fängt in dieser Zeit an sich selbst und ihre Gefühle zu akzeptieren. Sie wird sensibler, aber auch mutiger, vor allem was ihre Familie und die Jobfrage betrifft…
„Acht Wochen verrückt“ ist ein geniales Buch. Es zeigt zum ersten Mal, vollkommen schonungslos, aber trotzdem sehr differenziert und feinfühlig, die Erfahrungen eines Menschen, der an seine psychischen Grenzen kommt und sich traut, Hilfe zu verlangen und anzunehmen. Mit viel Humor und Witz, aber auch mit grossen Respekt beschreibt Eva Lohmann die psychischen Probleme, die jeden Menschen in der heutigen Zeit ereilen können. Sie schafft es aufgrund ihrer eigenen Erfahrung und mit Hilfe ihres autobiographischen Romans tiefe Einblicke in die Welt der „Verrückten“ zu gewähren, die man als Beobachter von Aussen nie so beschreiben könnte. Besonders ihre Fähigkeit, die Menschen und ihre Stimmungen zu beobachten, sie aber nicht zu bewerten, geschweige denn ins Lächerliche zu ziehen, zeugt von einer grossen sprachlichen Begabung.
„Acht Wochen verrückt“ ist ein Roman, der nicht schockt, obwohl er ein Tabu bricht. Dieses Buch schiebt Klischees beiseite, konfrontiert den Leser mit der „echten“ Realität und fordert uns auf, das Thema – Psychische Erkrankungen – neu und mit mehr Offenheit zu betrachten. Eva Lohmann ist ein grosser – trotz seiner nur 190 Seiten – Erstlingsroman gelungen, der vielleicht nicht von „Verrückten“ in einer normalen, sondern eher von „Normalen“ in einer verrückten Welt erzählt. „Acht Wochen verrückt“ ist ein sehr zu empfehlendes Buch für alle Menschen, ob „Normal“ oder „Verrückt“, ab vor allem für diejenigen, die noch nicht wissen, wie man den sogenannten „Verrückten“ in der heutigen Gesellschaft begegnen sollte!