Drahla: Zeichen der Zeit

Erstellt am 29. April 2019 von Mapambulo
Drahla
„Useless Coordinates“
(Captured Tracks)
Wenn die These stimmt, wonach der Zustand einer Gesellschaft daran zu bemessen ist, wie sehr die widerständige Musikszene eines Landes prosperiert und von welcher Qualität sie ist, dann geht es Großbritannien zurzeit wirklich schlecht (und Deutschland btw noch viel zu gut). Wie auch zuvor schon zu Zeiten von Thatcher und Major hält jede Woche mehrere verheißungsvolle und spannende Neuzugänge bereit, die Grime- und Rap-Szene floriert, Rock und Pop ebenso und selbst Nischen wie der Jazz werden plötzlich hell ausgeleuchtet. Nachdem die Liste ordnungsgemäß pöbelnder Punk- und Post-Punk-Kapellen fast täglich aktualisiert werden muß, machen mit Drahla auch die bislang etwas unterrepräsentierten Kunststudenten wieder lauter. Ohne dass man von dem Trio aus Leeds die Parallelen direkt bestätigt bekäme, sind Ähnlichkeiten zwischen ihrem Werdegang und dem der New Yorker No-Wave-Heroen Sonic Youth zu erkennen: Das betont gleichwertige Nebeneinander von zeitgenössischer, bildender Kunst und roher Musikgewalt („The art side of things is equally as important as the music“, Sängerin Luciel Brown im NME), der performative Ansatz ihrer Video- und Liveauftritte und die sorgfältige DIY-Auswahl grafischer Mittel bei der Gestaltung ihrer Veröffentlichungen – das alles rückt Drahla in die Nähe von Gordon, Moore und Co.

Hinzu kommen Ähnlichkeiten bei Stuktur und Sound, auch Drahla favorisieren das Sperrige, Ursprüngliche, auch sie schicken mit Vorliebe repetitive, messerscharfe Gitarrenriffs, atemlos hetzende Sprachbilder und sich stetig überlagernde Noiseattacken in die Runde, gut ist, was laut, schief, unerwartet klingt und somit gegen die gängigen Normen von Wohlklang, Akkordabfolge und Songaufbau arbeitet. Ihr Video zu „Stimulus For Living“ darf dabei als passende Einführung in das Werk gelten – Interviewsequenzen zwecks Ideen-Proklamation, Zerstörung, Dekonstruktion, dadaistische Wortspiele („ideological/rhythm/norm“), in der Verwirrung liegen Reiz, Anziehungskraft und Schönheit. „I think it’s better not to put a genre on something if possible“, meint Brown im NME dazu und weiter: „We’re pretty loud and abrasive, and we try not to stop“. Zehn Mal klirrt es also kalt und kaputt auf „Useless Coordinates“ und neben Mike Ainsley’s treibendem Schlagzeug und Bassist Rob Riggs fast in jedem Song mit dabei ist Chris Duffin am Saxophon.

Einem Instrument also, das in den letzten Jahren wie kein zweites eine regelrechte Wiederauferstehung gefeiert hat, erst durch die Rückkehr klassischer Soul-, Funk- und Jazzklänge in den Fokus der Populärmusik und später als Ausdruck zunehmender Diversifizierung des anhaltenden Post-Punk-Revivals. Und auch hier sorgt es sowohl für die schrägen, atonalen Momente als auch für die das Innehaltens. Obwohl richtige Ruhe auf dem Album, sieht man von ein paar kleineren Verschnaufpausen ab, kaum einkehrt, selbst das zweigeteilte „React/Revolt“ zieht nach der Hälfte deutlich an und stürmt danach furios vorwärts. Brown fragmentarische Lyrics bleiben dabei bewußt vage und interpretationsfähig, es gibt verwirrende Vergleiche des alten Ägyptens mit der Neuzeit („Pyramid Estate“), Verweise auf die gewaltige/gewalttätige Malerei eines Francis Bacon („Serenity“) oder auf Hollywoods überkommene, goldene Zeiten („Gilded Cloud“). Drahla wollen übrigens bald selbst eine eigene Ausstellung kuratieren, fraglos werden sie diese wohl auch entsprechend vertonen. Eine kleine, offenkundige Gemeinsamkeit mit Sonic Youth haben wir dann übrigens doch noch gefunden: Rob Riggs gab in einem Interview mit Fred Perry seiner Verehrung zum Filmemacher Harmony Korine Ausdruck – und dieser hat bekanntlich gemeinsam mit Schauspieler Macauley Culkin das Video zu „Sunday“ gedreht. Was wiederum ein schöner Schlusspunkt ist. https://www.drahla.com/