Dörren und Dehydrieren: Geschmacksexplosion durch Wasserentzug

getrockenete Tomaten

Gedörrte Cherry-Tomaten: Etwa 12 Stunden bei 45 Grad dörren. Die Tomaten sollten noch einen Rest Feuchtigkeit enthalten, da sie sonst zu ledrig werden.

Knusprige Gurkenchips. Trockentomaten. Mango-Roll-Ups. Nur drei Beispiele für ganz ungewöhnliche Produkte, die einem Prozess entsprungen sind, der in den meisten Hobby-Küchen noch viel zu wenig Beachtung findet. Dabei ist Dehydrieren – auch unter dem Begriff „Dörren“ bekannt – einer der naheliegendsten Vorgänge im Umgang mit Lebensmitteln. Dehydrieren steht für Wasserentzug – also im Grunde genau das, was ohnehin passiert, wenn man etwas lange liegen lässt. Mit dem feinen Unterschied, dass Tomaten, Fleisch oder Pilze in diesem Fall nicht verschimmeln, sondern zur Geschmacksexplosion avancieren.

Dehydrieren und trocknen: Früher überlebenswichtig

Dehydration ist das wissenschaftliche Wort für Dörren. Dörren wiederum lässt sich – zumindest im weitesten Sinne – mit Trocknen gleichsetzen. Und das wiederum ist ein Prozess, den bereits unsere Urahnen nutzten, um Lebensmittel länger haltbar zu machen. Wasserentzug konserviert Lebensmittel – das hat einen simplen Grund: Man raubt Bakterien, die sich permanent in der Luft befinden, ihre Lebens- und Vermehrungsgrundlage. Sinkt der Flüssigkeitsgehalt in Richtung der 10%-Marke, steigt gleichzeitig die Haltbarkeit an.

Während das Trocknen von Lebensmitteln für unsere Urahnen noch überlebenswichtig war, ist es heute ein kleiner Luxus, den man sich im Zeitalter von Konservierungsstoffen und Import-Produkten theoretisch sparen kann. Erdbeeren sind mittlerweile auch im Winter erhältlich – frisch eingeflogen. Kürbis im Frühling? Kein Problem! Im Vergleich zu unseren Vorfahren sind wir nicht mehr darauf angewiesen, im Sommer Beeren und Früchte zu sammeln, um im Winter nicht an Hunger zu sterben. Dennoch findet man im Supermarkt Dörrobst neben Frischobst – und das ist keineswegs paradox.

Mango Rollups

Mango-Rollups: Mango pürieren und auf Backpapier dünn ausstreichen. Bei 48 Grad etwa 10 Stunden dörren. Ablösen, in Streifen schneiden, aufrollen.

Seit jeher sind Köche aller Klassen bestrebt, ihren Gerichten einen intensiven Geschmack einzuhauchen. Sie suchen geschmackvolle Lebensmittel, mit viel natürlichem Umami. Der Prozess des Dehydrierens knüpft im Grunde exakt an diesen Gedanken an. Der Geschmack von Lebensmitteln wird im Verlauf des Dehydrierens hoch konzentriert. Während in natürlichen  Zustand viel geschmacksteutrale Flüssigkeit den Geschmack „verwässert“, steht am Ende des Dehydrierens ein Produkt, das noch höchstens 10-15% des ursprünglichen Feuchtigkeitsgehaltes aufweist. Geschmackloses Wasser ist verdampft, während die Aromastoffe erhalten bleiben. Die Folge: Dehydrierte Lebensmittel schmecken ungleich intensiver als das Ursprungsprodukt. Man denke nur an getrocknete Tomaten, Dörr-Obst oder Trockenfisch. Sie sind bereits ohne die Zugabe von geschmacksverstärkenden Zutaten Geschmacksexplosionen. Mit Zucker oder Salz gewürzt, ist der Geschmack manchmal so ausgeprägt, dass er im Mund Irritationen auslöst.

Als wir im Test Gurkenscheiben dörrten, die zu nahezu 100% aus Wasser bestehen, war das ein ambivalentes Erlebnis. Sowohl die knusprige Konsistenz der Zellmembran, die übrig blieb, als auch der hoch potenzierte Geschmack der sonst eher dezenten Gurke, waren ungewohnt und aufregend. Dehydration kann aus dieser Perspektive durchaus als avantgardistische Koch-Methode betrachtet werden. Entwickelt aus einer überlebenswichtigen Notwendigkeit, hin zu einem rein geschmacksfokussierten Prozess. Dehydrierte Lebensmittel bieten die Möglichkeit, in eine neue Ebene im Aromen-Spektrum vorzudringen.

Was passiert beim Dehydrieren genau?

Da stellt sich die Frage, warum Dörrobst und andere dehydrierte Lebensmittel abseits von Nobel-Gastronomie und Rohkost-Fans noch immer ein Schattendasein führen. Eine plausible Erklärung ist der hohe  zeitliche Aufwand, der mit dem Dehydrieren einhergeht. Woran liegt das? Dieser Prozess hat nichts mit Backen oder Kochen zu tun. Beim Dehydrieren überschreitet die Temperatur nur in Ausnahmefällen 60 Grad. Ein Dehydrier-Vorgang dauert daher mitunter 10-20 Stunden, je nachdem, wie groß die zu dörrenden Stücke sind. Sogenannte Dehydratoren – auch bekannt als Dörrapparate – steuern den Prozess. Dörren ist also keine Zeitverschwendung, jedoch gleichzeitig nichts für Ungeduldige.

Durch die Drosselung der Temperatur auf 40-50 Grad bleibt die Struktur der Lebensmittel intakt, die Zellen denaturieren nicht. Sprich: Nach der Dehydrierung sind die Produkte noch immer im Rohzustand, haben allerdings einen Großteil ihrer Flüssigkeit verloren. Vitamine und Mineralien sind allerdings erhalten geblieben. Beim Dehydrieren entstehen keine Röstaromen, es setzt keine Veränderung, sondern nur eine Verstärkung des Geschmacks ein. Erhitzt man Lebensmittel auf Temperaturen über 60 Grad, bringen die einsetzenden Denaturierungsprozesse auch immer Geschmacksveränderungen mit sich. Unterm Strich: Dehydrieren ist die schondendste Art und Weise, Lebensmittel zu erhitzen, um ihnen Wasser zu entziehen

Dörren Bananenchips

Bananenchips: 10 Stunden bei 45 Grad dehydrieren. Sie härten beim Austrocknen vollkommen aus. Wer sie lange haltbar machen will, sollte noch zwei Stunden länger dörren, bis sie sich nach dem Abkühlen brechen lassen.

Dörren mit dem Dehydrator

Ich arbeite zu Hause mit dem Excalibur der Firma Keimling – ein Gerät, dass sich vor allem an Einsteiger richtet. Im Vergleich zum Profi-Modell Sedona ist es einigermaßen platzsparend (wenn man bei 60 x 60 cm von platzsparend sprechen kann). Allerdings verfügt es über einen leicht reduzierten Funktionsumfang. Für Hobby-Dehydrierer ist der Excalibur ideal. Gemüse oder Obst kann man in Scheiben geschnitten auf den fünf Schubladen platzieren, die wiederum mit perforierten Dörr-Matten ausgestattet sind. Über ein Rad lässt sich nun die Temperatur wählen und die Dehydration beginnt sofort. Das Gerät bläst warme Luft ins Innere und führt die mit Feuchtigkeit aufgeladene Luft wieder ab.

Wer dehydriert, sorgt automatisch dafür, dass der Raum um den Dehydrator einen intensiven Duft annimmt. Darauf sollte man sich einstellen oder bewusst in einem geschlossenen Bereich dehydrieren. Was man dabei auch nicht vergessen darf: Ein Dörr-Vorgang, der sich über einen ganzen Tag erstreckt, treibt natürlich die Stromrechnung etwas in die Höhe. Ich kalkuliere in der Regel mit zwei Euro pro Tag im Dörrbetrieb. Wer auf ein Dörrgerät verzichten will, kann natürlich auch im Backofen dehydrieren, bei niedrigster Stufe. Günstiger ist das nicht und es schließt weitere Nachteile ein: Der Ofen muss mit einem eingeklemmten Handtuch offen gehalten werden, damit die Feuchtigkeit entweichen kann. Auch wird man im Ofen niemals annähernd so exakt eine bestimmte Temperatur einstellen können. Des weiteren fehlt ein ausgereiftes Abluftsystem.


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