Doel 3: Soweit alles unklar

Von Angeli

Widersprüchliches zu den Rissen im belgischen AKW Doel 3: Weiss die BKW mehr als die belgische Atomaufsicht?

«Sofern eine Aufsichtsbehörde nicht explizit ausschliessen kann, dass ein Reaktordruckbehälter Risse aufweist, die seine Festigkeit gefährden, muss er aufgrund der Erkenntnisse in Doel vollständig untersucht werden.» Das sagt der in Paris lebende Nuklearexperte Mycle Schneider in der neusten Ausgabe des «Beobachters». Es ist eine der wenigen klaren Aussagen zur Situation im belgischen Atomreaktor Doel 3 und zu den Konsequenzen für 21 weitere Reaktoren vom gleichen Hersteller.

Zur Erinnerung: Im Reaktordruckbehälter von Doel 3 sind zahlreiche Risse entdeckt worden. Darauf hat die belgische Atomaufsicht FANC 21 Reaktoren ausgemacht, deren Druckbehälter von der gleichen Firma, der Rotterdamsche Droogdok Maatschappij (RDM) hergestellt wurden, darunter das AKW Mühleberg und – vermutlich fälschlicherweise – das AKW Leibstadt. Fest steht, dass der Auftrag für den Reaktordruckbehälter von Mühleberg an ein Konsortium unter der Leitung von Sulzer ging. Gefertigt wurde der riesige Stahlcontainer tatsächlich von der RDM.

Beide Betreiber, deren Reaktoren zurzeit für die ordentliche Jahresrevision abgeschaltet sind, mussten bis zum 14. August dem Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI Dokumente zu den Druckbehältern einreichen. Bis Ende August will das ENSI entscheiden, ob allfällige Massnahmen notwendig sind. Insbesondere die Mühleberg-Betreiberin BKW fürchtet eine Sonderprüfung, die den Betrieb im zweitältesten Schweizer AKW für Monate lahmlegen dürfte. Die Angst ist begründet: 2009 wurde am Reaktordruckbehälter des AKWs Mühleberg ebenfalls ein Riss festgestellt, aber vom ENSI als «nicht sicherheitsrelevant» eingestuft.

An einer Medienkonferenz an besagtem 14. August versicherten denn Mühleberg-Direktor Martin Saxer laut «Bund» auch, man habe dem ENSI eine «lückenlose Dokumentation» einreichen können. Wer belgische Medienberichte verfolgt, staunt ob dieser Aussage. Denn obschon Doel 3 sechs Jahre nach Mühleberg ans Netz ging, tut sich die belgische Atomaufsicht offenbar schwer, an die entsprechenden Dokumente heranzukommen. «Wir haben die Baudossiers aus den 70er-Jahren angefordert, aber es ist schwierig, weil das Unternehmen [die Rotterdamsche Droogdok Maatschappij] nicht mehr existiert», erklärte FANC-Direktor Willy de Roovere.

Das kann nun zweierlei heissen: Entweder ist das BKW-Archiv tatsächlich so viel besser, als dasjenige von Doel-Besitzerin Electrabel, oder aber irgendjemand hat zuviel (Mühleberg-Direktor Saxer) oder zuwenig (FANC-Direktor de Roovere) preisgegeben.

Interessanterweise scheint gerade de Roovere, der früher selbst einmal das AKW Doel leitete, heftige Zweifel zu haben, ob Doel 3 je wieder in Betrieb geht. «Die Risse in Doel 3 be­unruhigen uns sehr», erklärte er im belgischen Fernsehen. Noch dramatischer tönt es in einem internen Mail an seine engsten Mitarbeiter, das von belgischen Medien zitiert wird: «Im Extremfall besteht die Gefahr, dass wir Doel 3 für die Stromproduktion verlieren.»