Droht mit der Abschaffung des Fachs Biologie der Untergang des Abendlands?

Baden-Württemberg schafft in der Unterstufe eigenständiges Fach Biologie ab (Welt). Stattdessen wird ein Fächerverbund eingeführt, der alle Naturwissenschaften vereint und den Fünft- und Sechtsklässlern gewissermaßen einen ersten Einblick bietet. Die Fachwelt schreit auf: werden deutsche Abgänger künftig "in Indien und China nichts mehr wert sein", wie eine hauptberufliche Kassandra behauptet? Natürlich nicht. Bringen die Schulen ab sofort lauter kleine naturwissenschaftliche "Käppseles", wie der Schwabe sagen würde, hervor? Natürlich auch nicht.
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Alles klingt erstmal dramatischer als es ist. Fächerverbünde gibt es schon lange; angefangen hat das mit "Naturphänomene" in den 1990ern. Seither wurde im naturwissenschaftlichen Bereich viel herumexperimentiert. Hintergrund ist der vernünftige Gedanke, dass die späte Einführung vieler naturwissenschaftlicher Fächer (G8: Physik in Klasse 7, Chemie in Klasse 8, G9 jeweils ein Jahr später) sehr spät kommt und die entsprechenden Kompetenzen früher vermittelt werden sollen. Daher die Fächerverbünde, in denen die Kleinen sich bereits an Experimenten und der zugehörigen Methodik (Protokoll, Versuchsaufbau, Versuchsanalyse, etc.) versuchen sollten, bevor die "harten" Fächer Physik und Chemie dem Spielerischen mit der Periodentafel der Elemente und der Formelsammlung den Garaus machen. Die Abschaffung von Biologie in den ersten beiden Jahren, was bisher die einzige Naturwissenschaft mit eigenständigem Fach war (während Chemie und Physik in Fächerverbünden angeschnitten wurden, immer auch vermischt mit Bio), ist daher folgerichtig. Ab Klasse 7 kommen sie ja dann soweit ich das überblicken kann als eigenständige Fächer wieder hinzu und ermöglichen dann eine stärkere Ausdifferenzierung. Vom didaktischen Standpunkt her ist das nur vernünftig. Problematisch ist allerdings, worauf auch der Welt-Artikel am Rande eingeht, die bisherige Praxis, den Fachunterricht effektiv aufzuteilen (Bio-Lehrer machen die Bio-Teile, Physik-Lehrer die Phystik-Teile, usw.), was den Gedanken des Fächerverbunds ad absurdum führt. Das ist aber kein Problem des Konzepts, sondern der Lehrerausbildung und Organisation. Um das System richtig effektiv umzustellen müsste man die Schulen ein oder zwei Jahre schließen und in der Zeit die Lehrer von den einzelnen Naturwissenschaften auf den Fächerverbund umschulen. Da das nicht geht und für kontinuierliche, qualitativ hochwertige Fortbildungen kein Geld bereit steht, bleibt es beim Patchwork und man muss darauf hoffen, dass sich das Problem auf dem biologischen Weg erledigt: die alten Lehrer gehen in Rente, die jungen Lehrer sind bereits nach den neuen Plänen ausgebildet. Nach dem Prinzip wird in der Schulpolitik seit jeher verfahren, und es funktioniert auch leidlich. Der tatsächliche Effekt für die Schulen dürfte sich dabei in engen Grenzen halten. Völliger Humbug ist dagegen die Aussage, dass "deutsche Studienabgänger nichts mehr wert seien." Wenn dem so ist liegt das sicher nicht daran, dass Biologie eine halbe Wochenstunde in den ersten beiden Schuljahren verliert. Was wir stattdessen beobachten können ist die Beziehung der üblichen Positionen im didaktischen Grabenkampf: Sonnenbergs Kritik, dass "durch die Bildungsplanreform nach momentanem Stand die Gefahr besteht, dass das Niveau des Gymnasiums auf das der Gemeinschaftsschulen heruntergeschraubt wird" zeigt vor allem die tiefe Feindschaft der Gymnasien gegen die Gesamtschulen. Dieser Konflikt, der entlang der klassischen rechts-links-Verläufe des politischen Spektrums abläuft (Rot-Grün für die Gemeinschaftsschule, Schwarz-Gelb dagegen), instrumentalisiert entsprechend auch den neuen Bildungsplan. Dieser nämlich sieht explizit eine Angleichung der Schularten vor, um eine höhere Vergleichbarkeit zu gewährleisten und den Wechsel zwischen den Schularten zu erleichtern. Den Niveaverlust des Gymnasiums befürchten seine Vertreter schon immer und zu jeder Zeit, das ist nichts Neues. Man kommt drüber weg. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: seit ich an beruflichen Gymnasien unterrichte, sind meine geliebten Fächer Geschichte und Politik im Gegensatz zu den allgemeinbildenden Schulen zu einem Fächerverbund verschmolzen und haben die Hälfte (!) der Stunden eingebüßt. Klar ist das für mich als Fachlehrer schmerzhaft. Aber der Untergang des Abendlandes ist es nicht, wenn die Schüler das Kaiserreich nur am Rande streifen. Da kommen die drüber weg. Und genauso überleben die Kleinen den Verlust von ein bisschen Biologiefachwissen zugunsten einer stärkeren Vernetzung des anderen Wissens. Höchst albern ist daher auch das Argument, dass Erstsemester "nicht mehr zwischen einer Eidechse und einem Lurch unterscheiden" können. Den Unterschied erkläre ich als Lehrer in unterhalb einer Minute, und als Student habe ich es mir dann gemerkt. Die eigentliche Aufgabe von Universitäten ist es nicht, eine gewaltige Menge Fakten zu vermitteln, sondern Studenten beizubringen, sich diese Fakten eigenständig anzueignen. Diese Fähigkeiten werden im Schulsystem inzwischen stärker als je zuvor ausgebildet. Da der Tag nur 24 Stunden hat, muss für diesen Kompetenzgewinn zwangsläufig das Faktenwissen etwas gestutzt werden - was die Schüler dann aber bei Bedarf lernen können, anstatt die Schule mit einem Katalog auswändig gelernten nutzlosen Faktenwissens zu verlassen. Der eine Schüler des Jahrgangs, der nachher Biologie studiert, hat vielleicht etwas von der Unterscheidung. Die anderen 99 dagegen brauchen diese Unterscheidung nicht. Warum in Gottes Namen also soll es die Aufgabe der Schule sein, sie ihnen beizubringen? Ich bin sicher, dass Eberhard Frey bei all seinen Defiziten trotzdem der Herausforderung gewachsen ist, einem Hörsaal diesen Unterschied begreiflich zu machen.

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