Dass man Behinderung vermeiden soll, ist Konsens. Doch soll man auch Behinderte vermeiden? Ein neues vorgeburtliches Diagnoseverfahren ohne Risiko für Mutter und Kind verspricht Klarheit darüber, ob das ungeborene Kind am Down-Syndrom leidet. Das Verfahren wirft Fragen auf, welche die Grundfesten des Menschseins – und des Behindertseins berühren. – Ein Veranstaltungshinweis.
Mit dem Test werden, vereinfacht gesagt, im Blut der Mutter Genbruchstücke erkannt, wie sie für Kinder mit Trisomie 21 – eine der Genveränderungen beim Down-Syndrom – typisch sind. Es genügt dazu eine Blutentnahme bei der Mutter. Zuvor war die vorgeburtliche Diagnose sehr viel aufwändiger und auch gefährlicher, mussten dazu doch Fruchtwasser oder gar Zellen des Ungeborenen entnommen werden.
Der neue Test ist umstritten, gerade auch weil er so ungefährlich ist und zur Routine werden könnte. Befürworter führen ins Feld, der Test rette das Leben unzähliger Kinder, da es bei seinem Vorläufer nach der Fruchtwasser- oder Gewebeentnahme immer wieder zu Fehlgeburten gekommen ist. Gegner hingegen befürchten, dass sich der gesellschaftliche Druck auf die Eltern erhöht, bei positivem Befund das Kind abzutreiben. Auch befördere der Test die Diskriminierung von Menschen mit Down-Syndrom, indem er ihre Daseinsberechtigung grundsätzlich in Frage stelle.
Darüber hinaus kristallisieren sich an dem neuen Test einmal mehr prinzipielle Fragen zur vorgeburtlichen Diagnostik: Führt sie dazu, dass behindert geborene Kinder immer weniger gesellschaftliche Akzeptanz erfahren und womöglich mit der Zeit von den Krankenkassen und Sozialversicherungen geradezu geächtet werden – und mit ihnen bald auch ihre erwachsenen «Artgenossen»? Steckt hinter der Pränataldiagnostik nicht auch ein eugenisches Denken, wie es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts aufkam und in eine Katastrophe mündete? Kann, darf gesellschaftlich festgelegt werden, welches Leben lebenswert ist und welches nicht?
Und noch grundsätzlicher kann man in diesem Zusammenhang durchaus über die Frage stolpern, ob Behinderung an sich irgend einen Sinn ergibt – individuell und gesellschaftlich – oder für alle Beteiligten einfach nur eine Zumutung ist. Diese Frage wäre ein eigener Blogeintrag Wert. Vielleicht ein anderes Mal … Hier nur soviel: Dass sich ein Leben mit Behinderung lohnt – individuell und wohl auch gesellschaftlich –, kann ich als Betroffener aus tiefstem Herzen bezeugen. Und: Da die Pränataldiagnostik weder aufgehalten noch verboten werden kann, muss ihre Entwicklung so gesteuert werden, dass die Entscheidungsfreiheit der betroffenen Eltern in jedem Fall gewahrt bleibt. Ein frommer Wunsch?
Hier also der Veranstaltungshinweis, Prädikat empfehlenswert:
Podiumsveranstaltung
Datum Montag, 19. November 2012
Zeit 19.00 – 21.15 Uhr
Ort Unternehmen Mitte, Halle, Gerbergasse 30, Basel
Eintritt frei
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MusikalischerAuftakt:
Alma Handschin, Violine Xenia Wiener, Klavier
Gesprächsleitung:
Christoph Keller Journalist, Radio DRS
TeilnehmerInnen:
Heidi Lauper
Co-Geschäftsleiterin insieme Schweiz, Bern
Dr. Jana Nöldeke
Projektteamleiterin Forschung und Entwicklung Neurowissenschaften, Roche Pharma Basel
Christina Settelen-Strub
dipl. Wundexpertin, Mutter eines Sohnes mit Down Syndrom, Oberwil
Dr. med. Petrign Töndury
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Bern
Dr. med. Sibil Tschudin
Leitende Ärztin Abteilung gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik, Frauenklinik Universitätsspital Basel
Das Podiumsgespräch wird von Martin Haug, Beauftragter für die Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung im Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt organisiert.
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