Dr. Who und Redtube retten das Internet

Ganz am Anfang meiner Reisen durch das Netz war ich ja auch mal Pirat, als es das noch gar nicht gab, erfüllt von Visionen lernender Netzwerke, zum Beispiel auch für politische Zwecke. Ich erinnerte mich daran, was die Reform der Post seinerzeit bewirkt hatte, die dafür sorgte, dass es bei der Versendung eines Briefes nicht mehr auf die Strecke, sondern nur noch auf das Gewicht ankam. Diese Reform war zugleich eine Revolution der Kommunikationswege, und das Ergebnis war nichts geringeres als die Industrialisierung, das Zeitalter der großen Erfindungen, und, so ganz nebenbei, kippte eine Monarchie nach der anderen, die Aufklärung zerstörte jahrundertealten Filz, sei er nun kirchlich oder königlich.
Ich habe das dann sehr schnell wieder vergessen, ich denke, irgendwann zwischen einem Forum, dass Katzenbilder sammelte, die aussehen wie Hitler und natürlich den Piraten selbst. Aber manchmal stosse ich doch auf Überreste dieser Vision, auf teilweise bizarren Wegen und, in diesem Fall, aus bizarren Anlässen.

Der erste Anlaß war, dass ich mit einem Lied im Kopf aufwachte, dass meinen nächtlichen Zombiefilm untermalte. Es dauerte nicht lange, und ich wurde fündig, nämlich bei der Titelmelodie von 28 weeks later, und so fand ich mich erstmals seit langem auf Youtube ein. Allerdings stimmten an dem Lied nur die Akkorde, es fehlte was. Was mich tatsächlich im Schlaf verfolgte war das "Doomsday"-Thema aus der zweiten Staffel von Dr. Who. Und als ich dann danach suchte, fand ich eines dieser kleinen Juwelen, die das Netz manchmal für uns bereithält, nämlich das sogenannte Dr.-Who-Fan-Orchestra, kurz DWFO.
Ich mag das. Wirklich. Weil es so nahe dran ist an dem, was ich ursprünglich mal für das ungeheuere Potential des Mediums hielt: Talente zusammenführen, die sich sonst nie berührt hätten. Menschen, die kommunizieren, die sich sonst nie getroffen hätten. Schicksale, die miteinander kollidieren mit Konsequenzen, die undenkbar gewesen sind. Bewegung, die Neuerung schafft. Und ja, es klingt ein bisschen schief, es hat ein wenig Schulorchester-Charme, aber die Solistinnen zum Beispiel sind definitiv nicht auf Schulorchester-Niveau, und das ist Versuch Nr. 3 - Versuch Nr.7, der aktuellste, ist bereits vom Orginal kaum noch zu unterscheiden. Ruhig mal im Hintergrund laufen lassen, den zu Anlaß Nr. 2 kann ich kein Video einspielen.

Anlaß Nr. 2 ist auf den ersten Blick klassisch das Internet, dass ich statt meiner Vision bekommen habe. Schwer atmende, angestrengt arbeitende Menschen, die mit starrem Blick und eckigen Bewegungen Tonnen angeschminkten Schweiß vergießen bei der Inszenierung von dem, was sie für Sex halten. Man ist versucht, jedem zuzujubeln, der Menschen davon abhält, Pornos zu gucken, vor allem diejenigen, die danach dann glauben, dass müsste alles so ablaufen. Selbst wenn es ein schmieriger Anwaltstyp ist, der Deutschland mit Abmahnungen überzieht. Und Sie haben mit Sicherheit auch darüber gelesen, denn in jedem Portal führt eben diese Abmahnwelle die Liste der meistgelesenen Artikel an. Sie bekommen gerade eine neue Regierung, die NSA liest weiter Ihre Post, und weltweit basteln Banken an der nächsten Finanzkrise, aber das ist alles nicht wichtig.

Dass Sie allerdings demnächst Post bekommen könnten, weil Sie Ihre Freizeit mit diesen schlecht animierten Fitnessvideos verbracht haben, das weckt Sie auf. Ist schon witzig. Die Redtube-Abmahnerei scheint das Zeug zu haben, zum Fukushima der Überwachungswut oder zumindest des Urheberrechts zu werden. Denn einige haben sich sogar daran gemacht, trotz oder gerade wegen der einseitigen Berichterstattung selber zu recherchieren, und die Ergebnisse sind bemerkenswert, allemal, da die Einzeltäter jetzt anfangen, zusammen zu arbeiten. Mit dem Ergebnis, dass U+C und Anwalt Sebastian demnächst echt Probleme kriegen könnten, denn scheinbar hat ihre Software deswegen so zielsicher IPs ermittelt, weil sie sie selber auf die Seite weitergeleitet hat. Aber ausgerechnet da zeigt sich dann einmal mehr das Potential, dass ich mal im Internet gesehen habe, und all die sogenannten Nachrichtenportale, die mal wieder eine Gelegenheit sahen, unser lachhaftes Urheberrecht zu verteidigen und auf diesem Wege vielleicht dieses böse Internet unter Kontrolle zu bringen, werden gerade begraben unter bösen Kommentaren.

Seit dem Heise-Artikel, das ist das bemerkenswerteste, hat die gesamte Elite der deutschen Nachrichtenseiten keinen einzigen Artikel mehr zu dem Thema veröffentlicht. Es könnte sogar sein, dass die jetzt selber recherchieren. Man wird ja noch träumen dürfen.

Gleichzeitig darf man gespannt sein, wer hier hier wohl wem das Handwerk legt. Und ja, das war so schlüpfrig gemeint, wie es klang. Aber zwei Beispiele für das gute Internet an nur einem Tag, das soll mir einen Artikel wert sein. Nach der Lebendbeerdigung meiner Ex-Partei am Samstag war das genau das, was ich brauchte.

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