Durch Zufall stoße ich gerade auf den Artikel "SPD-Parteichef Gabriel findet Euro-Bonds gut" der "Markenpost.de" vom 15.08.2011. Das Portal ist für mich zwar ziemlich obskur, aber der Bericht ist korrekt; flüchtig hatte ich auch schon in anderen Artikeln davon gelesen und finde ihn z. B. in der WELT bestätigt.
Gabriel hält sich zweifellos für intelligent; deshalb fordert er auch keine unbegrenzte Haftungsübernahme, sondern eine Beschränkung der Solidarhaftung auf 50 - 60% (meine Hervorhebungen):
"Die Euro-Staaten sollen nach dem Vorschlag Gabriels ihre Fiskalpolitik teilweise unter gemeinsame Kontrolle stellen und Haushaltsrechte abgeben. “Wir brauchen dringend eine gemeinschaftliche Verbürgung der Anleihen – das ist ja die Übersetzung Euro-Bonds – zumindest für den Teil an Schulden, der nach den Maastricht-Verträgen für jedes europäische Mitgliedsland möglich ist. Also für 50 bis 60 Prozent”, so Gabriel"
heißt es in dem Markenpost-Bericht.
In Wahrheit ist jedoch eine solche Schein-Beschränkung das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Schon jetzt war (bzw. ist noch immer!) eine Gemeinschafthaftung rechtlich eindeutig ausgeschlossen. Trotzdem sind die Finanzmärkte davon ausgegangen, dass die anderen Mitglieder der Eurozone im Ernstfall die Verbindlichkeiten der schlechten Gläubiger mittragen werden. Und tatsächlich ist dann ja auch die europäische Politik den Finanzmärkten in die Falle gelaufen und hat letztlich eine Vollhaftung der anderen Eurozonenmitglieder für Griechenland, Portugal und Irland konstruiert, wobei die deutsche Politik unter Verrat der wohlverstandenen (d. h. der längerfristig definierten) deutschen Interessen den deutschen Steuerzahler in die Solidarhaftung hat nehmen lassen.
"Der Markt", die Finanzmärkte, wollten es halt so, und die Komplizen der Kapitalinteressen haben natürlich die Befehle "des Marktes" (und die Wünsche der Schuldensünder) willig befolgt. Dabei waren die Grünen, Roten und Rot-Roten sogar die lautesten Bailout-Befürworter und sind somit mithin objektiv (egal, was sie subjektiv wollten ober zu wollen behaupten) die eifrigsten Advokaten der Kapitalbesitzerinteressen.
Zunächst einmal bin ich absolut sicher, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel keinen blassen Schimmer hat, worum es bei den "50 - 60%" überhaupt geht.
Soweit bisher entsprechende Vorschläge gemacht wurden (die Idee von in der Summe gedeckelten Eurobonds ist schon länger in der Debatte), ging es nämlich nicht um die Gemeinschaftshaftung für einen Prozentsatz der Schulden eines Landes. Vielmehr war die Zahl (üblicher Weise werden 60% genannt, also die staatliche Schuldenobergrenze lt. Maastricht-Kriterien) auf das Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Landes bezogen.
Das ist in doppelter Hinsicht ein gewaltiger Unterschied:
- Abstrakt: Nimmt man einfach die Schulden als Basis, ist die Solidarhaftung nach oben hin offen. Die Schlender-Länder können sich verschulden so hoch sie wollen; in jedem Falle haften die anderen schon ganz offiziell für die Hälfte.
- Konkret am Beispiel von Griechenland, dessen Verschuldung, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, sich auf die 150% zu bewegt, würden demnach die anderen Eurozonen-Staaten für 75% des griechischen BIP haften. (Und wenn die Staatsverschuldung dort, was keineswegs eine abenteuerliche Annahme ist, auf 200% steigt, haften die anderen bereits rein rechtlich für 100% des BIP mit.) Würde man die Höhe der Haftungsübernahme dagegen auf einen Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukt beziehen, wäre sie durch dieses auf beispielsweise 50% des griechischen BIP gedeckelt. Damit wäre diesem Land (und ebenso allen anderen) die Möglichkeit genommen, durch höhere Kreditaufnahme einfach die Mithaftung der anderen zu erhöhen, ohne die überhaupt fragen zu müssen.
Solche technischen Details sind letztlich zwar unwichtig, weil sie ja ohnehin gezeigt hat, dass die Eurozonäre letztlich alle Staatsschulden den (relativ) soliden Ländern, insbesondere also Deutschland, aufbürden. Dennoch zeigt sich bei dieser Äußerung, dass die WELT voreilig war wenn sie Sigmar Gabriel lobt: "Anstatt sich in den Worthülsen und Plattitüden zu verheddern, für die er einst berüchtigt war, erklärte der Gymnasiallehrer in staatsmännischem Timbre die Welt".
Bei der Haftungsbegrenzung hätte Gabriel besser daran getan, sich auf Worthülsen zu beschränken. Ich bin nämlich absolut sicher, dass er nicht wirklich eine Begrenzung bezogen auf die Schuldenhöhe will, sondern eine auf das Bruttoinlandsprodukt bezogene Beschränkung.
So hat er es vernommen, aber sein beschränkter Verstand ist offenbar nicht in der Lage, derartige Bezugsgrundlagen auseinander zu halten und sich die unterschiedlichen Folgen vorzustellen. Mit einer derartigen Niete als Bundeskanzler würde Deutschland sein blaues Wunder erleben; da ist ja selbst Angela Merkel noch Gold dagegen!
Aus Gründe der intellektuellen Redlichkeit sei nicht verschwiegen, dass Sigmar Gabriel die Haftungsübernahme an Bedingungen knüpfen will:
"Seinen Worten zufolge dürfen die Schuldensünder den Zinsvorteil aber nicht ohne Gegenleistung bekommen. „Mit den Euro-Bonds verbunden werden muss, dass die Staaten, die davon Gebrauch machen, auch einen Teil ihrer eigenen Souveränitätsrechte für ihre Haushalte abgeben und einer Kontrolle unterwerfen“, betonte der SPD-Chef."
Klingt gut, aber damit hat man weder die griechische Steuerhinterziehung im Griff, noch organisierte Verbrechen im italienischen Mezzogiorno beseitigt, welches dort die wirtschaftliche Entwicklung verkrüppelt .
Am Ende laufen solche Konstruktionen zwangsläufig immer darauf hinaus, dass die Nordländer zahlen, weil wir angeblich "so reich sind", und die Südländer kassieren, weil sie (teils selbst verschuldet, teils auch lediglich vorgetäuscht) "so arm sind". Was jetzt schon in Italien passiert (und was dort die politische Bewegung der "Lega Nord" hervorgebracht hat), gigantische Transferzahlungen des Nordens an den Süden, wird dann in Europa der Normalzustand werden.
Wer gründet endlich bei uns einen "Bund für Deutschland"?
Noch eine weitere Disziplinierungsmaßnahme fordert Genosse Gabriel:
„Es muss einen Unterschied geben in der Zinsbelastung für ein Land wie Deutschland und für ein Land wie Griechenland“, argumentierte Gabriel.
Auch das ist Augenwischerei. Über das Zinsniveau entscheidet der Markt, und der weis ja mittlerweile, dass die "reichen" Eurozonäre (d. h. diejenigen, bei denen die Staatsverschuldung noch unter 100% des Bruttoinlandsproduktes liegt) hemmungslos für die Schuldenkönige bürgen. Angesichts des anlagesuchenden Kapitalüberflusses würden also, wie gehabt, trotz der offiziellen Haftungsbegrenzung (egal, ob auf die Schuldenhöhe oder das Bruttoinlandsprodukt bezogen) die Gläubiger auch wieder Anleihen der Südländer in einem Umfang nachfragen, der das Zinsniveau für diese Länder wieder in die Nähe des deutschen Niveaus absenken würde.
Da capo, Griechenland-Rettung!