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Es gibt ja immer wieder Prozesse, die das Medienecho besonders auf sich ziehen – und die deswegen deutlich besser dokumentiert sind als andere. Aus der deutschen Sicht ist das sicher zu nennen der Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann, der von seiner ehemaligen Geliebten der Vergewaltigung bezichtigt wurde und der dann nach vielen Monaten und Verhandlungstagen gegen den erbitterten Widerstand der zuständigen Staatsanwaltschaft erstinstanzlich freigesprochen wurde. International eine ganz andere Beachtung gefunden hat der Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn, den nunmehr ehemaligen Chef des internationalen Währungsfonds IWF, den man in New York den Vorwurf machte, er habe ein Zimmermädchen gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen.
Die Parallelitäten zwischen dem Fall Strauss-Kahn und dem Fall Kachelmann sind schon auffällig:
- Einem Prominenten wird der Vorwurf gemacht, eine Frau vergewaltigt zu haben.
- Der Prominente wird unter grossem Medieninteresse festgenommen.
- Die Aussagen der Belastungszeugin (und mutmasslichen Opfers) werden im Verlaufe der Ermittlungen immer widersprüchlicher.
Doch nun gibt es einen erheblichen Unterschied: im Gegensatz zu den bis zum heutigen Tage völlig uneinsichtigen Staatsanwälten in Mannheim und der Führerschaft des in der äusserlichen Gestalt und in seinem Auftreten einem Racheengel nahestehenden Lars-Torben O. zieht die Staatsanwaltschaft in den USA nun im Verfahren gegen Strauss-Kahn quietschend die Notbremse gezogen:
Am heutigen Dienstag wird der dortigen Ankläge Cyrus Vance jr. gegenüber dem zuständigen Gericht die Einstellung des Verfahrens beantragen – und dem wird sich das Gericht aller Voraussicht nach nicht widersetzen (Dominique Strauss-Kahn – Ende einer Affäre – Panorama – Berliner Morgenpost – Berlin).
Hintergrund ist wohl, dass die sowieso recht dünne Beweislage gegen den Ex-IWF-Chef sich in den letzten Tagen noch weiter verschlechtert hat, denn die Äusserungen und das Verhalten des mutmasslichen Opfers wurden immer zweifelhafter. So kam der Chefankläger zu dem Ergebnis, dass er mit dieser Zeugin und ihren Aussagen eine Geschworenenjury nicht „über jeden vernünftigen Zweifel hinaus“ davon überzeugen zu könne, dass Strauss-Kahn die Hotelangestellte zum Sex gezwungen haben soll.
Nach allem, was man über diesen Fall lesen konnte, dürfte dies eine zutreffende Ansicht sein, und sie zeigt, dass der amerikanische Staatsanwalt etwas besitzt, was man seinen deutschen Kollegen in Mannheim leider nicht attestieren kann: das notwendige Augenmass, wann man ein aussichtsloses Unterfangen ohne grösseren Gesichtsverlust abbrechen sollte.
Dabei hat die amerikanische Staatsanwaltschaft diesen Schritt auch geschickt vorbereitet: so hat sie schon Ende Juni die Anwälte des mutmasslichen Opfers über das weitere Procedere informiert und dabei nicht zu Unrecht darauf gesetzt, dass diese Informationen schnell durchsickern würden. Dementsprechend ist schon längere Zeit bekannt, auf welch tönernen Füssen die Vorwürfe gegen den französischen Angeklagten stehen – und so erscheint jetzt der Einstellungsantrag der Staatsanwälte folgerichtig und als Ergebnis von sachlichen und nachvollziehbaren Ermittlungen.
Auch hier: ein krasser Gegensatz zu dem mehr als laienhaften Verhalten der mannheimer Staatsanwälte, die sich zunächst der Medien bedienen wollten, doch dann die Geister nicht mehr los wurde, die sie gerufen hatte – und deshalb den richtigen Absprungtermin komplett verpassten.
Ähnlichkeiten bestehen allerdings wieder bzgl. des medialen Echos auf diesen seit einigen Wochen zu erwartende Wendung des Prozesses: während die amerikanischen Medien die Beendigung des Verfahrens weitgehend sachlich kommentieren und auf die rechtsstaatlichen Grundsätze des Verfahrens verweisen, welche Strauss-Kahn schützen, sehen viele französische Medien ihn als rehabilitiert an und achten den Grundsatz der Unschuldsvermutung.
Und in Deutschland: the same procedure as every case. Man will wieder die gesetzliche Unschuldsvermutung nicht akzeptieren und sieht überall Verlierer – und glaubt wieder an die Mär, dass durch solche Prozesse zukünftige Anzeigeerstatterinnen von Vergewaltigungen es schwerer haben werden (Verfahren gegen Strauss-Kahn wird eingestellt: „Nur Verlierer“ | Top-Thema 1 – Westfälische Nachrichten).
Mit Verlaub: so ein Unsinn! Und dabei meine ich nicht allein die dortige Formulierung:
Und als Verlierer können auch all jene Frauen in den USA gelten, die sich sexuellen Attacken ausgesetzt sehen – aber sich nun durch die Probleme des Zimmermädchens mit der Wahrheit einen doppelt kritischen Blick gefallen lassen müssen.
Diese Aussage disqualifiziert sich an sich schon selbst, denn es muss doch für jeden, der sich zu einem rechtsstaatlichen Strafverfahren bekennt, eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich jede(r), der einen anderen einer Straftat beschuldigt, eines ausgesprochen kritischen Blick auf seine Wahrheitsliebe gefallen lassen muss. Was ist denn das für ein Rechtsverständnis, wenn man es beweint, wenn dies die Praxis der Ermittlungsbehörden und der Gericht ist?
Aber fernab von dieser höchst eigenwilligen Formulierung:
Eine Staatsanwaltschaft, die während des gesamten Verfahrens ihre eigenen Ermittlungsergebnisse hinterfragt und dann im Laufe des Verfahrens feststellt, dass ein unzweifelhaft gegebener Anfangsverdacht sich eben nicht zu einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung erhärten lässt und deswegen die Beendigung aktiv betreibt, diese Staatsanwaltschaft ist doch kein Verlierer des Verfahrens, sondern sie tut nur ihren Job, und sie tut diesen Job gut. Schliesslich geht es doch in einem Strafverfahrne nicht um Gewinnen und Verlieren, sondern darum, einen tatsächlich schuldigen Täter zu verurteilen – oder einen Angeklagten, dem man die Tat nicht zweifelsfrei nachweisen kann, freizusprechen – und zu rehabilitieren.
Der Angeklagte Dominique Strauss-Kahn wird dabei nur dann zu einem (medialen) Verlierer dieses Verfahrens, wenn man nicht akzeptiert, dass jemand, der einer Tat bezichtigt wird, dem man aber diese Tat nicht nachweisen kann, eben unschuldig ist und deswegen so zu behandeln ist, als hätte es den Vorwurf nie gegeben. Verlierer sind also dementsprechend diejenigen, die weiterhin – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – den Vorwurf aufrecht erhalten nach dem Motto: „Da wird schon was daran gewesen sein!“ Sie betreiben üble Nachrede, sie diskreditieren ohne Grund, sie sind es, die man dafür zu Recht an den (von mir aus auch medialen) Pranger stellen sollte.
Und tatsächliche Verlierer sind solche Anzeigeerstatter und Anzeigeerstatterinnen, die es unabhängig von der Berechtigung der Anzeige an sich mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Doch sie sind es nicht aufgrund solcher Verfahren wie demjenigen gegen Strauss-Kahn oder gegen Kachelmann, sondern sie sind es aufgrund ihres eigenen dummen Verhaltens.
In ihrem eigenen Verhalten liegt nämlich das eigentliche Problem der beiden Frauen in den Verfahren gegen Strauss-Kahn und Kachelmann: gescheitert ist die Anklage letztendlich an deren Unvermögen, tatsächlich wahrheitsgetreue Aussagen zu machen – und zwar in allen relevanten Bereichen. Man mag dies mit Krokodilstränen beweinen, aber man kann es nicht weg diskutieren: sie haben eben – aus welchen Gründen auch immer – ihre Aussagen nicht wahrheitsgetreu gemacht, und damit glaubt man ihnen nicht vollständig im Kernbereich des Vorwurf.
Natürlich ist das Ergebnis unbefriedigend: Sollten die beiden Damen die Vorwürfe tatsächlich erfunden haben, dann zeigt dies wieder einmal, dass es das perfekte Lügengebilde wohl doch nicht gibt. Und sollten sie tatsächlich Opfer einer Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung geworden sein, dann sind sie mit der Sühne dieser Straftaten an ihren eigenen Lügen gescheitert. Letzteres wäre für sie persönlich ausgesprochen bitter und bemitleidenswert – doch im Sinne eines funktionierenden Rechtsstaats eben eine Folge, die folgerichtig ist.