Die deutsche Journalisten-Riege durfte sich in der abgelaufenen Woche wieder einmal mit sich selbst beschäftigen. Einen der Ihren stellte sie an den Pranger, nachdem dieser sich in einer politischen Talkshow damit gebrüstet hatte, seine Stimme bei der Europawahl gleich zweimal abgegeben zu haben. Unbekümmert plauderte “Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo aus, er habe als Inhaber der deutschen und der italienischen Staatsbürgerschaft am vergangenen Wochenende doppelt gewählt. Dass dies möglich wurde, war der Gründlichkeit seiner beiden Heimatländer geschuldet: Sowohl aus Italien, als auch aus Deutschland hatte di Lorenzo eine Wahlbenachrichtigung erhalten. Und erstaunlicherweise schlussfolgerte der politisch äußerst bewanderte Intimus von Altkanzler Helmut Schmidt daraus, dass er auch zweimal zur Urne schreiten dürfe. Dafür gibt´s den “Klodeckel des Tages”, denn es gehört schon ein spezielles Demokratieverständnis zu der Überzeugung, man dürfe bei ein und derselben Wahl mehrfach abstimmen, weil man zwei Pässe hat. Der Durchschnittswähler, der sich ansonsten nicht viel aus Politik und Statuten macht, hätte hier wohl seine Skrupel gehabt.
Doch Zweifel beschlichen den zuweilen etwas selbstgerecht daher kommenden Intellektuellen offensichtlich nicht. Und das, obwohl auf der Online-Plattform des von ihm höchst selbst verantworteten Wochenmagazins gerade mal vier Tage vor seiner Stimmabgabe ein Artikel erschienen war, in dem die Problematik möglicher Mehrfachwähler mit Doppelpass ausführlich beleuchtet und die strafbare Handlung der Wahlfälschung thematisiert worden war. Bis zu fünf Jahre Haft drohen hierfür nach dem Strafgesetzbuch, doch di Lorenzo wird sicher mit einer Geldstrafe davon kommen. Allerdings muss sich der begeisterte Urnengänger ernsthaft fragen lassen, warum ihm die einfache Stimmabgabe zu profan erscheint. Keine gute Figur gab der 55-Jährige überdies Mitte der Woche während eines Vortrags zum Thema “Die Macht der Medien in Deutschland” ab, als er sich bei den anwesenden Kollegen darüber beklagte, wie ungerecht er sich behandelt fühle. Zwar entschuldigte sich der Deutsch-Italiener für seine doppelte Wahlhandlung, doch flüchtete er sich zugleich in die Opferrolle und verstieg sich zu dem völlig unangemessenen Vergleich mit der Treibjagd auf Ex-Bundespräsident Wulff.
Für einen, der die Mechanismen der Szene seit über 30 Jahren kennt und mitbestimmt, war dies ein recht peinlicher Auftritt. Di Lorenzo hätte besser geschwiegen. Doch vielleicht hat die Selbsterfahrung des Politik-Journalisten am Ende auch ihr Gutes: Der Talkmoderator hat einen neuen Aspekt in die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Und auch an seiner Kollegenschelte ist durchaus etwas dran. Im Mittelpunkt sollte dabei aber vor allem stehen, die recherchefaulen sowie orthografisch und sprachlich limitierten Protagonisten in den Redaktionsstuben wieder zu mehr Disziplin und Gründlichkeit anzuhalten. Schaden kann es zwar nicht, wenn di Lorenzo seine Zunft ermahnt, “empathischer und verständnisvoller auf die Menschen zu blicken”, doch zur Wahrheit gehört auch, dass dies ebenso umgekehrt gilt: Viel zu oft machen sich Journalisten zu willfährigen Erfüllungsgehilfen politischer Ideologen. Der fehlenden Empathie im Allgemeinen steht weitaus häufiger eine mangelnde Kritikfähigkeit im Besonderen gegenüber. Ein dringlicherer Appell an di Lorenzo und seine Kollegen erscheint mir daher, sich endlich wieder mehr Sachverstand und Unabhängigkeit zu erarbeiten.
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