Dr. Wolfgang Krüger: Wie Sie sich durch Distanz näher kommen

Von Newssquared @Oliver_schreibt

Dr. Wolfgang Krüger, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch Freiraum für die Liebe, Nähe und Abstand in der Partnerschaft, jede zweite Beziehung würde an dem Nähe-Distanz-Konflikt scheitern. Ist das der Urkonflikt der Liebe? Und wie müssen wir das schon bei der Partnersuche beachten?

Dr. Wolfgang Krüger: Wir alle haben eine tiefe Sehnsucht nach Nähe, gleichzeitig aber auch ausgeprägte Wünsche nach Abstand. Das führt in jeder Partnerschaft zu Konflikten. Sie will mit ihm reden, er fühlt sich bedrängt. Abends will er mit ihr schlafen, nun will sie nicht. Morgens macht sie ihm dann reumütig ein Schinkenbrötchen. Dies sind die alltäglichen Konflikte in der Liebe. Wir suchen zwar Nähe, aber der Partner darf unsere Distanzwünsche nicht missachten. Dies würde immer Abwehrreaktionen auslösen. Deshalb achten wir auch bei der Partnerschaftswahl sehr genau auf die Signale des anderen. Sein Blick, seine Bewegungen, seine Ausstrahlung, der Klang seiner Stimme zeigt uns welches Nähemodell er hat. Ist er ein Kuscheltyp oder ein Jäger, reserviert oder nähebedürftig? Wir verlieben uns, wenn dies im Groben mit unserem Nähe-Distanz-Drehbuch übereinstimmt. Und wir müssen dabei vor allem achten, dass der zukünftige Partner wirklich nähefähig ist, aber nicht zu sehr klammert. Sonst entsteht später ein Dauerkonflikt.

Wie schafft man Nähe, ohne einzuengen?

Krüger: Wichtig ist vor allem, dass wir uns für den anderen wirklich interessieren, viele Fragen stellen, aber nicht übergriffig sind. Meist fragen wir beim ersten Treffen nicht, woran frühere Beziehungen gescheitert sind. Wir erzählen nichts über schwere Krankheiten. Aber wir stellen Nähe her, indem wir auf E-Mails schnell antworten, uns verbindlich verhalten, Zeit für den anderen haben. Und gleichzeitig müssen wir Geduld aufbringen: Männer sind meist zu ungeduldig, stellen zu schnell körperliche Nähe her, indem sie eine Frau umarmen oder küssen wollen. 70 Prozent der Frauen wünschen sich, dass die Männer in der Annäherungsphase zurückhaltender sind.

Wann verlieben wir uns dann?

Krüger: Liebe entsteht immer nach dem Reißverschlussprinzip. Sie empfindet Interesse für ihn, sendet Signale aus und wartet. Das spürt er, empfindet auch Sehnsucht, sendet Signale aus und wartet. Dann meldet sie sich wieder. Das ist wie ein Gespräch, bei dem beide aufeinander zugehen. Wenn nur einer aktiv wirbt, stirbt beim anderen das Liebesverlangen. Deshalb ist es in der Annäherungsphase so wichtig, dass man sehr auf den anderen zugehen kann, sich dann aber auch zurückhält und quasi lauscht, welche Signale der andere sendet. Sonst hat dieser das Gefühl, dass er überrannt wird.

Wie geht es dann weiter?

Krüger: Es gibt einen Bauplan der Liebe. Nähe entsteht zunächst durch das Gespräch, durch gemeinsame Aktivitäten, dann verbringt man die erste Nacht, man lernt den Freundeskreis des anderen kennen und nun ist man sich einig: dies ist eine Partnerschaft. Doch wenn man an einen Menschen mit Nähe-Ängsten geraten ist, endet bereits hier die Beziehung. Dieser wird dann mitteilen, dass er noch Altlasten hat, sich nicht einlassen könne oder nicht treu sein kann. Auf diese Weise kann das Fundament der Liebe nicht entstehen.

Was können Sie Frauen in dieser Phase raten?

Krüger: Finger weg von Männern, die nicht nähefähig sind. Frauen suchen sich oft Männer, die wie ein einsamer Wolf durchs Leben gehen. Solche Männer wirken geheimnisvoll, haben eine gewisse Traurigkeit an sich und das spricht die mütterlichen Instinkte von Frauen an. Und Frauen fühlen sich von diesen Männern nicht bedrängt. Wer eine schwierige Vaterbeziehung hatte, sucht sich oft distanzierte Männer, bei denen man sich sicherer fühlt. Frauen glauben oft: Ich liebe ihn für zwei, dann kann es klappen. Doch distanzierte Männer kann man nicht aufweichen. Hinter ihrer Distanz steckt ein Sicherheitsdenken, das sich nicht ändern lässt. Deshalb klagen die Frauen später zu recht: Du stellst zu wenig Nähe her. Das ist dann ein ständiger Konflikt in der Liebesbeziehung, der sich nicht lösen lässt.

Sind denn immer die Männer distanziert und die Frauen nähebedürftig?

Krüger: Das hat sich in den letzten vierzig Jahren sehr geändert. Im Alter zwischen 20 und 40 streben 70 Prozent der Frauen noch immer viel Nähe an, weil sie eine Familie gründen wollen. Die Männer sind in dieser Lebensphase oft wenig bindungsbereit. Doch wenn die Kinder etwas größer geworden sind, wollen Frauen mehr Zeit selbst bestimmt verbringen. Sie haben sich meist 15 Jahre lang auf die Kinder, den Mann eingestellt und sagen: Jetzt geht es mehr um mich. 65 Prozent der Frauen über 50 Jahren stellten daher fest, sie hätten gerne mehr Freiheit. Doch 60 Prozent ihrer Partner wollten nun mehr Nähe. Männer haben in diesem Alter die wichtigsten Karriereziele erreicht, mussten die ersten schweren Krankheiten überwinden und entdecken nun stärker die Nähe in der Partnerschaft. Freiheitsliebende Frauen treffen deshalb in dieser Lebensphase auf verunsicherte und anhängliche Männer. Männer jenseits der Lebensmitte wollen viel schneller zusammenziehen, wollen ein gemeinsames Schlafzimmer – während die Frauen ihre Selbstständigkeit auch in der Liebe bewahren wollen.

Offenbar sind Frauen in dieser Beziehung viel selbstbewusster geworden. Doch wie geht es dann weiter, wenn man ein Paar geworden ist?

Krüger: Der Anfang der Liebe ist zwar sehr schön, aber auch verunsichernd. Wenn die Partnerschaft begonnen hat, gehen die Nähe-Distanz-Konflikte weiter. Einer der Partner sucht immer mehr Eigenständigkeit, der Partner muss dann die Näheregeln beachten. Dazu gehört das Gummibandprinzip. Das besagt: Ziehe ich mich zurück, kommt der Partner nach. Man braucht Freundschaften, um die Distanz des anderen auszuhalten, man muss die eigenen Nähemuster der Kindheit reflektieren. Ich muss wissen: Warum bin ich manchmal so empfindlich, wenn er allein die Sportschau sehen will. Vielleicht bin ich als Kind vom Bruder entthront worden und reagiere gekränkt, sobald mich der andere nicht mehr wahrnimmt. Ich muss also sehr bewusst diese Nähemuster in meiner Partnerschaft reflektieren: Sonst gibt es ständig Reibungspunkte und es entstehen Notmuster der Nähe: Man wird krank oder depressiv und bekommt mitunter dann erst jene Nähe, die man vermisst hat.

Sind dauerhafte Partnerschaften so überhaupt möglich?

Krüger: Wir wissen heute, dass Paare auch nach zwanzig, dreißig Jahren durchaus glücklich miteinander sein können. Natürlich gibt es dann Krisen, Konflikte und vielfältige Belastungen. Aber die Kunst der Liebe besteht darin, dass man die Straße der Nähe nicht verlässt. Zuviel Distanz, zuviel Rückzug nach Kränkungen und Enttäuschungen führt dazu, dass die Liebe scheitert. Der häufigste Trennungsgrund ist mit 37 Prozent der Verlust von Nähe. Deshalb ist es so wichtig, dass man in Beziehungen immer wieder auf den anderen zugeht. Denn die Nähe ist ein Brückenschlag zwischen zwei Menschen, die grundsätzlich wissen: Wir gehören zusammen.

Lesetipp: Freiraum für die Liebe, Nähe und Abstand in der Partnerschaft; Dr. Wolfgang Krüger; Kreuz Verlag; 180 Seiten; 14,95 Euro.

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Partnerschaft – Wie Sie sich durch Distanz näher kommen