Ob Beteiligung an einer Anti-Nazi-Demo in Dresden mit anschließendem Ermittlungsverfahren unter Aufhebung der parlamentarischen Immunität, die fortgesetzte Beobachtung durch den Verfassungsschutz und Ramelows anhängige Verfassungsbeschwerde oder seine Ankündigung, die Linkspartei zu verlassen, wenn das Grundsatzprogramm eine anti-religiöse Position festschreibt: Der Politiker hält sich hartnäckig in den Schlagzeilen und geht Auseinandersetzungen und Kontroversen nicht aus dem Weg.
Unmittelbar nach dem Erfurter Programmparteitag spricht Bodo Ramelow mit Jacob Jung über die Situation der Linkspartei, das neue Grundsatzprogramm, die Tötung von Muammar al-Gaddafi, den Verfassungsschutz, den Bundestrojaner, die PIRATEN, die Bewegung „Echte Demokratie Jetzt!“ und die zentrale linke Frage „Regieren oder Opponieren“.
Christ, Gewerkschaftler, Linker: Zur Person von Bodo Ramelow
Bodo Ramelow wurde 1956 in Niedersachsen geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Familie nach Hessen, wo er nach dem Schulabschluss zunächst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolvierte und später die kaufmännische Fachoberschulreife erlangte.
Von 1981 bis 1990 war Ramelow Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. 1990 ging er nach Thüringen und wurde dort Landesvorsitzender der Gewerkschaft HBV. Seit 1992 war er zudem Aufsichtsratsvorsitzender der Wohnungsgenossenschaft „Zukunft“ in Erfurt. Beide Ämter behielt er bis zum Eintritt in die Politik, im Jahre 1999, inne.
1999 trat Bodo Ramelow der PDS bei, kandidierte erfolgreich für die Wahlen zum Thüringer Landtag und wurde zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der PDS gewählt. 2001 übernahm er den Vorsitz der Landtagsfraktion. Bei der Landtagswahl 2004 errang er zum ersten mal das Direktmandat “Erfurt I”.
Ab 2004 gehörte er dem Bundesvorstand der PDS an und war 2005 als Verhandlungsführer der Linkspartei maßgeblich an den Gesprächen zur Parteineubildung mit der WASG beteiligt. Im gleichen Jahr erhielt Ramelow ein Mandat für den 16. Deutschen Bundestag und wurde von seiner Fraktion zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
2009 errang er bei der Thüringer Landtagswahl das Direktmandat „Erfurt III“ und gewann am 3. November 2009 die Wahl zum Fraktionsvorsitzenden. Dieses Amt hat er bis heute inne.
Bodo Ramelow ist seit 2006 mit der Kommunikations- und Verhaltenstrainerin Germana Alberti vom Hofe verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne aus erster Ehe. Als bekennender Christ gehört er der evangelischen Kirche an.
DIE LINKE, Gaddafi, Blogosphäre, Piraten, Verfassungsschutz und der Bundestrojaner
Jacob Jung: Herr Ramelow, gerade kommen Sie vom Bundesparteitag zurück. Haben Sie sich in Erfurt wohlgefühlt?
Bodo Ramelow: Was für eine Frage! Ich lebe und wohne seit fast 22 Jahren in dieser wunderschönen Stadt und bin stolz darauf, dass alle Parteitagsdelegierten unsere Stadt genießen konnten. Ich bin sehr glücklich darüber, dass unsere Mitarbeiter der Landespartei und der Landtagsfraktion sowie viele ehrenamtliche Hände aus Thüringen so kraftvoll mitgearbeitet haben, damit sich die Delegierten wohl fühlen konnten und der Parteitag reibungslos ablaufen konnte. Deshalb rundweg, ja, an diesem Wochenende habe ich mich in Erfurt und in der Messehalle sehr wohl gefühlt.
JJ: Der Programmentwurf wurde mit 96,9 Prozent der Stimmen angenommen. Hat Sie das überrascht?
Der Bundesparteitag hat nun nach dem Vereinigungsparteitag mit der intensiven Bearbeitung des Programmtextes und der kraftvollen Zustimmung am Schluss bewiesen, dass der formale Akt der Vereinigung durch einen gelebten Akt der inneren Vereinigung an diesem Wochenende vollzogen wurde.
JJ: DIE LINKE steckt mit bundesweiten Prognosen zwischen 6 und 8 Prozent im Umfragetief. Die Gründe hierfür wurden in den letzten Monaten bereits hinreichend besprochen. Wird sich der Rückhalt der Linkspartei in der Bevölkerung durch die neue Geschlossenheit in absehbarer Zeit verbessern?
BR: Die Parteiendemokratie in Deutschland ist insgesamt in der Krise. Aufstieg und Fall der FDP, Steig- und Sinkflug der Grünen, das Neuerscheinen auf der parteipolitischen Landkarte der Piraten und die Tatsache, dass weder CDU noch SPD jemals mehr als Volkspartei eine eigenständige Mehrheit im Parlament erreichen werden, sind Ausdruck dieser Krise. Wir sind als neuere Partei auch Teil dieser krisenhaften Erscheinung und haben anfänglich durch den Medienhype, der uns bei der Fusion begleitet hat, viel Protest mit kanalisiert.
Jetzt, wo unser Programm uns als sozialistische Partei erkennbar macht, ist die Funktion zumindest in der anfänglich wohlwollenden Begleitung der Medienlandschaft nicht mehr zu erwarten. Der westdeutsche Antikommunismus tut sein Übriges. Gleichwohl müssen wir als Partei eigenständig unsere Positionierung ausfüllen als radikal demokratische Kraft im linken Spektrum der Parteienlandschaft. Eine demokratisch sozialistische Partei ist in Deutschland dringend notwendig, aber angesichts des Antikommunismus natürlich nicht erwünscht. Im europäischen Maßstab wäre es aber ganz normal. In Deutschland gilt es immer als fünfte Kolonne Moskaus, um es im Adenauerischen Stil zu bewerten.
JJ: Und welche konkreten Signale gehen von Erfurt aus?
Wenn wir von dieser pluralen Grundeinstellung heraus nun gemeinsam und strömungsübergreifend argumentieren, wird diese Geschlossenheit dazu führen, dass wir zumindest nicht mehr mit uns selber beschäftigt sind. Das wäre auf mittlere Sicht ein wichtiges Faktum, um von außen zumindest nicht mehr als zerstritten wahrgenommen zu werden.
Leider wird eine demokratische Streitkultur in einer Partei immer als Zerstrittenheit übersetzt und das können viel Wähler überhaupt nicht leiden. Schade, denn eigentlich könnten wir einen produktiven Streit oder besser gesagt Diskurs mit unseren Wählerinnen und Wählern sehr gut gebrauchen. Im digitalen Zeitalter muss es möglich sein, eine bessere Diskurskultur mit unseren Wählerinnen und Wählern zu ermöglichen.
JJ: Welche Personen in Ihrer Partei können die neue Ausrichtung nach außen am besten vertreten?
BR: Sarah Wagenknecht als mediale Kraft hat ihre Rolle hervorragend eingenommen und der nach außen eher schüchtern wirkende Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt hat nach innen eine unheimliche Leistung des Zusammenhalts geschafft. Dafür gehört beiden ein großer Dank. Dies ist aber keine Aussage die geeignet wäre jetzt eine unsinnige Personaldebatte zu führen. Ich würde sowieso eine Urwahl für die zukünftige Doppelspitze favorisieren und mir wünschen, dass Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, aber auch weitere Genossinnen und Genossen sich der Basis zur Wahl stellen würden. Mit dem frischen Wind vom Erfurter Programm sollten wir auch personell einen Aufbruch starten, der die Basis mitnimmt und letztlich über die Führungsspitze entscheiden lässt.
JJ: Kurz vor dem Parteitag wurden Sie vom MDR damit zitiert, dass Sie aus der Linkspartei austreten würden, wenn das neue Programm einen anti-religiösen Bezug festschreibe. Sind Sie froh, dass Sie bleiben können?
BR: Die Meldung des MDR war richtig formuliert, aber längst überholt. Im Vorfeld der Programmdebatte gab es sehr viele intolerante E-Mails und Facebook-Einträge von Personen, die mehr oder weniger deutlich verlangt haben, dass ich doch die Partei verlassen sollte. Mal machte sich dies an meiner vermuteten politischen Haltung und mal an meiner religiösen Bindung fest. Klar war aber, dass es Versuche gegeben hat, die Partei als atheistische Partei festschreiben zu wollen. Begriffe wie Laizismus, Atheismus und Säkularität gingen munter durcheinander und wurden bedauerlicherweise häufig genug Synonym für anti-religiöse Grundeinstellungen benutzt.
Schon auf dem Rostocker Parteitag haben wir mit Ernesto Cardenal einen glänzenden Vertreter der Theologie der Befreiung. Ich wundere mich immer wieder, dass man einerseits Ernesto Cardenal zujubelt, ihm sogar zuhört, wenn er den Sozialismus aus der Bibel ableitet und im nächsten Atemzug meint, mich auffordern zu können, dass ich als religiöser Sozialist die Partei verlassen sollte.
Auf diesen Zwiespalt wollte ich zumindest auch öffentlich wahrnehmbar hingewiesen haben, denn eine tolerante Partei, die demokratisch sozialistisch ist, muss sich auch auf die Wurzeln eines Wilhelm Weitling (christlich) oder Moses Hess (jüdisch) berufen, denn auch diese frühen Sozialisten gehören zu unserer Kultur. Ich fände es wenig hilfreich, die Kirchen dann im Mund zu führen, wenn sie ideologisch zu unserem Vorrat an politischen Forderungen passen, aber gleichzeitig den Glauben als wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Irrsinn abzutun. Jetzt bin ich froh, wie wir das Programm gestaltet haben, denn es hat den Spannungsbogen zur Toleranz und die kritischen Punkte zur Amtskirche vernünftig beschrieben. Deshalb bin ich aus ganzem Herzen einverstanden mit dem Programm, wusste aber schon aus der davor liegenden Parteivorstandssitzung, dass der Kompromiss, an dem ich auch stark mitgearbeitet habe, kein fauler ist, sondern ein guter.
JJ: Wo würde Bodo Ramelow seine politische Heimat finden, wenn nicht in der Linkspartei?
BR: Ich war mein Leben lang parteilos und seit meinem 16. Lebensjahr gewerkschaftlich engagiert. Meine sozialpolitische Bindung kommt aus diesem gewerkschaftlichen Engagement und hat ihre Wurzel tatsächlich in meiner christlichen Erziehung. Für mich bedeutet dies, an der Seite des Schwächeren zu stehen und für eine Gesellschaft zu streiten, in der wir uns als Menschen miteinander besser aushalten können. Einen anderen Platz als in einer demokratisch sozialistischen Partei würde ich nicht suchen. Andererseits lasse ich mir von keiner Partei, aber auch von keiner Kirche vorschreiben, was ich denken oder fühlen soll!
JJ: Während Sie sich auf den Parteitag vorbereitet haben, wurde Muammar al-Gaddafi getötet. Die Nato hat eingeräumt, dass sie maßgeblich an der Operation beteiligt war. Die Informationen über den Aufenthaltsort Gaddafis stammten von westlichen Geheimdiensten und einige Spuren führen in diesem Zusammenhang zum BND. Was denken Sie als Christ und als Linker über die Tötung des libyschen Machthabers unter westlicher Mitwirkung?
BR: Es widert mich an, dass man zuerst glänzende Geschäfte macht, Ölverträge schließt, dann Waffen liefert, später unsere Soldaten hinterher schickt und Despoten und Diktaturen erst als Feinde, dann als Freunde und später als Mörder qualifiziert. Als Christ sage ich: Du sollst nicht töten! Das hätte allerdings auch für Herrn Gaddafi gegolten, der auch schamlos Menschen nach seinem Gutdünken hat umbringen lassen. Ich finde, dass wir da auf dem Bundesparteitag mit dem Programm eine sinnstiftende politische Einordnung vorgenommen haben. Waffen kontrollieren, Waffenexporte verbieten, keine Militäreinsätze im Ausland und solidarische Unterstützung dort, wo sie erbeten wird. Entkolonialisierung heißt Wachsen von unten. Da gibt es kein europäisches Patentrezept, das man in andere Kulturen exportieren kann.
Ich engagiere mich für den Gedanken, den Hans Küng und Hassan von Jordanien geprägt haben im Projekt Weltethos. Die universellen Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen wären eine Grundlage des Zusammenlebens. Respekt voreinander und Respekt füreinander. Gaddafi hat, als er die Macht übernommen hat, ungerechte Verhältnisse in Libyen radikal bekämpft. Leider wurde er anschließend zum Diktator und Despot. An diese Stelle nun mit Euphorie neue Diktatoren und Despoten zu setzen, wäre eine Katastrophe.
Aber es steht uns nicht zu, mit unseren Geheimdiensten und unseren militärischen Möglichkeiten in anderen Staaten zu intervenieren. Andererseits ist es für mich auch völlig unverständlich, wie man in Deutschland vor den Wahhabiten warnt, aber gleichzeitig mit dem saudischen Königshaus eine feste Waffenbrüderschaft hat. Ich verstehe nicht, wie man deutsche Kampfpanzer denen in die Hand gibt, die eine Religionsauslegung vertreten, die hier in Deutschland massiv mit geheimdienstlichen Mitteln versucht wird zu kontrollieren. Dies ist widersprüchlich, unehrlich und verlogen. Für mich ist die Trennlinie zwischen Liberalität und orthodoxer Radikalität. Schauen wir einmal, was das libysche Volk bzw. die unterschiedlichen Stämme in Libyen aus der Situation jetzt machen oder ob es nur darum geht, neue Ölverträge mit dem Waffenlieferanten zu machen!
JJ: Sie haben über 2.000 Follower bei Twitter, knapp 4.000 Facebook Freunde und führen auf Ihrer Internetseite seit Februar diesen Jahres ein Blog mit fast täglichen Einträgen über den Parlamentsalltag, Ihre Arbeit und Ihr Privatleben. Gleichzeitig werden Ihre allgemein zugänglichen Aktivitäten vom Verfassungsschutz beobachtet. Haben Sie keine Angst vor einem Bundestrojaner auf Ihrem Rechner?
Da ich auf meinen Rechnern tatsächlich nur die Dinge schreibe, die bei mir zu lesen sind, wird sich Geheimnisvolles, was es auszuschnüffeln gibt, auf diesen Rechnern nicht finden lassen. Höchstens mal eine dumme Bemerkung.
Da es aber auch in meinem Privatleben relativ wenig auszuschnüffeln gibt, weiß ich ja leider bis heute nicht, warum sich seit 30 Jahren der Verfassungsschutz so für mich interessiert. Es zeigt nur die Hysterie des Kalten Krieges, denn der eigentliche Vorwurf, der mir gemacht wurde, war die Solidarität mit einem Berufsverboteopfer in Marburg und in den Jahren danach haben sich die Anlässe offenkundig gewandelt und der Verdacht ist immer geblieben. Mehrfach haben Richter gefragt, ob denn nach 30 Jahren ein Verdacht nicht endlich einmal erhärtet sein sollte, aber zum Schluss ist eben entschieden worden, dass es auf mich gar nicht ankäme, sondern der Geheimdienst dürfte schnüffeln, weil nicht auszuschließen ist, dass evtl. systemumstürzlerische Kräfte in unserer Partei sein könnten. Auch da bin ich mit unserem Programm jetzt sehr einverstanden, denn es hat klar beschrieben, wie für uns ein demokratischer Sozialismus aussieht. Meine Botschaft heißt deshalb: Geheimdienste abschaffen und Bundestrojaner verbieten!
JJ: Ihre ausgeprägten Online-Aktivitäten springen ins Auge. Nicht zuletzt deshalb, weil Sie damit innerhalb der Linkspartei eine Ausnahme bilden. Ist DIE LINKE zu alt für eine offene und transparente Kommunikation per Internet?
BR: Ich bin nur deshalb etwas auffälliger, weil ich von meinen Söhnen angestachelt es nicht ertragen konnte, dass sie mir freundlich über Kopf gestreichelt haben und gesagt haben, “Senioren ans Netz”. Seitdem habe ich mich aufgemacht, Twitter und ähnliches zu verstehen. Ich nerve in der Partei alle Menschen. Nein, präziser, fast alle Menschen. Gleichzeitig bin ich Vorstandsmitglied der Lima eV (Linken Medienakademie) geworden und wir haben den Landesverband Thüringen zu einem digitalen Pilotprojekt weiterentwickelt.
Manchen älteren Genossen reicht der One Way Kanal. Sie wollen Informationen bekommen, aber legen wert, wenigstens einmal im Monat sich zu treffen. Hier müssen wir lernen, für unsere älteren Genossen die Zeitung zu drucken, das Flugblatt zu fertigen, aber die Basis(CMS), auf der das entsteht, muss netzbasiert sein, so dass die Informationen für die analoge und die digitale Welt am Schluss zur Verfügung stehen. Geschwindigkeit und Ist-Zeit-Kommunikation sind der Schlüssel der Zukunft für alle Massenorganisationen.
JJ: Stammen Tweeds, Postings und Blogeinträge aus Ihrer eigenen Feder oder haben Sie Unterstützung?
Das Tagebuch wird hauptsächlich von einem Mitarbeiter gepflegt, mit dem mich seit Jahren allerdings eine seelenverwandtschaft verbindet. Es reichen fünf bis zehn Minuten Telefonat, um das Tagebuch entstehen zu lassen, denn alles, was drin steht, sind tatsächlich meine Dinge. Ab und zu schreiben aber die Mitarbeiter unter ihrem Namen auch das Tagebuch. Was wir alle zusammen ablehnen ist, Fakes zu produzieren oder zu behaupten, dass ich es sei, wenn ich es nicht bin. Es ist erkennbar, wenn aus dem digitalen Team gearbeitet wird.
JJ: Ihre Facebook Pinnwand erlaubt allerdings bisher keine fremden Postings. Wäre hiermit die Grenze des Vertrauens gegenüber der Öffentlichkeit erreicht?
BR: Diese Frage muss ich mit ja beantworten, da wir anfänglich die Möglichkeiten offen und unkommentiert zugelassen haben. Da hat es tatsächlich rassistische, faschistische, antisemitische Eintragungen gegeben. 2005, als ich anfing, digital Politik zu machen, waren es auch strafrechtlich relevante Eintragungen und mehrfach musste ich auch gerichtlich mich meiner digitalen Haut erwehren. Seitdem habe ich entschieden, dass die Dinge moderiert sein müssen, da ich meine Kraft anschließend nicht auf Gerichtsfluren verzetteln möchte. In der Blogosphäre, die nicht parteipolitisch direkt bei uns verankert ist, kann ich mir sehr wohl offene Diskussionsforen vorstellen. Bei parteiinternen achte ich allerdings darauf, dass sie dann durch Zugangscodes geschützt sein müssen und das Umgangsformen gewahrt bleiben.
JJ: Immer mehr Zeitungen, Magazine, Fernsehsender und andere Medien befinden sich im Besitz weniger Konzerne. Für wie wichtig halten Sie die Blogosphäre und die freie Kommunikation per Internet für die politische Meinungsbildung und als Gegenöffentlichkeit?
BR: In unserem Programm haben wir uns darauf verständigt, dass der freie Zugang zum Netz eine zentrale Position unserer Partei ist. Schnelles Internet und Barrierefreiheit im Internet sind zentrale Voraussetzungen für die Teilhabemöglichkeit aller Bürger in diesem Land an Kommunikationen und der Möglichkeit der selbstgestalteten Angebote. Dazu müssen Menschen aber auch finanziell in der Lage sein, sich den Zugang zum Netz zu ermöglichen. Die Konzerne müssen gehindert werden, per Verwertungsrecht Zugriff auf Netzinhalte zu bekommen. Gleichzeitig müssen wir bedenken, dass kreativschaffende Personen nicht „enteignet“ werden. Hier müssen also neue Methoden auch der Finanzierung gefunden werden. Andererseits versuchen Konzerne, nun den Schutz der kreativen Menschen vorzuschieben, obwohl sie selbst über die Verwertungsrechte die Kreativschaffenden längst enteignet haben. Hier müssen also alle Nutzer und Anbieter auf gleicher digitaler Augenhöhe miteinander kommunizieren und umgehen können.
Ich plädiere allerdings auch für das Entstehen neuer lokaler Medien. Könnten völlig neue analog geschaffene Lokalmedien kostengünstig als Nachbarschaftskommunikation neben dem Netz noch als Cross over Medium fungieren. In Thüringen haben wir einige Besonderheiten mit lokalen kleinen Fernsehstationen, Bürgerrundfunk, etc. Dies alles zusammengenommen ist durch die Thüringer Landesmedienanstalt abgedeckt. Hier bräuchte es aber dringend eine andere Form der qualitativen Finanzierung. Die großen Konzerne versuchen, dies alles zu durchdringen, um den Werbemarkt besser ausschöpfen zu können. Dies steht allerdings einer politischen freien Kommunikation im Weg. Deshalb brauchen wir eine stärkere Monopolaufsicht, was die Privatmedien angeht, brauchen wir eine Stärkung der inneren Redaktionsfreiheit in den Medien und wir brauchen einen freien Zugang zum Netz sowie die Fähigkeit und das Wissen, das Netz zur Kommunikation nutzbar und produktiv zu gestalten.
JJ: Den PIRATEN ist es in Berlin gelungen, 8,9 Prozent der Wähler zu begeistern. Ein Blick ins Parteiprogramm zeigt, dass fast alle Piraten-Positionen auch von Ihrer Partei vertreten werden. Warum ist die Linkspartei in diesem Wählersegment dennoch weniger erfolgreich?
BR: Richtig ist, glaube ich, dass wir zuerst die Dinge im Parteiprogramm hatten und die Piraten munter ihre Dinge zusammengeschrieben haben, die für ihren Antritt hilfreich und gut waren. Bei den digitalen Themen mussten wir allerdings nachrüsten. Bei den sozialen Themen sind wir analog sehr gut aufgestellt und mit unserer Grundpositionierung als demokratisch sozialistische Partei sind wir im linken Spektrum klar vor Ort. Hier sind die Piraten durchaus noch sehr offen und werden als Mitte links verortet. Interessant ist auch, dass die konzerngebundenen Medien unglaublich positiv sowohl über Piraten als auch über die Occupybewegung berichten. Offenkundig wird dieser Teil noch nicht als systembedrohend angesehen, was ich allerdings für eine politische Fehleinschätzung durch diese Konzernmedien halte.
Interessant für mich war nur, dass manche Äußerung eines Piratenpolitikers dann zum Skandal aufgeblasen worden wäre,wenn es aus meinem Mund gekommen wäre. Offenbar wird hier mit zweierlei Maß gemessen, aber ich nehme den Teil gelassen zur Kenntnis und fühle mich motiviert, nicht gegen, sondern mit den Piraten in den Segmenten sich argumentativ zu stärken und da, wo man zusammenarbeiten kann, auch zusammenzuarbeiten.
JJ: Die fortgesetzte Beobachtung Ihrer Person durch den Verfassungsschutz wurde am 21. Juli 2010 vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als angemessen und verhältnismäßig beurteilt. Sie hatten damals eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil angekündigt. Was ist daraus geworden?
BR: Diese Verfassungsbeschwerde läuft und ich warte mit großer Ungeduld darauf, dass Karlsruhe endlich den Prozesstermin anberaumt. Ich habe auch angekündigt, im Falle des Unterliegens noch die Europäischen Gerichte anzurufen, denn in einem vergleichbaren Fall von schwedischen Linkspolitikern haben die Europäischen Gerichte eindeutig die Dinge zu Unrecht erklärt, die auch in meinem Fall von den deutschen Geheimdiensten praktiziert werden. Langfristig bin ich also guter Dinge, dass dem Schnüffelstaat eine Abfuhr erteilt wird.
Ich persönlich hätte mit den Behörden längst meinen Frieden machen können, kämpfe aber für die gesamte Partei DIE LINKE und so ist mein Verfahren mittlerweile ein Pilotverfahren für uns alle geworden. Es ist durch Karlsruhe zu prüfen, inwieweit man in der Wirtschaftspolitik systemrelevante Alternativen politisch fordern kann, darf und muss. Karlsruhe hat in der Vergangenheit immer entschieden, dass die Wirtschaftsordnung in Deutschland keinen Verfassungsrang hat. Und man muss die CDU an ihr Ahlener Programm erinnern und die FDP an die Freiburger Thesen. Sehr schnell würde klar, dass sowohl Kirchen als auch andere Parteien lange in der Tradition gestanden haben, den Menschen als Maß der Dinge und nicht die Börse im Zentrum stehen zu haben. Ich werde deshalb, juristisch das Schnüffeln mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen und gehe langfristig von einem Sieg der LINKEN aus.
JJ: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz im Zusammenhang mit der Dresdner Anti-Nazi-Demonstration im Februar 2010 gegen Sie. Der Thüringer Landtag hat im Oktober diesen Jahres, mit den Stimmen der SPD, Ihre Immunität aufgehoben. Sind Sie enttäuscht?
BR: Ob oder wer meine Immunität im Thüringer Landtag aufgehoben hat, weiß ich nicht, denn es ist ja bekanntermaßen ein vertrauliches Gremium, das diese Entscheidung getroffen hat. Mir wurde nur mitgeteilt, dass eine Mehrheit meine Immunität aufgehoben hat. Ich kann also nicht ausschließen, dass sogar ein ehemaliges Mitglied meiner Fraktion, der im Jahr zuvor noch die Demonstration in Dresden mit beschlossen hat, an meiner Immunitätsaufhebung jetzt mitgewirkt hat, nachdem er zur SPD übergewechselt ist. Ich kann das allerdings nur vermuten.
In meinen Ermittlungsakten steht klar drin, dass eine Aufforderung der Polizei zum Gehen nie erfolgt ist. Seltsam ist aber auch, dass ich während der gesamten Zeit gar nicht an diesem Punkt mich befunden habe und nachweislich als Vermittler zwischen Demonstrationsanmeldern und Polizei fungiert habe. Auch dies bestätigt die Polizei in mehrfachen Eintragungen in der Ermittlungsakte. Schauen wir einmal, was die Sächsische Kavallerie und die Dresdner Staatsanwaltschaft sich so alles noch an Strafrechtslyrik erlaubt. Für mich ist es ein Rückfall in die 60er Jahre der Bundesrepublik Deutschland!
JJ: Seit einigen Monaten bilden sich in vielen Ländern, unter anderem auch in Deutschland, Protestbewegungen, die von Politikern, Funktionären und Medien der Einfachheit halber als Anti-Banken-Proteste dargestellt werden. In Wirklichkeit geht es hier um weit mehr. Die Menschen ziehen auf die Straßen und Plätze, um für mehr direkte Demokratie, für eine gerechtere Verteilung von Vermögen, Ressourcen und Bildungszugang und gegen die Herrschaft der Wirtschaft über den Staat zu demonstrieren. Diese Forderungen könnten auch aus dem Programm Ihrer Partei stammen. Profitiert DIE LINKE von der Empörung der Menschen?
BR: Erst einmal ist es so, dass wir diese Proteste unterstützen. Wir sind solidarisch mit der Occupybewegung, soweit diese Bewegung von uns solidarisch unterstützt werden möchte. Umgekehrt muss auch die Occupybewegung durchdenken, bewerten und zum Schluss entscheiden, mit welcher Hilfe, ggf. auch parlamentarische Regeln zu mehr direkter Demokratie durchgesetzt werden kann. Es war und ist unser Markenzeichen, mehr direkte Demokratie dort durchgesetzt zu haben, wo wir Regierung waren und sind und dort aktiv unterstützt haben, wo es breite Bewegungen gab. Thüringen ist ein Paradebeispiel, denn ohne unsere Partei wären die erfolgreichen Volksbegehren gegen die CDU-Totalverweigerung nie möglich gewesen. Zurzeit läuft in Thüringen wiederum ein Volksbegehren gegen die Kommunalabgaben, bei dem die Bürger sich gegen ungerechte Kommunalabgaben wehren. Auch hier ist meine Partei die tragende Säule.
Allerdings bleibt auch die Frage, ob die Occupybewegung sich tatsächlich genauso breit aufstellt wie Sie es in Ihrer Frage formuliert haben. Ich frage mich deshalb, was manch ein Verschwörungstheoretiker oder das Zeitgeist Movement und andere versuchen, innerhalb der Bewegung an Raum auszufüllen, um quasi als Antiparteienbewegung die Occupyibewegung in eine ganz andere Richtung zu drängen. Ich sage dies nicht gegen die empörten Bürger, denn die kann ich gut verstehen, sondern sage, wir müssen alle wachsam sein, dass nicht am Schluss Occupy als trojanisches Pferd in eine andere Richtung zum Galoppieren gebracht wird. Wenn der Protest gegen die Bankenmacht mit der Verteilungsfrage und der Vermögensfrage in Verbindung gebracht wird und miteinander durchdrungen wird, dann bin ich überzeugt, dass wir in diese Bewegung gehören und an die Seite der Aktiven uns stellen müssen. Geht es allerdings nur um eine einfache Form von allgemeiner Bankenkritik, wäre dies zu kurz gesprungen und würde alles andere an Fehlentwicklungen im globalen Finanzspektrum aus dem Auge verlieren.
Wir haben deshalb als Landtagsfraktion neben der Schuldenuhr eine Reichtumsuhr auf unsere Homepage gesetzt, damit man sieht, dass im Verhältnis 1 : 3,5 pro Sekunde der Wachstum ungezügelter Vermögensmengen steigt. Ein automatisches Profitieren der LINKEN ist nicht zu erwarten, nur wenn wir gemeinsam kämpfen und auch wir als LINKE zeigen, dass wir nicht vereinnahmend wirken, sondern Angebote der Unterstützung unterbreiten und wir für uns allerdings auch wieder erkennbar sein müssen.
JJ: Die zentrale strategische Frage in der Linkspartei lautet: Regieren oder Opponieren? Sie selber finden, dass sich beide Positionen nicht ausschließen. Welche Forderungen müssen in künftigen Koalitionen zwingend erfüllt sein und über welche kann man reden?
BR: Ich halte nichts von den drei, fünf oder sieben roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Wer diese roten Linien festlegt oder festlegen will, hat keine Haltelinien, sondern hat Fesseln definiert. Fesseln fesseln einen eben selber. Mir schweben statt roten Linien Gestaltungslinien vor. Wir haben den Delegierten in Erfurt ein umfassendes Papier vorgelegt, in dem wir Thüringer Politik oder aus der Sicht unserer Thüringer Ansätze Politik für die Gesamtpartei formuliert haben. Ein gerechteres Bildungssystem, ein gerechteres Erziehungssystem, ein gerechteres Sozialsystem, etc. heißt, die Chancen für alle Menschen zu erhöhen. Chancengleichheit heißt, nicht formal die gleichen Chancen zu haben, sondern heißt zwingend, die Chancen jedes Menschen so zu verbessern, dass er Benachteiligungen überwinden kann. Chancengleichheit geht einher mit Chancengerechtigkeit und die müssen an vielen Stellen formuliert werden.
Die NATO-Frage in einer Landesregierung zu thematisieren, wäre meines Erachtens deplatzierte Lyrik. Wir haben unsere NATO-Frage im Programm klar definiert und die kann auch in einem Koalitionsvertrag auf Landesebene nicht abgedungen werden. Meine Haltung zu unserem Programm lasse ich mir auch durch keinen Koalitionspartner nehmen, dass sie per se in Abrede gestellt wird, nur weil ich der Meinung bin, dass man Schulpolitik nur gestalten kann, wenn man auch das Ministerium dafür in die Hände bekommt und Mehrheiten in einem Landtag hat, um längeres gemeinsames Lernen für alle Kinder wirksam auch durchsetzen zu können.
Das heißt für mich, gesellschaftliche Bewegung immer wieder im Blick zu haben, anzuschieben, aktiver Teil der außerparlamentarischen Bewegung zu sein und im parlamentarischen Raum Bewegungselemente bis hin zu Regierungshandeln zu verbinden. Regieren ist kein Selbstzweck wie auch Regieren per se ausschließen zu wollen genauso falsch wäre. Es kommt also darauf an, wofür man sich in eine Regierung einbringt, was man in dieser Regierung an täglicher Verbesserung durchsetzt. Mein Credo lautet seit vielen Jahrzehnten: Drum bleibe im Land und wehre Dich täglich. Und daran würde sich auch nichts ändern, wenn ich Ministerpräsident von Thüringen werden würde, wofür ich ja weiterhin kandidieren will.