Du kannst mir nicht helfen

Von Vera Nentwich @veraswelt

Es ist ein Morgen wie die vielen anderen zuvor. Ich sitze am Laptop, neben mir steht die Latte macchiato und ich starre auf die Worte, die ich gestern geschrieben habe. Nun muss ich diese Geschichte weitertreiben. Heute sehe ich die Szene vor mir und kann sogleich loslegen, aber dies ist nicht immer so. Manchmal weiß ich nicht, ob ich die Person nun dies oder das tun lassen sollte. Dann würde ich gerne jemanden fragen oder die Situation diskutieren. Doch das geht nicht.


Der Grund, warum ich dies für unmöglich halte, ist nicht, weil ich alleine lebe und meine einzigen Mitbewohner zwei ziemlich gesprächsfaule Zimmerpflanzen sind. Von der Spinne, die sich gelegentlich hinter meinem Schrank hervorwagt, möchte ich mal absehen. Nein, denn natürlich habe ich Freunde, mit denen ich immer mal wieder über die Geschichten, an denen ich gerade arbeite, diskutiere, doch ich mache jedes Mal die Erfahrung, dass mir dies nur bis zu einem gewissen Punkt helfen kann.

Es geht um die wesentlichen Fragen


In den sozialem Medien, bei Autorentreffen und anderen Gelegenheiten, werden immer wieder Fragen gestellt und ich bemerke dort regelmäßig, dass Fragen, wenn überhaupt, nur rudimentär beantwortet werden können. Natürlich gibt es technische Aspekte des Schreibens. Wie schreibt man ein spezielles Wort? Wir formatiere ich eine Normseite? Diese lassen sich leicht beantworten. Die lassen sich aber auch googeln und beschäftigen mich daher weniger. Ich meine die essenziellen Fragen, die ich mir am Morgen vor der blinkenden Positionsmarke meines Schreibprogramms stelle. Die Frage, ob meine Hauptfigur nun besser wütend reagieren oder vielleicht weinen sollte. Die Frage, ob die Geschichte nun eine bestimmte Wendung nehmen sollte oder besser nicht. Derartige Entscheidungen sind es, die darüber bestimmen, ob ich weiterkomme in meinem Projekt oder hängen bleibe.

Warum kann keiner helfen?


Die Dinge, die meine Figur tut, sind emotional begründet. Sie reagiert auf Basis ihres Charakters und der Erfahrungen, die sie gemacht hat. Dies ist wie bei jeden Menschen. Wenn es nicht so wäre, würde sie schemenhaft handeln und Leser hätten sicherlich Schwierigkeiten, ihr zu folgen. Dazu kommt, dass eine Figur einen völlig anderen Charakter hat, als ich ihn habe. Um sie also authentisch handeln zu lassen, muss ich sie genauestens kennen. Doch der einzige Mensch, der sie wirklich kennt, bin ich, die Autorin, ihre Schöpferin. Wenn ich also einen Dritten frage, was meine Figur in einer bestimmten Situation tun sollte, dann muss ich erst einmal meine Figur vorstellen. Dies kann aber nur schwer in dieser Tiefe sein, wie ich meine Figur kenne. Daher können auch die Antworten nur bedingt hilfreich sein.
Es kämpft jeder seine Schlacht allein.Johann Christoph Friedrich von Schiller
(1759 - 1805), deutscher Dichter und Dramatiker

Schreiben ist ein Spiegel des Lebens


Ich glaube, jeder kennt die Situation, wenn man eine schwierige Entscheidung oder Situation in seinem Leben mit einem Freund oder einer Freundin diskutiert. Es kommen viele gutgemeinte Ratschläge, doch nicht alle davon erscheinen einem hilfreich. Manchmal freut man sich, dass man darüber sprechen konnte, aber macht dann doch etwas ganz anderes, als einem vorgeschlagen wurde. Der Grund ist, weil man nur selbst spürt, was man tun sollte.
Die Entscheidungen über die Handlungen der Figuren in einem Roman haben die gleiche Dimension. Sind tief emotional und nur ich als Autorin kann wirklich entscheiden, was das Richtige ist. Da kann mir keiner helfen. Es kann Anregungen geben. Es kann moralische Unterstützung geben, aber die Entscheidung muss ich ganz alleine treffen

Es gibt keine Rettung


Letztens habe ich in einer der zahlreichen Autorengruppen bei Facebook gefragt, was die größte Herausforderung in einem Autorendasein ist. Die Antwort war eindeutig. Die Meisten sagten, dass sie sich wünschen würden, mehr Hilfe zu haben. Netzwerken unter Autoren sei so schwierig. Das Bedürfnis, nicht alleine mit seinem Projekt zu sein, kann ich gut nachvollziehen. Doch ich befürchte, dieses Bedürfnis bleibt ein unerfülltes.
Schreiben ist eine zutiefst persönliche Angelegenheit. Die Geschichten kommen tief aus der Seele des Schreibenden. Nicht zuletzt deshalb übt es diesen großen Reiz auf so viele Menschen aus, seine eigene Geschichte zu erzählen und den Mitmenschen als Buch zu präsentieren. Man muss sich aber bewusst sein, dass dies einen großen Teil Einsamkeit nach sich zieht. Weder gute Freunde noch Facebookgruppen können die Einsamkeit im Schreiben auflösen. Sie ist meines Erachtens sogar essenziell für das Schreiben. Da ist uns Autorinnen und Autoren einfach nicht zu helfen.