Dreiviertelblut
Finsterlieder
Prinzregententheater, München, 8. Oktober 2016
Wer wissen wollte, wie tief das Abgründige, Todtraurige und Melancholische, der Wahnsinn schlechthin also, in der bayerischen Seele verwurzelt sind, der konnte sich bislang durch die wunderbare Edition „Stimmen Bayerns“ des Münchner Trikont-Labels (hier speziell „Der Tod“, „Der Rausch“ und „Der Irrsinn“) hören und war hernach ausreichend informiert. Seit einiger Zeit darf auch das Duo Dreiviertelblut als zusätzliches Studienmaterial herangezogen werden. Um das Jahr 2010 taten sich der umtriebige Filmkomponist Gerd Baumann und Sebastian Horn, Sänger der Tölzer Formation Bananafishbones, in gemeinsamer Leidenschaft zusammen, der zunehmend erfolgreicheren Mundartmusik eine neue, vornehmlich düster eingefärbte Facette hinzuzufügen. Schon das Debüt „Lieder vom Unterholz“ konnte mit so herzzerreißendem wie wildem Klage- und Saufgesang aufwarten, unterstützt von einem auf’s Beste harmonierenden Ensemble aus Blech, Bass und Gitarre. Mit dem zweiten Wurf „Finsterlieder“ gastierten die Herren nun zur Plattentaufe im feinen Prinzregententheater, im zweiten Teil des Vortrages unterstützt von den Münchner Symphonikern unter Leitung von Olivier Tardy.
Und das hat, wenn man der launigen Anmoderation von Baumann glauben darf, leider zur Folge, daß sich Dreiviertelblut am Ende des Abends auch schon wieder auflösen müssen, denn: Viel schöner kann es nicht mehr werden. Was als Gag gemeint war, hatte natürlich auch ein ziemliches dickes Korn Wahrheit in sich, denn hier wurde, auch für Vollblutmusiker wie die der siebenköpfigen Band nicht alltäglich, in der High-End-Variante musiziert: Akustik, Licht und große Kapelle, so etwas gibt es nicht alle Tage und ein jeder auf und vor der Bühne genießt es auf seine Weise. Schon der von Baumann scherzhaft als „U-Teil“ deklarierte Part vor der Pause fand ein begeistertes Publikum, ausgelassen Beschwingtes wechselte mit nachdenklich Bedächtigem, alles natürlich, der Neigung und dem Prinzip folgend, reichlich morbide – der verrückte Schlafschafzähler, die verwurmte Leich (von Ludwig Hirsch), betrunken, verwegen, verzweifelt, Dreiviertelblut malen die Stimmungsbilder zumeist mit dem breiten Pinsel und rühren dennoch das Herz. Der eine will vom toten Sohn nicht lassen („Der Schläfer im Tal“), der andere versteht seine Mitmenschen nicht mehr („Ned nur mia“) oder fürchtet sich schon im sonnigen Frühjahr vor der Kälte kommender Tage („Im Mai“), Horns warmes, tiefdunkles Organ erfüllt den ehrwürdigen Saal bis zur letzten Reihe mit sanftem Raunen.
Die Arbeit mit einem ganzen Orchester ist dann sicher noch einmal eine ganz andere Herausforderung – Zusammenspiel, Dramaturgie, Klangvolumen, nicht jeder traut sich diesen Sprung zu. Dreiviertelblut jedenfalls, das läßt sich im Nachhinein sagen, haben ihn sogar gestanden. Die Neukompositionen stammen allesamt von Baumanns Ziehkindern, also Studenten der Hochschule für Musik und Theater, und es ist schon bemerkenswert, wie alte und neue Stücke mit diesem erweiterten Klangkörper zu finalem Glanz finden, sich nicht einfach am Bombast besaufen, sondern zu einer neuen, ganz eigenen Qualität finden. Tardys Symphoniker funktionieren hier quasi als Emotionsverstärker, „Der Sturm“ wird noch bedrohlicher, der „Deifedanz“ noch ausgelassener und die Zigeunerweise „Falak“ in ihrer Tragik noch ein Stück schmerzhafter. Ein Versprechen, bei der Produktion von Album Nummer drei gleich von Beginn an mit von der Partie zu sein, war vom Dirigenten vor Publikum nicht zu bekommen, um dem Ganzen das Besondere zu bewahren, muss das aber auch nicht unbedingt sein. Sebastian Horn jedenfalls war an diesem Abend garantiert nicht der Einzige, der sich wünschte, die Zeit („die verreckte Matz“) möge doch ausnahmsweise einmal für einen Moment stehenbleiben.
Dreiviertelblut "Finsterlieder" ist gerade bei Millaphon erschienen.
Finsterlieder
Prinzregententheater, München, 8. Oktober 2016
Wer wissen wollte, wie tief das Abgründige, Todtraurige und Melancholische, der Wahnsinn schlechthin also, in der bayerischen Seele verwurzelt sind, der konnte sich bislang durch die wunderbare Edition „Stimmen Bayerns“ des Münchner Trikont-Labels (hier speziell „Der Tod“, „Der Rausch“ und „Der Irrsinn“) hören und war hernach ausreichend informiert. Seit einiger Zeit darf auch das Duo Dreiviertelblut als zusätzliches Studienmaterial herangezogen werden. Um das Jahr 2010 taten sich der umtriebige Filmkomponist Gerd Baumann und Sebastian Horn, Sänger der Tölzer Formation Bananafishbones, in gemeinsamer Leidenschaft zusammen, der zunehmend erfolgreicheren Mundartmusik eine neue, vornehmlich düster eingefärbte Facette hinzuzufügen. Schon das Debüt „Lieder vom Unterholz“ konnte mit so herzzerreißendem wie wildem Klage- und Saufgesang aufwarten, unterstützt von einem auf’s Beste harmonierenden Ensemble aus Blech, Bass und Gitarre. Mit dem zweiten Wurf „Finsterlieder“ gastierten die Herren nun zur Plattentaufe im feinen Prinzregententheater, im zweiten Teil des Vortrages unterstützt von den Münchner Symphonikern unter Leitung von Olivier Tardy.
Und das hat, wenn man der launigen Anmoderation von Baumann glauben darf, leider zur Folge, daß sich Dreiviertelblut am Ende des Abends auch schon wieder auflösen müssen, denn: Viel schöner kann es nicht mehr werden. Was als Gag gemeint war, hatte natürlich auch ein ziemliches dickes Korn Wahrheit in sich, denn hier wurde, auch für Vollblutmusiker wie die der siebenköpfigen Band nicht alltäglich, in der High-End-Variante musiziert: Akustik, Licht und große Kapelle, so etwas gibt es nicht alle Tage und ein jeder auf und vor der Bühne genießt es auf seine Weise. Schon der von Baumann scherzhaft als „U-Teil“ deklarierte Part vor der Pause fand ein begeistertes Publikum, ausgelassen Beschwingtes wechselte mit nachdenklich Bedächtigem, alles natürlich, der Neigung und dem Prinzip folgend, reichlich morbide – der verrückte Schlafschafzähler, die verwurmte Leich (von Ludwig Hirsch), betrunken, verwegen, verzweifelt, Dreiviertelblut malen die Stimmungsbilder zumeist mit dem breiten Pinsel und rühren dennoch das Herz. Der eine will vom toten Sohn nicht lassen („Der Schläfer im Tal“), der andere versteht seine Mitmenschen nicht mehr („Ned nur mia“) oder fürchtet sich schon im sonnigen Frühjahr vor der Kälte kommender Tage („Im Mai“), Horns warmes, tiefdunkles Organ erfüllt den ehrwürdigen Saal bis zur letzten Reihe mit sanftem Raunen.
Die Arbeit mit einem ganzen Orchester ist dann sicher noch einmal eine ganz andere Herausforderung – Zusammenspiel, Dramaturgie, Klangvolumen, nicht jeder traut sich diesen Sprung zu. Dreiviertelblut jedenfalls, das läßt sich im Nachhinein sagen, haben ihn sogar gestanden. Die Neukompositionen stammen allesamt von Baumanns Ziehkindern, also Studenten der Hochschule für Musik und Theater, und es ist schon bemerkenswert, wie alte und neue Stücke mit diesem erweiterten Klangkörper zu finalem Glanz finden, sich nicht einfach am Bombast besaufen, sondern zu einer neuen, ganz eigenen Qualität finden. Tardys Symphoniker funktionieren hier quasi als Emotionsverstärker, „Der Sturm“ wird noch bedrohlicher, der „Deifedanz“ noch ausgelassener und die Zigeunerweise „Falak“ in ihrer Tragik noch ein Stück schmerzhafter. Ein Versprechen, bei der Produktion von Album Nummer drei gleich von Beginn an mit von der Partie zu sein, war vom Dirigenten vor Publikum nicht zu bekommen, um dem Ganzen das Besondere zu bewahren, muss das aber auch nicht unbedingt sein. Sebastian Horn jedenfalls war an diesem Abend garantiert nicht der Einzige, der sich wünschte, die Zeit („die verreckte Matz“) möge doch ausnahmsweise einmal für einen Moment stehenbleiben.
Dreiviertelblut "Finsterlieder" ist gerade bei Millaphon erschienen.