Angetriggert durch Bennie’s gleichnamigen Blog von heute, fühle ich mich ermutigt, meine eigenen Gedanken zum ominösen Thema DNF (Did Not Finish = hat es nicht ins Ziel geschafft) darzulegen. Wie immer braucht es nicht der expliziten Erwähnung, dass diese Zeilen lediglich meine Meinung widerspiegeln – dies ist die Grundidee eines Blogs und macht jede Art von Kommentar überhaupt lesenswert. Reines Runterbeten von Fakten langweilt dagegen nur. An einer Meinung, einem Standpunkt, kann man sich wenigstens reiben. Anyway, here it goes…
Als ich im Frühjahr bei der Cross-Duathlon DM nicht starten konnte, postete ich ein Bild wie oben und erhielt den üblichen Zuspruch und Beistand, der in sozialen Gruppen aller Art zum guten Ton gehört. Ich sehe es aber nun mal genau so und keinen Deut anders. Und überdies fühle ich mich wie ein kleines Kind berhandelt (schlimm genug, dass – IMHO – praktisch alle modernen Kinder so behandelt werden und ihnen so ein Erwachsen-Werden erschwert wird). “Sei’ doch nicht so streng mit Dir!”, sagen sie, oder “das kann doch mal passieren!”
In einem der vergangenen Verhandlungsseminare (mein Brot-und Butter-Geschäft) musste einmal mehr der Unterschied zwischen dem Ziel der Verhandlung (das, was in meiner Nomenklatur “Ideal” genannt wird) und dem Mindestziel (das, was ich “Limit” nenne) erklärt werden. Als Beispiel brachte ich einen anonymen Athleten an, der mir erzählt, dass sein Ziel (“Ideal”!!) sei, das Rennen zu finishen und ich darauf antwortete, dass dies allerhöchstens sein Mindestziel (“Limit”!!) sein könne. Ansonsten würde er ja aussagen, dass er, wenn alles perfekt läuft, finisht und wenn nicht, dann nicht. Anders ausgedrückt: Mein Mindestziel ist “nicht finishen” und das kann es ja wohl nicht sein. Ich zahle doch kein Startgeld, Reisekosten, bereite mich monatelang vor, um schließlich NICHT zu finishen! Das Finish muss logisch schlüssig das Mindestziel sein. Und dann braucht es noch etwas, das darüber liegt. Das kann wiederum nur jeder in seiner spezifischen Situation für sich definieren. Mit meinem neuen Schreibtisch-Hintergrund führe ich mir das täglich vor Augen.
So viel als Grundlage und Ausgangsbetrachtung.
Natürlich finden alle weicheren Betrachtungen sehr viel mehr Zuspruch, weil in einer völlig verweichlichten Gesellschaft eben das Mittelmaß herrscht und nicht das Streben nach (individueller) Exzellenz. Aber gerade unter uns ambitionierten Ausdauer-Athleten möchte ich daran erinnern, dass wir das eben nicht nur zum Spaß tun. Es muss sich nicht immer “warm & fuzzy” anfühlen. Exzellenz bedarf klarer, harter Ansagen und einer kompromisslosen Disziplin.
Und um es gleich an dieser Stelle klar zu sagen: Sprüche wie “DNF is no option!” oder “Sebi: Sieg oder Krankenhaus!” empfinde ich als ausgemachten Schwachsinn. DNF ist immer eine Option. Aber – und das ist wie im Training – ich muss knallhart klar im Kopf und ehrlich mit mir sein, ob es nur der innere Schweinehund ist, der mir erzählt, wie schwer alles ist, meine Motive in Frage stellt, warum ich das alles mache…oder ob es eindeutige medizinische Gründe dafür gibt, die ein DNF unausweichlich machen. Meine Sicht der Welt: Am oberen Ende der Food Chain sind die Typen, denen man blind vertrauen kann, dass sie eben nicht wegen irgendeinem kleinen Zipperlein (oder gar dem ersten Anzeichen dafür, dass dieser Tag weniger als perfekt verlaufen könnte) aufgeben. Wenn beispielsweise ein Christoph Strasser beim Race Across America (RAAM) vorzeitig aussteigt, kann man davon ausgehen, dass es ernsthaft war. Am anderen Ende des Spektrums gab es schon einmal den einen oder anderen Profi, der sich einen gewissen Ruf erarbeitete, sofort auszusteigen, wenn’s gerade mal kein guter Tag war (ich nenne jetzt mal keine Namen). Die meisten “normalen” Amateure liegen eher am unteren Ende der Skala. Und das ist auch einer der Gründe, warum sie meist nicht am oberen Ende der Ergebnisliste zu finden sind.
Abgesehen von schwerwiegenden körperlichen Problemen (wie bei Christoph Strasser) spielt sich ein DNF ausschließlich zwischen den Ohren ab. Und genau da liegt auch ein Großteil der Leistung eines Langdistanz-Athleten (egal ob Ironman, Ultratrails oder einem RAAM).
Und da mir ausgerechnet der “harte Hund” Bennie viel zu weich formuliert hat (darüber müssen wir uns mal persönlich unterhalten), hier ein paar Thesen aus meiner Sicht:
- Ausgehend von meinem Anspruch MINDESTENS das Rennen zu beenden, muss zwingend die Maxime sein, ALLES für dieses Ziel zu tun. Das bedeutet zum Beispiel, meine Zeitziele entsprechend nach unten anzupassen, wenn die Wetterbedingungen suboptimal sind. Aber zu sagen “Es war mir zu heiß, zu kalt, zu windig, zu nass, zu trocken” (oder was auch immer) bedeutet sich in den Kindergarten des Mittelmaßes zu bewegen (bitte gehen Sie direkt dort hin, gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie keine 4000 ein).
- Lange Rennen jenseits der sechs Stunden (beliebig) beinhalten immer auch ein Stück Abenteuer, Unwägbarkeiten und Neuland. Das ist Teil des ganzen Spaßes und einer der großen Unterschiede zu einer Kurz- oder Mitteldistanz oder einem Marathon, wo man mehr oder weniger auf die Minute seine Zielzeit prognostizieren kann. Je länger das Rennen, desto größer die Rolle von externen Unwägbarkeiten wie Wetter, Verpflegung, etc.
- Es ist häufig (übrigens wie im richtigen Leben) das Überwinden von Hindernissen, welches das Salz in der Suppe ausmacht. Ein Leben ohne Herausforderungen aller Art ist eben fad – genau wie ein Rennen, in dem wir ohne große Anstrengung genau in der angestrebten Zeit siegen. Langweilig. Um so süßer ist der Geschmack des Sieges, wenn er hart erarbeitet wurde. Um süß zu genießen muss ich sauer kennen! Oder wie ein ehemaliger Adventure Racing-Kollege einmal sagte: “The greater the pain – the greater the retrospective enjoyment!”
- Gerade wenn es richtig hart wird, gilt: Wenn ich es jetzt schaffe, über mich hinauszuwachsen, mich selbst zu verblüffen, mir zu beweisen, dass ich selbst mit diesen großen Herausforderungen umgehen (und daran wachsen) kann, dann wird mich das sehr glücklich und zufrieden machen. Wenn ich aber jetzt aufgebe, werde ich dem ewig hinterhertrauern, mich ärgern (oder – auch immer wieder gern genommen – mir auf der bewussten Ebene die Welt schönreden). Mein Unbewusstes wird das aber ohenhin nicht vergessen und beim nächsten Mal heißt es dann – möglicherweise auf tieferer Ebene: “Ach, komm’ schon, das ist es doch nicht wert…!”
- Von den langen Ultratrail-Läufen kann ich eine Technik nur wämstens empfehlen: Wenn der mentale und emotionale Teil in mir streikt – have a break, have a Kitkat! Unbedingt vor dem irreversiblen Ausstieg ein Päuschen bei der nächsten Verpflegungsstelle machen. Ordentlich runterkühlen, wenn zu heiß oder aufwärmen, wenn kalt oder nass…und VERPFLEGEN! Und zwar so lange es braucht, um wieder in einen komfortablen Zustand (Stichwort “state management”!) zu gelangen. In diesem Moment steigt dann fast keiner mehr aus. Mit ein paar Minuten Abstand, angepasster Körperkern-Temperatur und neuem Zucker im Gehirn sieht die Welt praktisch immer ganz anders aus.
- Von einer großen Herausforderung und einem damit einhergehenden subotimalen Rennergebnis kann man etwas lernen. Aber was will ich von einem DNF lernen (außer, dass ich mal wieder zu matschig in der Birne war)? Nebenbei: Der Ironman, an dem ich ein makelloses Rennen abliefere, kommt erst noch…
- Und last but not least: Ja, man kann und sollte neben dem rein körperlichen Training (auf dass sich fast alle Amateur-Athleten gänzlich fokussieren) auch seine mentalen Fähigkeiten und den Umgang mit Emotionen trainieren. Da aber die meisten Coaches davon auch keine Ahnung haben, bleibt es eben wie immer bei den Kilometer-, Zeit- und Intensitäts-Angaben. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ähnlich herumspricht, wie das Thema Rumpfstabi- oder Alternativ-Training allgemein.