Doku Deutschland: Ein Land aus Pfand

Doku Deutschland: Ein Land aus PfandSie glauben aber nicht etwa, dass ich immer auf Pfand gemacht habe? Ich sehe doch, wie Sie mich anschauen. Der Flaschensammler, die arme Sau. Kein Problem, machen Sie ruhig. Denken Sie vielleicht, ich würde anders gucken, wenn Sie hier stehen würden mit der Alditüte und dem Einkaufswagen und es würde bei jedem Schritt klappern oder scheppern oder klirren oder wie man das Geräusch nennt, das unsereins erzeugt.
Aber im Ernst, ich war ja auch mal jung, ich kenne auch noch andere Zeiten. Ehrlich, Scherz beiseite. Eigentlich bin ich Diplomingenieur, kein schlechter sogar. In meinen guten Tagen hätte ich auf Leute gespuckt, die nachts durch die Straßen schleichen und in den Papierkörben nach leeren Pfandflaschen illern. Bedenken Sie mal, damals gab es 30 Pfennig für eine Flasche. Dreißig Pfennig! Bei einem Facharbeiterlohn von 700 Mark. Ich war immer gut in Mathe und ich habe ja auch Zeit, wenn ich unterwegs bin. Raten Sie, wieviel Flaschen ein Sammler damals abgeben musste, um auf den Durchschnittslohn zu kommen? 2500. Sicherlich, damals hat kein Mensch so richtig profesionell Flaschen gesammelt, lieber so Altpapier, Gläser, Sekundärrohstoffe, der rohstoffarme sozialistische Staat und so weiter. Da sind viele reich geworden, vor allem die Sekundärrohstoff-Filialleiter mit ihren falsch eingestellten Waagen. Ist nicht das Thema, jaja, ist nicht das Thema.
Was ich loswerden wollte, war die soziale Verschlechterung, die sich durch den Mauerfall für alle ergeben hat, die vom Flaschensammeln leben. 2500 Flaschen damals, 30000 heute! Soviel bräuchten Sie, um einigermaßen aus dem Hartz4 rauszukommen, Ihre Miete zu bezahlen, das halt alles. Sie müssen nicht nachrechnen, das stimmt schon. 30000. Ich weiß nicht, aber ohne Lkw sehen Sie da alt aus.
Der Vorteil ist natürlich, dass heute mehr Flaschen beiseitegelegt werden. Aber es werden auch mehr zerkloppt, klar, da sagen Sie mir nichts Neues. Die Jugend hat keine Achtung vor Werten mehr, wurde uns immer gesagt, als wir junge Leute waren. Aber jetzt stimmt das wirklich. Die haben Werte, hoho, was denken Sie! Die wählen alle grün und sind gegen Atomkraft. Aber das dritte Bier auf dem Weg zum Volksfest, das gurgeln sie leer und die Flasche kriegt dann nicht unsereins, nein, die zerballern sie schön mitten auf der Straße.
Bei den Vorbildern ist das aber allemal kein Wunder. Klaus Töpfer? Sagt Ihnen noch was? Der war mal Umweltminister, beim alten Helmut Kohl glaube ich. Und da hat er die gute Idee gehabt, das Pfand auf die Büchse einzuführen, damit die nicht überall herumliegt. Ein Volltreffer, sage ich Ihnen. Diese Flachzange! Kein Mensch trinkt mehr aus der Büchse, weil das Pfand da drauf nun zu teuer ist, um sie einfach wegzuschmeißen. Stattdessen nehmen sich alle eine Flasche, die kostet weniger Pfand und fliegt dann genauso beiseite. Bestenfalls ins Gebüsch, da kann ich sie dann wieder rauskramen. Oder auf den Gehweg, da scheppert es kurz und das Geld ist futsch.
Hätte der Töpfer, den Namen merken Sie sich mal, ein bisschen ein Herz für die Armen gehabt, dann hättte er die Flasche ganz verboten oder genausoviel Pfand drauf gelegt wie auf die Büchse. das würde unsereinem viel Schlepperei ersparen, der Job wäre einfacher, so sehe ich das.
Es gibt es Menschen, die achten drauf, das andere noch was von dem haben, was sie selbst nicht brauchen. Die Fußballfans zum Beispiel, die drücken Dir ihre leeren Pullen in die Hand, schönen Gruß, Opa, mach Dir einen netten Abend davon. Denkt man ja nicht, wenn man wie ich jahrelang für die Sicherheitsbehörden gearbeitet hat. Da bleibt ein Misstrauen. Jaja, die Sicherheitsbehörden. Ich habe da die EDV überwacht, die die Heizungsanlage geregelt hat. Damit war dann ganz klar Schluss, als die Länder die Polizei übernommen haben. Ich war kein Polizist, so war das doch damals nicht. Ich war Zivilangehöriger des Innenministeriums. Und als es das nicht mehr gab, gabs mich auch nicht mehr.
Mit den Flaschen das fing aber erst viel später an. Ich habe meiner Frau, die dann gestorben, erst gesagt, Carola, wir sind auf einer langen Treppe und die geht in den Keller. Weil man merkte ja schon, dass es mit der Vita und dem Alter nicht mehr so ganz toll läuft auf dem Arbeitsmarkt. Ich hatte schon noch dies und das, Carola hat auch als Lehrerin gearbeitet, da wars nicht so, dass wir hungern mussten. Kinder gabs keine, das war aber was Medizinisches. Erst als ich dann alleine war, wurde es grimmig.
Jetzt sammle ich eigentlich sieben Tage die Woche. Man ist da freier Unternehmer, man muss seine Märkte im Blick haben, es lauern immer andere, die an die Fleischtöpfe wollen. Was denken Sie, was da manchmal los ist? Da muss man die Fäuste zeigen, da muss man das Revier verteidigen, da darf man nicht klein beigeben, sonst ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Der Vorteil ist, da haben Sie recht, dass das Amt nichts mitbekommt. Das ist ein reines Bargeschäft, alles nur Klimpergeld, kleine Scheine. Aber die haben da auch ein bisschen Mitleid. Einmal zog ich da durch die Kneipenstraße, mit dem ganzen Sack und Pack, nahe der Beladungsgrenze, 90 Flaschen schätze ich, runder Fünfer. In dem Moment guckt aus einer dieser Straßenkneipen mein Bearbeiter vom Amt.
Selbst in meinem Alter rutscht mir da noch das Herz in die Hose, als hätte meine Mutter mich wieder mit dem Finger im Kuchenteig erwischt. Er hat aber nichts gesagt, auch beim nächsten Termin nicht. Der weiß doch Bescheid. Um welche Summen es geht? Ach, Sie würden sich totlachen. Ich verrate mal soviel, man wird nicht reich dabei. Aber wissen Sie was, man fühlt sich besser.


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