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Zum Tode Peter Alexanders.
Natürlich könnte es für Diskussionen sorgen, weil an dieser Stelle ausgerechnet auf den Tod eines Mannes verwiesen wird, der sich mittels leichter Unterhaltung und operettenhafter Kost in die Herzen eines bürgerlichen Publikums nistete. Nun könnte der Verfasser dieser Zeilen ausführen, dass er jenen Mann gerne und mit Freuden sah, damals als er - der Verfasser - Kind war und sich noch an fünftklassigen Filmproduktionen, die im Kern den unausrottbaren Zwiespalt zwischen Pennäler und Pauker trugen, zu ergötzen vermochte. Das wäre zwar nicht gelogen, aber alleine das reichte nicht als Grund, Peter Alexander hier einige Zeilen zu widmen.
Was aber hierzu reicht ist Alexanders politisches Auftreten - oder besser gesagt: der Umstand, dass er niemals politisch auftrat. In einem Interview, als man ihn fragte, wie er sich dabei fühle, wenn ihm junge Leute von heute (das Interview dürfte wohl Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre entstanden sein) unterstellten, er würde nur heile Welt fabrizieren und sich politisch gänzlich raushalten, gab Alexander zu Bedenken, dass ihm sein Bewegen in einer heilen Welt durchaus bewusst ist. Und was sei so schlimm an heile Welt, fragte er - wollen das nicht alle Menschen? Er formulierte es zwar nicht eindeutig, aber man konnte heraushören, dass er auch jenen, die in diesen damaligen Tagen auf Straßen protestierten, unterstellte, sie würden doch eigentlich auch nur auf die Straßen stürmen, weil sie sich davon eine heilere Welt erhofften. Er sei unpolitisch, meinte er, weil er Menschen vom bitteren Alltag ablenken wollte, denn das sei sein Beruf, ein wundervoller Beruf übrigens - im operettenhaften Kosmos des Alexander war schon alleine daher kein Platz für politische Seitenhiebe, um seinem Publikum nicht dem Verdruss auszuliefern, den die Politik den Menschen ohnedies bereitete.
Natürlich konnte man ihm das während seiner ganzen Karriere zum Vorwurf machen. Während Kriege tobten, Krisen wüteten, während auf der Welt das Spiel gespielt wurde, wie seit Jahrtausenden, nur diesmal im kolossal-industrialisierten Stil des Zwanzigsten Jahrhunderts, alberte und scherzte er über Bühnen und durch Filmsets, warf sich in Frauenkleider, spielte verzärtelte Liebesgockel und verkannte Oberkellner oder Pädagogen. Alexander war kein Schauspieler mit Tiefgang, kein Interpret epochemachender Gesangsstücke - er konnte zweifelsohne singen, er hatte Talent zur Parodie: dort war er nahezu unschlagbar. Aber er war unpolitisch durch und durch - er tingelte durch eine heile Welt, die es außerhalb der Theater und Filmstudios nicht gab. Doch er wähnte sich als Rädchen einer Industrie, die unterhalten und ablenken wollte, die sorgenerfüllte Menschen in rührende Geschichten oder heitere Stücke entführen sollte - da war er ganz Produkt der Nachkriegszeit, in der es darum ging, den Menschen Mut und Freude zu vermitteln, nachdem man den gröbsten Dreck aus Konzentrationslagern hinausgefegt hatte. Er war sich jedenfalls keiner Schuld bewusst, er verteidigte seine apolitische Haltung.
Der Verfasser dieser Zeilen meint, Peter Alexander hatte auch nie Notwendigkeit, sich einer Schuld bewusst zu sein. Zwar wurden hier schon desöfteren Possenreißer, die man heute Comedians nennt, kritisiert, weil sie sich der politischen Situation nicht stellen - aber das ist unter einem anderen Aspekt zu betrachten. Die überkorpulente Grazie, die aus Marzahn stammen soll, um mal die als Beispiel heranzuziehen, verhöhnt Menschen aus gesellschaftlichen Schichten, die sich gemeinhin nicht (mehr) zu wehren wissen - sie gelten als gesellschaftlicher Abschaum und müssen sich abendlich auch noch auf ordinärste und kaltschnäuzigste Art verarschen lassen; Ingo Appelt zieht Themen wie Bundeswehr und Krieg heran, äußert sich aber nicht kritisch; neulich war dann ein solcher Comedian in Afghanistan, der die Truppe zum Lachen brachte, berichtete die Presse. Würde man sie fragen, warum sie so wenig kritisch sind im Hinblick auf politische Motive, dann würden sie wahrscheinlich nur erläutern, dass das das gesellschaftliche Milieu ist, in dem sie sich bewegen, aber grundsätzlich seien sie völlig unpolitisch - sie ziehen solche Hintergründe nur heran, um darin ihre harmlosen Scherze zu machen; eigentlich seien sie aber der Politik entschwoben. Diese Erklärung wäre aber so falsch wie hirnverbrannt!
Denn indem sie solcherlei Motive aufgreifen, bringen sie diese ihrem Publikum dergestalt nahe, dass die Themen bekömmlich und verdaulich werden - wenn Appelt von einer schwulen Bundeswehreinheit in Afghanistan berichtet, die nicht auf Taliban schießt, sondern sie tuckenhaft verschreckt, dann wird ein mehr als politisches Motiv dazu benutzt, um es nebenbei salonfähig zu machen. Man darf durchaus auch über Krieg spotten - das ist nicht der Punkt! Wie man schwerfällige Themen humoristisch aufgreifen kann, hat beispielsweise Roberto Benigni in La Vita e bella gezeigt, oder Radu Mihaileanu in seinem Zug des Lebens. Man muß es so tun, dass man dem Thema gerecht wird - der Missstand darf nicht hinter dem Scherz verdeckt werden.
Appelt und Konsorten würden sicherlich auch erklären, Protagonisten einer heilen Welt zu sein: ihr Publikum will unterhalten und beschäftigt werden, würden sie sagen. Der Unterschied zu Alexander aber ist, er hat nie politische Motive herangezogen. Seine Zoten waren fraglos oft flach, manchmal banal - seine Kunst war die Parodie, nicht der gezielte, der scharfe Witz. Er hat auf seine Weise unterhalten, sich aber nicht politischer Grundlagen bedient, in die er seine Sketche hineinbettete. Bei ihm ging es um Klatsch, um Alltägliches, um die Liebe, um kleine Kneipen und darum, dass es der Papa schon richten wird. Manchmal spießige Kleinkunst fürwahr - aber wenigstens tat die keinem weh, wenigstens war sie unpolitisch und damit nicht Helfershelfer von Missständen.
Peter Alexander war sicher auch jemand, der auch deshalb zu schätzen war, weil er wusste, wann er abzutreten hatte. Es fand keine greise Selbstdemontage eines Idols statt; er wusste es zu verhindern. Das ist eine Rarität - nach seiner öffentlichen Ära zog er sich gänzlich zurück, keine Auftritte mehr - zu seinem achtzigsten Geburtstag ließ er sich kurz nochmal filmen, klimperte auf dem Piano, sang drei Zeilen und verzog sich eiligst wieder in sein Privatleben zurück. Keine Interviews, kein seniler Hobby-Politologe oder Pseudo-Soziologe wurde aus ihm - er schwieg und blieb insofern Philosoph, frei nach Boethius; ein Philosoph heiterer Schule, heiler Welt und trivialer Operette freilich - aber dennoch oder gerade deshalb nicht ganz unweise für sein doch eher wenig tiefsinniges Fach.
Der Fehler der Neuen Linken jener damaligen Jahre war, dass sie in allem Politik witterte; Rainer Langhans, der intellektuell noch irgendwo zwischen Kommune I und Münchner Highfish-Kommune meditiert, vertritt auch heute noch diese These, wonach alles was man tue auch politisch sei. Möglich, dass er diese Einsicht von Ulrike Meinhof entlehnt hat, die gerade in der Kindererziehung eine hochgradig politische Ambition ahnte. Das mag alles grundsätzlich nicht mal falsch sein, eher sogar nachvollziehbar und vielleicht auch richtig, aber für den größten Teil der Menschen stellt ihr Leben kein Politikum dar. Jeden zur politischen Aktion aufzufordern, das war das schreckliche Unbenehmen einiger damaliger Linker - das trifft ja durchaus noch in manchen Fällen zu; von einem wie Nuhr, der sich ja nun ins scheinpolitische Fach wagt, könnte man dergleichen verlangen; vom jemanden wie der Marzahnerin auch, immerhin verprellt sie ganze Gesellschaftsgruppen, indem sie das RTL-immanente Klischee vom Hartz IV-Empfänger unter ihr Publikum streut. Aber von einem wie Alexander, der vorher nie politisch ambitioniert war: das ist einfach nur verblendet und an der Realität vorbei gedacht gewesen.
Ein Entertainer und Komödiant, der sich penibel aus politischen Motiven herausgehalten hat, dem kann man wenig Vorwürfe machen - die Clique heutiger Faxenmacher könnte sich an Peter Alexander ein Beispiel nehmen: wenn man schon nicht kritisch ist und nichts weiter als das Unterstreichen von Klischees und Vorurteilen auf den Weg bringt, um sein tristes Repertoire zu füllen, dann doch lieber gleich die Klappe halten - dann sich lieber ganz aus dem Politischen heraushalten und Vertreter einer operettenhaften heilen Welt werden, bevor man im realen Jammertal noch mehr Brandherde schürt...