Du neben mir
und zwischen uns die ganze Welt
Nicola Yoon
Dressler, 2015
16,99 €
978-3791525402
Am Anfang war ein Traum. Und dann war Leben! Wenn ihr Leben ein Buch wäre, sagt Madeline, würde sich beim Rückwärtslesen nichts ändern: Heute ist genau wie gestern und morgen wird sein wie heute. Denn Madeline hat einen seltenen Immundefekt und ihr Leben lang nicht das Haus verlassen. Doch dann zieht nebenan der gut aussehende Olly ein – und Madeline weiß, sie will alles, das ganze große, echte, lebendige Leben! Und sie ist bereit, dafür alles zu riskieren.
Madeline ist ein außergewöhnliches Mädchen, das mit der Welt kaum in Berührung gekommen ist. Ihre Krankheit macht es ihr unmöglich, ihr Zuhause zu verlassen. Dieser Umstand führt dazu, dass der Leser schnell den Eindruck bekommt, dass sie keine Wahl hat, ihr Leben zu gestalten. Aber was sie aus ihrem Leben macht ist verblüffend. Sie hat fast keine schweren Gedanken, versucht vieles positiv zu sehen und denkt nicht nur an sich. Das finde ich bemerkenswert und es hat sie zu einer tollen Protagonistin werden lassen. Im Buch selbst unterliegt Madeline einem Wandel, dem der Leser sehr gut folgen kann. Wichtig ist dabei, dass Madelines Wandel nicht von jetzt auf gleich passiert, sondern recht vorsichtig beginnt: vom Auslöser zur Katastrophe. Da vergeht viel Zeit!
Madelines Mutter werdet ihr sehr oft treffen. Sie versucht ihrer Tochter das Leben so gut wie möglich zu gestalten und es nicht langweilig werden zu lassen. Natürlich sind ihre Mittel dazu beschränkt. Ich muss zugeben, die Meinung zu dieser Mutter ändert man recht häufig. Ihr werdet den Grund selbst herausfinden, und dann ist es an Euch eine Meinung zu ihr zu haben.
Olly ist ein interessanter junger Mann, der selbst einige Probleme hat. Er will stark sein, braucht manchmal auch eine Schulter zum Weinen und hat wenig Vorurteile. Er ist das, was Madeline schwer haben kann und trotzdem ist er selbst ein Kämpfer.
Eine eintönige Kulisse erwartet den Leser, die Madeline am Anfang so gar nicht stört. Der Leser aber kann sich ein Leben in einem Raum, max. einem Haus kaum vorstellen. Es ist bemerkenswert wie wenig es dem Mädchen eigentlich ausmacht bis sie merkt, dass ihre Welt Grenzen hat, die sie nicht durchbrechen kann.
Es gib auch schöne Orte im Haus, die ihr kennenlernen werdet. Ich bin ganz begeistert vom Wintergarten, aber wie der aussieht, verrate ich euch nicht.
Ihr Immundefekt fesselt sie an ihr Zuhause. Sie liest, sie malt, sie macht Hausaufgaben. Wenn sie Besuch bekommt, darf er nicht krank sein. Er darf nur bestimmte Kleidungsstücke tragen, er muss Abstand halten. Was ist das für ein Leben? Madeline macht sich eigentlich keine Gedanken darüber. So ist es einfach, so bleibt sie am Leben. Ihre Mutter opfert sich für sich auf – so empfindet es Madeline.
Es gibt wenige Tage, an denen Madeline ihr Leben anzweifelt bis sie Olly durch ihr Fenster sieht. Ab da werden die Gedanken größer: Gedanken über die Sonne im Gesicht, den Wind in den Haaren und Regen auf ihrer Haut. Sie beginnt zu lügen, schleust Menschen in ihr Leben und die Bücher geben ihr keinen Trost mehr. Das Konstrukt, das ihr Leben bestimmt hat, wird hinterfragt, weiter gelebt, aber auch verflucht.
Das schöne an dem Buch ist, dass der Leser einen beschränkten Radius hat, in dem agieren kann und Madeline beobachtet. Es reduziert die Gefühle, die Wahrnehmungen und die Möglichkeiten vom Geschehen abgelenkt zu werden. Ich konzentrierte mich auf Madeline und es war, als ob ich mit ihr dort sitzen würde. Ich war ganz bei ihr.
Das Buch überrascht mit Zeichnungen im Innern und mit einer sehr intelligenten, mitfühlenden und später temperamentvollen Protagonistin. Die Gefühle sind nachvollziehbar und es findet eine Veränderung statt, die jeder sehen, fühlen und verstehen kann. Es ist ein einzigartiges und großartiges Buch.
Einzig das Ende macht mir jetzt zwei Monate später immer noch zu schaffen. Die Handlung schlägt so schnell, vehement und überraschen um, dass der Leser damit gar nicht rechnen kann. Das ist gut. Weniger gut finde ich, dass am Ende etwas zu viel “alles gut” ist, obwohl es kein richtiges Happy End ist. Wenn Ihr das Buch lest, werdet Ihr es verstehen.
Das Buch hält einige Überraschungen bereit, denn es ist auch bebildert. Madeline illustriert ihr Leben und verwendet Zitate. Dadurch wirkt ihr Leben bunter, auch wenn es sehr trist sein kann. Es erlaubt einen tieferen Blick und macht das Buch umso wertvoller für den Leser.
Ein sehr sensibles Thema wird in “Du neben mir” angesprochen. Mit viel Herz, Witz und einigen traurigen Momenten, ist die Protagonistin mir sehr ans Herz gewachsen. Die kleinen Ausflüchte von Madeline: Spoiler von Büchern, Chats und Co. lockern die Geschichte auf. Am Ende fehlte mir das gewisse Etwas, um die volle Punktzahl zu geben, denn nicht jedes Buch muss sehr fröhlich enden.