Der Dioxinskandal ist in das "Eiapopeia vom Hühnerhof" eingebrochen. Schmierfette, die man dem Geflügel ins Futter reicherte, haben die schöne alte Welt der Eierproduktion abschmieren lassen; die ganze Republik ist in Aufruhr, hat und will keine Eier mehr, fühlt sich von jener Sparte der Nahrungsmittelproduktion verschaukelt. Vorher, so destilliert man aus den Reaktionen von Presse und Verbrauchern, war alles in blendender Ordnung - aber jetzt, jetzt hat Dioxin die heile Welt zerdeppert und Bedenken verursacht.
Und die armen Legehennen, mit welchem Müll man sie da füttert - mit Schmiermittel: "Skandal!", möchte man da rufen und ruft man ja durchaus auch. Das arme Vieh darf nicht mal anständig fressen, wenn es für uns schon Höchstleistungen vollbringt. In dem einen Jahr, in dem es sich eierlegend schier das Arschloch zerreißt, könnte es doch zumindest gesund ernährt werden. Gesund bedeutet hierbei: Kraftfutter, damit jeden Tag ein Ei flutscht, angereicherte Vitamine und Medikamente, damit das arme Tierchen in der Enge seines Daseins nicht erkrankt - und dann geht es, nach einjähriger Eierlegerei direkt in den Schlachthof, weil im zweiten Jahr der Hennenkörper so ausgemergelt und ausgelutscht ist, dass es nach ausgewogenem Abwägen von Kosten und Nutzen nurmehr heißen kann: "rien ne va plus!"
Photo: Bundscherer
Vor dem Dioxin, da war Idyll - jedenfalls regte sich die breite Öffentlichkeit da nicht auf. Man konnte scheinbar ganz gut damit leben, dass der verstärkte Sojaanbau, der zur Tierfutterherstellung notwendig wurde, weite Teile des Regenwaldes roden ließ - im Dokumentarfilm "We Feed the World" heißt es ganz plakativ, dass unsere Hühner den Regenwald auffressen. Und die Zusatzstoffe, die über das Futter in das Huhn gerieten und sich letztlich auch im Ei niederschlugen, man ignorierte sie geschickt - Antibiotika hat als Sättigungsbeilage ja mittlerweile einen akzeptablen Ruf, könnte man meinen. Von den Schlachtorgien bei Legehennen, die einen unglaublichen Preisverfall beim Geflügelfleisch verursacht haben, ganz zu schweigen - immer billigeres Fleisch bewirkt einen immer brutaleren Wettbewerb, was wiederum eine stets gewissenlosere Kostensenkungsmanie auslöst. Gespart wird auch beim (Fach-)Personal, aber natürlich verstärkt beim Produkt, beim Tier; am Ende fressen diese dann Schmierfett oder Tiermehl oder weiß der Teufel was, weil der Verbraucher schließlich billig speisen möchte, artgerechtes Tierfutter aber teuer ist und zu höheren Endpreisen führt - Qualität ist bei diesem Spiel ohnehin eher zweitrangig.
Es ist schon absonderlich, mit welcher Hysterie nun der Dioxineier-Skandal zelebriert wird. Plötzlich scheint es so, als habe Dioxin den Sonnenschein aus der Branche vertrieben, als sei ein ansonsten funktionierendes, astreines und ethisches System vergiftet worden. Dabei ist bis dato noch nicht wissenschaftlich ausgearbeitet worden, ob etwaiges Dioxin in Lebensmitteln vielleicht die Wirkung von Antibiotika aufhebt, die der Verbraucher unwissentlich in sich schlingt. Womöglich ist das abermals auftretende Dioxin in Lebensmitteln sogar der Retter vor einer übergreifenden Pandemie, könnte man zynisch feststellen - möglich, dass sich dioxingeschwängerte Eier als gesundheitsschädlicher Weltgesundheitsbringer erweisen. Wenn Dioxin die latente Antibiotikaisierung der Bevölkerung verunmöglicht, dann erzielen Medikamente bei kranken Menschen vielleicht auch wieder ihre volle Wirkung und machen es möglichen Erregermutationen schwerer, die Menschheit zu dezimieren.
Dioxin als Chance ist freilich nur der provokative Einwand, den man erheben muß, wenn man die allgemeine Panikmache betrachtet, die nur stets dann an die Oberfläche schwappt, wenn Giftstoffe ins Essen geraten - dass die Lebensmittelindustrie aber grundlegend vergiftet ist, dass sie Tier und damit Mensch mit Medikamenten vollstopft, das Ökosystem umkippen läßt, den Welthunger forciert: damit hat sich die hysterische Gesellschaft schon lange abgefunden. Der kritische Verbraucher wird nur dann als Kontrollmechanismus von Politikern und Wirtschaftsverbänden gefordert, wenn er von Giftstoffen Wind bekommt. Dann heißt es: "Verbraucher, wähle mit den Füßen!" oder: "Verweigere dich den schwarzen Schafen der Branche!". Was aber, wenn die gesamte Branche ein einziges, ein gigantisches schwarzes Schaf ist?
Kritisch soll der Verbraucher eher nicht sein, wenn er versteckte Arzneistoffe vertilgt; er soll sich nicht darum kümmern, dass die Lebensmittelindustrie, die freilich auf kapitalistischer Grundlage, d.h. auf Profitmaximierung funktioniert, Landstriche verwüstet, Hunger in der Dritten Welt fabriziert, einen Ethos begründet, der Wegwerfmentalität und Respektlosigkeit gegenüber Tier und Lebensmittel zu einer Tugend erklärt. Das ist Normalität, da soll der Verbraucher nicht kritisch sein, da soll er froh sein, in einer Welt zu leben, die Übersättigung produziert - all das, was die Lebensmittelindustrie an Hölle anrichtet, soll dann als Kollateralschaden durchgehen und verzeihlich sein.