Doktorspiel in Budapest

“Junge Welt”, 04.04.2012
Ungarischer Staatschef nach Plagiatsskandal zurückgetreten

Ungarns ehemaliger Präsident Pál Schmitt wird jetzt viel Zeit haben, eine vernünftige Dissertation zu schreiben. Nach etlichen Tagen der Kritik und des Protestes gab der Politiker, der ähnlich wie der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg über eine Plagiatsaffäre stolperte, dem wachsenden Druck nach und erklärte am 2. April vor dem ungarischen Parlament seinen Rücktritt. Seit dem 31. März fanden in Budapest Demonstrationen gegen Schmitt statt, der sich zunächst weigerte, seinen Hut zu nehmen. Selbst bei seiner Rücktrittsrede zeigte sich Ungarns skandalumwitterter Präsident uneinsichtig, obwohl der Senat der Budapester Semmelweis-Universität ihm mit 33 zu vier Stimmen den Doktortitel aberkannt hatte.
Sein Gewissen sei rein, erklärte Schmitt gegenüber dem Parlament, wobei er abermals betonte, daß seine 1992 eingereichte Dissertation den damals geltenden Regelungen entsprochen habe. Niemand habe ihn auch auf irgendwelche Verfehlungen aufmerksam gemacht, weswegen er seine Arbeit auch nicht hätte »nachbessern« können, klagte der Präsident. Dabei habe er seiner Mutter versprochen, »einmal Doktor zu werden«, jammerte Schmitt vor dem Parlament. Daraus kann noch was werden: Der scheidende Staatschef bezeichnete die Aberkennung seines Doktortitels als »unethisch« und »rechtswidrig« und kündigte an, dagegen vorzugehen. Zudem will sich Schmitt erneut an die Anfertigung einer Dissertation wagen.

Bei dem Erstlingswerk des ungarischen Präsidenten mußte die Prüfungskommission schwerwiegende Verstöße gegen elementarste wissenschaftliche Standards feststellen. Laut ihrem Bericht seinen »große Teile« der Dissertation zum Thema »Analyse des Programms der Olympischen Spiele der Neuzeit« sogar völlig »textgleich« aus Arbeiten anderer Sportwissenschaftler übernommen worden. Die Arbeit verfügte nicht einmal über einen Fußnotenapparat und wies nur ein marginales Literaturverzeichnis auf. Trotzdem wurde die Dissertation mit der Bestnote »Summa cum laude« bedacht.

Diesen zuvorkommenden Umgang mit seiner Arbeit 1992 verdankte der stets anpassungsfreudige Präsident nicht zuletzt dem Umstand, als eine Art nationales Sportidol in Ungarn fungiert zu haben. Schmitt, der 1965 sein Studium der marxistischen Ökonomie abgeschlossen hatte, holte mit der ungarischen Degenmannschaft 1968 und 1972 olympisches Gold und 1970 und 1971 den Weltmeistertitel. Zwischen 1981 und 1990 bekleidete er das Amt des stellvertretenden Sportministers, um danach im Internationalen Olympischen Komitee nahtlos Karriere zu machen.

2003 entdeckte Schmitt seine politische Präferenz für den Rechtspopulismus und trat der aufstrebenden Fidesz des damaligen Oppositionsführers Viktor Orbán bei. Seitdem ist Schmitt für seine Unterwürfigkeit ihm gegenüber bekannt: »Ich akzeptiere nur Gott und Viktor Orbán als meine Chefs«, soll der scheidende Staatschef Ungarns zu Beginn seiner politischen Karriere betont haben. Schmitt ist maßgeblich auf Betreiben Orbáns im August 2010 ins Amt gehievt worden, wo er als zuverlässiger Parteisoldat des Regierungschefs wirkte.

Der Rücktritt Schmitts kommt einer schweren politischen Niederlage Orbáns gleich, die zu einem weiteren Rückgang der Popularitätswerte der Regierung führen könne, wie der Pester Lloyd spekulierte. Der Ministerpräsident kündigte am Dienstag an, am 16. April einen Nachfolger für Schmitt zu präsentieren.


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