Drahtseilakt zu Ostern: Weltklasse-Artistin balanciert über Aljezur

Von Alexander Kroll
Einen gewag­ten Draht­seil­akt an der Algar­ve führt Oster­sonn­tag, 21. April, die fran­zö­si­sche Welt­klas­se-Hoch­seil­ar­tis­tin Tatia­na-Mosio Bon­gan­go durch - von 14 bis 19 Uhr am Strand Pra­ia da Amorei­ra in Alje­zur. Im Inter­view mit "Algar­ve für Ent­de­cker" erzählt die gebür­ti­ge Afri­ka­ne­rin über ihr Ver­hält­nis zur Angst, wie Musik sie in 30 Metern Höhe in der Balan­ce hält und wel­che Rol­le Kos­tü­mie­rung in ihrer Show "Tra­ver­sée" spielt.

Fra­ge: Wofür steht der Name Basin­ga, den Sie Ihrer Artis­ten-Trup­pe gege­ben haben?

Bon­gon­ga: Basin­ga bedeu­tet in mei­ner Mut­ter­spra­che Linga­la so viel wie Sei­le bzw. Ver­bin­dun­gen, Brü­cken. Linga­la wird unter ande­rem in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go gespro­chen. Der Name passt also gut zur Iden­ti­tät und zum Wil­len des Unter­neh­mens, Men­schen zu tref­fen und zu ver­sam­meln, die sich für die beson­de­re Akti­vi­tät des Balan­cie­rens auf dem Hoch­seil inter­es­sie­ren.

Fra­ge: Wo ist der Sitz Ihres Unter­neh­mens in Frank­reich?

Bon­gon­ga: Wir kom­men aus einem Ort namens Sauve am Fuße der Ceven­nen-Ber­ge zwi­schen Nimes und Mont­pel­lier in Süd­frank­reich. Eini­ge von uns leben dort oder in der Nähe, aber ande­re kom­men aus ande­ren Tei­len Frank­reichs, von der Atlan­tik­küs­te bis zu den Alpen, vom Nor­den bis zum Süden

Fra­ge: Waren Sie schon ein­mal beruf­lich in Por­tu­gal?

Bon­gon­ga: Ja, unse­re Basin­ga-Com­pa­gnie trat 2016 in Lis­sa­bon beim Fes­ti­val "Todos" auf. Und im ver­gan­ge­nen Jahr nah­men wir an einem Fes­ti­val teil, das in Por­to von der Funda­ção Ser­ral­ves orga­ni­siert wur­de. Eini­ge unse­rer Künst­ler und Tech­ni­ker haben bereits mit ande­ren Unter­neh­men in Por­tu­gal zusam­men­ge­ar­bei­tet, und alle schei­nen glück­lich zu sein, wie­der hier­hin ins Land zukom­men.

Fra­ge: Haben Sie in Por­tu­gal auch schon­mal einen Urlaub ver­bracht?

Bon­gon­ga: Natür­lich, das haben eini­ge von uns bereits getan, vor Kur­zem oder auch län­ger zurück­lie­gend.

Fra­ge: Ken­nen Sie eigent­lich so etwas wie Angst, wenn Sie übers Hoch­seil lau­fen? Die Bil­der von Ihrem Auf­stieg auf den Mont­mart­re-Hügel in Paris waren ja atem­be­rau­bend...

Sie kennt keine Angst beim Drahtseilakt

Bon­gon­ga: Angst wäre nicht die rich­ti­ge Vor­aus­set­zung fürs Balan­cie­ren übers Hoch­seil. Wenn ich Angst hät­te, wür­de ich nicht raus­ge­hen. Natür­lich gibt es ein Bewusst­sein dafür, wie hoch man läuft, aber genau das hilft, siche­re Schrit­te zu tun. Hoch­seil­ar­tis­tik ist mein Beruf und mei­ne Lei­den­schaft, des­halb habe ich jah­re­lang trai­niert. Ich gehe ein Risi­ko ein, aber kein grö­ße­res als beim Auto­fah­ren. Abge­se­hen davon, dass beim Fah­ren eines Autos die Auf­merk­sam­keit nach­las­sen kann. Auf dem Seil jedoch kon­zen­triert sich der Kör­per, der sich so hoch über dem Boden befin­det, auto­ma­tisch auf die gesam­te Umge­bung und auf alles, was ihm hilft, sicher auf die ande­re Sei­te zu kom­men.

Fra­ge: War­um benut­zen Sie kein Sicher­heits­ka­bel?

Bon­gon­ga: Ich trä­ge in mei­nem Kos­tüm eine Ret­tungs­lei­ne, die mir die Mög­lich­keit gibt, mich am Hoch­seil fest­zu­ma­chen, wenn sich die Bedin­gun­gen wäh­rend des Laufs dras­tisch ändern. Aber wenn ich aufs Seil gehe, sind immer drei Bedin­gun­gen erfüllt: Das Set­up ist getes­tet und gut, die Wet­ter­be­din­gun­gen sind in Ord­nung und auch mei­ne men­ta­le und phy­si­sche Ver­fas­sung sind gut. Dann kann ich begin­nen, übers Hoch­seil zu balan­cie­ren, ohne mich irgend­wo fest zu machen. Ich ver­glei­che das oft mit Men­schen, die Schwim­men gelernt haben. Wenn die Bedin­gun­gen gut sind und sich nicht ändern, wird wohl nie­mand mit einer Schwimm­hil­fe ins Was­ser gehen.

"Beim Drahtseilakt lässt mich nichts die Kontrolle verlieren"

Fra­ge: Wie kamen Sie mit Hoch­seil-Artis­tik in Kon­takt? Was ist ihr beruf­li­cher Hin­ter­grund?

Bon­gon­ga: Ich habe in mei­ner Hei­mat­stadt mit dem Balan­cie­ren auf dem Hoch­seil begon­nen. Ich habe jeman­den gese­hen, der auf einem Kabel trai­niert hat, das zwi­schen zwei Gebäu­den gespannt war. Und ich woll­te das Glei­che tun. Es war bele­bend und wich­tig für mich. Ich war damals sie­ben Jah­re alt, als ich eine Frau sah, die in der Nähe mei­nes Wohn­or­tes in der Nor­man­die einen Draht­seil­akt voll­führ­te. Da woll­te ich auch unbe­dingt über solch ein Kabel lau­fen. In mei­ner Stadt gab es eine Schu­le, die auf Hoch­seil­ar­tis­tik spe­zia­li­siert ist. Als ich acht Jah­re alt war, habe ich dort mit Unter­richt begon­nen. Spä­ter, als Jugend­li­che, begann ich Psy­cho­lo­gie zu stu­die­ren. Mei­ne Vor­stel­lung war, dass ich mit Men­schen arbei­ten woll­te. Aber das Hoch­seil aus Draht hat mich zu sich zurück­ge­ru­fen. Ich been­de­te mein Stu­di­um und ging an pro­fes­sio­nel­le Zir­kus-Schu­len in Mont­pel­lier und Cha­lons en Cham­pa­gne. Dort mach­te ich 2008 mei­nen Abschluss. Seit­dem arbei­te­te ich als pro­fes­sio­nel­le Hoch­seil­ar­tis­tin in ver­schie­de­nen Unter­neh­men. Im Jahr 2014 haben wir dann Cie Basin­ga gegrün­det. Und was ist, wenn eine Flie­ge Sie mal stö­ren soll­te?

Fra­ge: Was wäre, wenn eine Flie­ge oder ein ande­res Insekt sie bei einem Ihrer Spa­zier­gän­ge übers Hoch­seil stö­ren wür­de? Ist das schon pas­siert?

Bon­gon­ga: Nichts stört mich. Ich habe über­haupt kein Pro­blem mit Insek­ten oder etwas ande­rem, wenn ich übers Hoch­seil balan­cie­re. Ich behal­te die Kon­trol­le und ich blei­be ent­spannt.

Fra­ge: Wie wich­tig ist für Sie die Musik? Wel­che Rol­le spielt sie wäh­rend der Shows?

Bon­gon­ga: Musik ist wäh­rend mei­ner Shows sehr wich­tig. Es gibt einen ech­ten Aus­tausch zwi­schen den Musi­kern und dem, was auf dem Hoch­seil pas­siert. Musik bringt mich dazu, mich auf dem Kabel vor­wärts zu bewe­gen und mei­ne Bewe­gun­gen ver­än­dern wiedrum die Musik, die von unten kommt. In man­chen Momen­ten bin ich es, die zum Tan­zen ani­miert, in ande­ren Momen­ten sind es die Musi­ker unten am Boden. Die Prä­senz und die Stand­or­te der Musi­ker geben mir oft die Mög­lich­keit, den Raum, durch den ich mich bewe­ge, anders zu sehen und zu hören.

Fra­ge: Wie schafft man es, ein Orches­ter, eine Band haupt­säch­lich aus Ein­hei­mi­schen zusam­men­zu­stel­len?

Beim Drahtseilakt in Aljezur machen Zuschauer die Musik

Bon­gon­ga: Unser Pro­jekt "Tra­ver­sée" in Alje­zur und Mon­chi­que ist eins, bei dem wir uns als Com­pa­gnie so oft wie mög­lich mit der ört­li­chen Bevöl­ke­rung tref­fen und aus­tau­schen wol­len. Um dies zu errei­chen, ver­su­chen wir, durch Work­shops in Alje­zur und Mon­chi­que und unse­re Prä­senz vor Ort Gele­gen­heit zu geben, an einem Aben­teu­er teil­zu­neh­men. Wir laden die Men­schen - zum Bei­spiel auch Feu­er­wehr­leu­te und Schü­le­rin­nen und Schü­ler - ein, auf Sei­len zu gehen, mit uns zu musi­zie­ren, sich Kos­tü­me aus­zu­den­ken, das Kabel für den "Spa­zier­gang" auf­zu­bau­en und zu sta­bi­li­sie­ren. Einer unse­rer vier Musi­ker, Adri­en, ist nicht nur Saxo­pho­nist, son­dern auch Maes­tro und eine Art Koch. Durch die offe­ne Aus­schrei­bung des Pro­jekts "Lav­rar o Mar", geför­dert vom Kul­tur­pro­gramm 365 Algar­ve, konn­ten wir etwa 15 Musi­ke­rin­nen und Musi­ker unter­schied­li­chen Alters und Hin­ter­grunds zusam­men­zu­brin­gen. Sie haben wäh­rend meh­re­rer Pro­ben mit Rémi, einem Musi­ker aus dem Lav­rar o Mar-Team, mit Adri­en und den ande­ren Basin­ga-Musi­kern dar­an gear­bei­tet, sich auf ihre Rol­le inner­halb der ori­gi­nel­len Musik­dar­bie­tun­gen der Show vor­zu­be­rei­ten. Video zum Draht­seil­akt von Tatia­na-Mosio Bon­gon­ga am 21. Juli 2018 am Mont­mart­re in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt Paris

Fra­ge: Wor­in besteht für Sie der Unter­schied zwi­schen einem Gang auf den Mont­mart­re-Hügel in Paris und einem an der Algar­ve?

Bon­gon­ga: Ich weiß es, offen gesagt, nicht. Alles oder nichts ändert sich. Es ist immer die glei­che Ver­bin­dung zwi­schen zwei Punk­ten, aber die Land­schaft, die Men­schen, die Musik sind unter­schied­lich. Also: Es ist anders, aber auch gleich...

Fra­ge: Wie wich­tig sind die Reak­tio­nen des Publi­kums für Sie und das gesam­te Team?

Bon­gon­ga: Für uns alle ist es wich­tig, die­se Momen­te gemein­sam zu erle­ben.

Drahtseilakt in Aljezur: 150 Meter langes Kabel in 27 Metern Höhe

Fra­ge: Wie vie­le Meter über dem Boden wer­den Sie das Seil in Alje­zur instal­lie­ren?

Bon­gon­ga: In Alje­zur wird das Lauf­seil etwa 150 Meter lang sein und in einer maxi­ma­len Höhe von rund 27 bis 30 Metern gespannt sein. Die Stre­cke führt von Hügel zu Hügel über ein Tal in der Nähe des Stran­des, von wo aus das Publi­kum die Per­for­mance ver­fol­gen kann.

Fra­ge: Wie wird das Seil befes­tigt? An Fel­sen oder Bäu­men? Es ist eine san­di­ge Gegend.....

Bon­gon­ga: Wir arbei­ten in einem Natio­nal­park. Also müs­sen wir noch auf die Geneh­mi­gung unse­res Stell­plans war­ten. Die Idee ist, den Draht am Berg zu befes­ti­gen, indem wir Metall­pfäh­le, also län­ge­re Nägel, wie sie für gro­ße Zel­te ver­wen­det wer­den, mit der Hand in den Boden trei­ben. Wegen der san­di­gen Bedin­gun­gen wer­den wir wahr­schein­lich vie­le davon benö­ti­gen. Aber wir wer­den nicht den Strand selbst oder die Dünen nüt­zen, denn die sind ein stark geschütz­tes Gebiet.

Fra­ge: Was kön­nen Sie uns über die Kos­tü­me ver­ra­ten, die jeder mit­hel­fen kann, für die Ver­an­stal­tung in Alje­zur vor­zu­be­rei­ten - vom 8. bis 20. April täg­lich im Espa­ço + in Alje­zur und vom 10. bis 12. April im Casa dos Avós in Mon­chi­que?

Bon­gon­ga: Die zu "Tra­ver­sée" gehö­ren­den Kos­tü­me wer­den von der Desi­gne­rin Solen­ne Cap­mas ent­wor­fen. Sie führt zwei Wochen vor dem Auf­tritt am 21. April einen offe­nen Work­shop in Alje­zur durch. Die Kos­tü­me befin­den sich immer in einer fort­wäh­ren­den Wei­ter­ent­wick­lung, da die Work­shop-Teil­neh­mer ihre per­sön­li­che oder regio­na­le Note hin­zu­fü­gen kön­nen, indem sie Tei­le kre­ieren, die hin­zu­ge­fügt wer­den. Dafür haben wir viel Wol­le, Stof­fe, Far­be und - vor allem - Zeit... Tra­ver­sée wur­de erst drei­mal ver­an­stal­tet, so dass jeder Ort eine Spur in unse­rem Klei­der­schrank hin­ter­las­sen hat. Wir sind gespannt, was hier in Por­tu­gal pas­sie­ren wird!