Dirk Stermanns Entpiefkenisierung

Ein gutes Vierteljahrhundert Österreich: Die Nachwehen der Waldheim-Affäre, das Erstarken der extremen Rechtspartei(en), Studentenproteste und Kirchenkrisen – aus der Sicht eines deutschen Zuwanderers verlieren die Themen an Bedeutung. Über all dem schwebt der ewige Triumph der Alpenrepublik, die Deutschen 1978 im argentinischen Córdoba durch ein 3:2 aus der Fußball-WM gekickt zu haben: Ein Jahrhundertereignis, das die nördlichen Nachbarn nie so schmerzte, wie man es hierzulande zu wissen meint. Dirk Stermann, seit den frühen 90er-Jahren als alemannische Hälfte des Komikerduos Stermann & Grissemann aus Funk und Fernsehen bekannt, hat seinen Migrationshintergrund in Buchform gebracht. 6 Österreicher unter den ersten 5. Roman einer Entpiefkenisierung nennt sich das Werk, das in mancherlei Hinsicht mit den Erwartungen der Fangemeinde bricht.

Einerseits regiert natürlich der Brachialhumor, den der Autor mit Christoph Grissemann geprägt hat wie kaum jemand in diesem Land. Etwa wenn über eineinhalb Seiten Adolf Hitlers Mundgeruch analysiert wird: „Der stank bestialisch. Wie vergorene koreanische Hundesuppe“, erklärt der Duisburger einem Wiener Freund, der mit Hitlers Heldenplatz-Erfolg kontert: Ob man da nichts hätte riechen müssen? „Doch. Aber man dachte, der Donaukanal sei übergegangen und braune Brühe sei ausgetreten. Es war aber nur der Führer.“ Auch haut Stermann kräftig auf die politische Landschaft ein, wenn sein literarisches Ich fantasiert, die FPÖ müsse für Wahlslogans wie „Abendland in Christenhand“ wohl „kleine, rassistische Kinder zu einem Reimwettbewerb aufgerufen“ haben. Oder wenn er feststellt, dass der Wiener Bürgermeister ein Gesicht habe, „das ohne Glas vorm Mund einsam“ wirkt.

Daneben gibt es den Stermann, der sich über viele Jahre um seine schwer alkoholkranke Nachbarin kümmert; der mit seiner (künftigen) Frau ein gemeinsames Leben erträumt und sich später liebevoll um die gemeinsame Tochter kümmert; den Stermann, der seinem „vita contemplativa“ nachgeht, aus dem er manchmal aufschreckt, um die brennenden Themen der Zeit ironisch zu kommentieren: „Die beiden Türme der Karlskirche und die Kuppel wirkten unweigerlich wie eine Moschee mit Minaretten. Als schneite es in Istanbul.“

Man darf das Buch freilich nicht als Autobiographie lesen, die Figuren und den Handlungsstrang nicht ernsthaft zu entschlüsseln versuchen. Stermann ist Kabarettist genug, um seinen Leser über all die kleinen Wahrheiten hinaus schlicht ein paar Stunden guter Unterhaltung liefern zu wollen. Als biografisch gefärbte Romanfiktion legt er ein Stück Popliteratur im besten Sinn vor, die auch stilistisch nicht hinter den Werken der Genrekollegen zurück bleibt.

Wenn als Höhepunkt der Handlung am 21. Juni 2008 das berühmte Córdoba-Spiel von zwei Laienmannschaften mit Profibeteiligung – Herbert Prohaska ist mit dabei – nachgestellt wird, offenbart Stermann endlich, was sich über 250 Seiten abgezeichnet hat: Sein Herz schlägt österreichisch, die Deutschen unterliegen ein weiteres Mal. Der Himmel reißt auf, „die Sonne strahlte, und das Spiel war aus“.

Ullstein Verlag, Berlin 2010

272 Seiten, 17,50 Euro


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