Astrid Griesbachs “Die Legende von Nathan dem Weisen” in der Reihe “Weltliteratur” besticht in der Wiederaufnahme im Dschungel Wien
„Jo wos kunnt des jetzt sein?“ fragt sich Gott in breitestem bayerischen Dialekt, während er die Welt erschafft. Und beantwortet seine Frage gleich selbst. Die Krönung der Welt nennt er „Mensch“. Und eben dieser macht ihm nichts als nur Ärger. Nach der Rückkehr aus seinem mehrtausendjährigen Urlaub muss er feststellen, dass sich niemand mehr an ihn erinnert. Und so schickt er Plagen und verlangt Menschenopfer mit dem allergrößten Vergnügen.
Mathias Lenz brilliert in der Eingangsrolle des Kinderstückes „Die Legende von Nathan dem Weisen“, das im Dschungel Wien eine Wiederaufnahme erlebte. Mit schwarzer Kurzhaarperücke und Röckchen ist seine Welterschaffungsnummer schier zum Schießen. Man biegt sich vor Lachen und kann gar nicht genug davon bekommen. Aber dies ist längst nicht die einzige Rolle, die ihm die Regisseurin Astrid Griesbach, Spezialistin für Puppentheater, zugedacht hat. Ein wenig später verkörpert er noch den Tempelritter Curt von Stauffen, eine der drei tratschenden Personen, die vor ihrem Marktgang noch schnell die letzten Neuigkeiten austauschen und einen der drei Söhne aus jener Ringparabel, mit der Lessing sein Stück eigentlich beginnen lässt.
In Griesbachs Fassung für Kinder ab 8 Jahren wird diese erst kurz vor Ende des Dramas erzählt und zwar, man glaubt es kaum, von einer der wichtigsten Bühnenfiguren für Kinder, dem Kasperl selbst. Christian Pfütze schlüpft in diese Rolle und holt das junge Publikum ganz dort ab, wo es ist. In einer verwandtschaftlich verworrenen Bühnensituation, die nur mehr durch Humor zu retten ist. Wer ist wessen Bruder oder Schwester? Wer hatte sieben Söhne, letztendlich aber nur eine adoptierte Tochter? Die Handlung, in deren Vordergrund die Frage um die Gleichberechtigung und den Wert der drei monotheistischen Religionen steht, ist bis zu diesem Zeitpunkt bereits durch. Kleine, aus Papier gefertigte Figuren, die sich zum Teil in ihre einzelnen Bestandteile auflösen, aber auch riesige, wie der gnadenlos nach Rache rufende Patriarch, der drohend an großen Stäben über die Bühne getragen wird, verleihen den einzelnen Charakteren ihre Gestalt. Meist tauchen sie für ihren Einsatz aus auf dem Boden stehenden Kartonrollen auf, die an ihrer Vorderseite mit dem jeweiligen Religionszeichen markiert sind. Dem Davidstern, dem Kreuz und dem Halbmond. Jerusalem, jene Stadt, in der sie alle miteinander friedlich kooperierten bis die Kreuzritter das Land befreien wollten, ist der Austragungsort des Geschehens.
Ganz nebenbei gibt es jede Menge Geschichtsunterricht, der jedoch in keiner Sekunde Langeweile auslöst. Myriam Rossbach, eine wunderbare Sympathieträgerin jeglicher Rolle in die sie schlüpft, agiert zwischen den beiden Männern humorvoll, naiv, zart, zerbrechlich und voller Lebenslust zugleich. Ihre Recha, jene von Nathan adoptierte Tochter, die dem Tempelritter in die Arme fällt als sie aus ihrem brennenden Haus springt, verfolgt, ohne sich beirren zu lassen, ein Ziel: Sie möchte ihrem Retter Gutes tun und verstrickt sich dabei rasch in das Gefühl der Verliebtheit. Lessings Text wird nur mit wenigen markanten Sätzen originalgetreu zitiert, meist ist eine leicht verständliche Sprache jedoch der Träger des Geschehens. Die Fragen nach der richtigen Religion bis hin zur Erzählung der blutrünstigen Auslöschung der Tempelritter werden zwar angeschnitten, ohne jedoch von Nathan beantwortet zu werden. Dies bleibt dem bunten Handpuppenhelden Kasperl überlassen.
Wunderbar Griesbachs Regieeinfall alle drei Spielenden immer wieder unter Gegacker zusammenkommen zu lassen, um mit einfachen, weißen Papierblättern die Illusion von zusammenstehenden Menschen-Hühnern zu erzeugen, die dafür sorgen, dass die Handlung durch ihr Getratsche im Eiltempo vorangetrieben wird. Diese kleinen Zwischenszenen rhythmisieren das Geschehen und geben der Inszenierung eine zusätzliche, fast musikalische Qualität. Die schwarz-weißen Kostüme, die grauen Kartonrequisiten und das weiße, verwendete Papier kontrastieren herrlich mit Kasperls buntem Outfit. Er ist es erst, der klar macht, dass es zwischen den Menschen keinerlei Unterschiede gibt. Zuvor jedoch müssen die drei Söhne aus der Ringparabel sich noch beinahe die Köpfe einschlagen und verwenden dabei einen so geschickten Text, dass man sofort weiß, dass sich hier vor den Augen aller der Kampf zwischen den drei Religionen abspielt. Ein Kampf, bei dem es keinen Sieger gibt. „Du hast ja was Komisches mitten im Gesicht“ konstatiert der kleine Geselle gegenüber seinen Mitspielenden auf der Bühne aber auch gegenüber dem Publikum. „Eine Nase!, so wie ich auch. Dann sind wir ja verwandt!“ Obwohl die Kinder und Jugendlichen diese familiäre Zuordnung mit lautem Lachen quittieren, kommt die Metabotschaft der Brüderlichkeit aller Menschen an.
Für Literaturfreaks gibt’s auch noch den versteckten Hinweis auf Lessings Beschäftigung mit der Kasperlfigur, die er in einer Abhandlung über das Drama als notwendig erachtete. Das aber ist wirklich nur ein Sidestep, der Kundigen Spaß macht, die mit einer ganz besonderen Kennerschaft ausstattet sind. Wer es nicht geschafft hat, sich „Die Legende von Nathan dem Weisen“ anzusehen, hat zumindest ab 18. Mai Gelegenheit „Die Legende von Schillers Räubern“ mitzuverfolgen. Abermals zeichnet Astrid Griesbach für die Regie verantwortlich, was ein wunderbares Theatererlebnis erwarten lässt. Wie auch bei Nathan wird es sich um eine Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin handeln, in der abermals ein Stück Weltliteratur zu ganz neuem Leben erweckt werden wird.