„Deceiver“
(Captured Tracks)
Mit jeder aktuellen Bewertung werden ja in der Regel auch die Erinnerungspreise vergeben – klingt wie das, gemahnt an jenes, es läßt sich eigentlich immer etwas finden, das die Zuordnung einfacher und dem Rezensenten die Arbeit leichter macht. Den entsprechenden Pokal in dieser Kategorie werden in diesem Jahr zweifellos die vier jungen Herren von DIIV zugesprochen bekommen. Weil sie an eine Epoche erinnern, bei der sie selbst noch gar nicht ans gemeinsame Musizieren dachten. Genaugenommen haben Zachary Cole Smith und Andrew Bailey ihre Formation (in wechselnden Besetzungen) erst 2011 ans Laufen gebracht, ganze zwanzig Jahre, nachdem beispielsweise ein gewisser Billy Corgan zusammen mit den Smashing Pumpkins das Debüt „Gish“ veröffentlichte, nach Alternative, nach Grunge und natürlich auch nach Shoegazing, zumindest, wenn wir von der Gründergeneration reden. Bei all diesen Stilrichtungen nämlich haben sich DIIV großzügig bedient und zwar so gekonnt, dass sie mit ihrem eigenen Erstling „Oshin“ und erst recht mit dem folgenden „Is The Is Are“ die Vorbilder fast vergessen ließen. Ganz nebenbei sah Cole auch eine Ecke besser aus als Corgan und sorgte so für reichlich gerötete Wangen und Ohnmachtsanfälle bei der weiblichen Anhängerschaft.
Lange ging das nicht gut, schon nach Veröffentlichung der ersten Platte kamen die ersten Drogen ins Spiel, später dann unschöne Szenen auf offener Bühne, Zankereien, Trennungen, die komplette Klaviatur jugendlicher Selbstüberschätzung, Verzweiflung, Absturz, last exit rehab. Dass die Band, im speziellen Cole, tatsächlich den Weg zurück fanden, grenzt da fast an ein Wunder, dem NME erzählte er gerade: “The big thing was that in all my exposure to recovery, I was looking for an easy solution and I found out there’s not one,” es war also mehr als harte Arbeit nötig. Eine, die sich gemessen am Ergebnis, mehr als gelohnt hat, denn das vorliegende Album ist, man möchte es kaum glauben, ihr bislang bestes geworden. Härter, kompromissloser, lauter, auch dunkler, voller Abgründe und trotzdem verdammt stimmig. Dass DIIV den Weg zurück als Vorband der amerikanischen Blackgazer Deafheaven schafften, hört man dem Werk ohne Weiteres an, dass mit Sonny Diperri jemand an den Reglern stand, der schon für My Bloody Valentine produzierte, war ebenfalls kein Fehler.
Die elf Songs sind verblüffend eingängig und trotzdem von griffiger Härte, die ersten beiden Singles „Skin Game“ – Coles Tagebuch des Kampfes mit den inneren Dämonen und Versuchungen – und „Taker“ ließen schon vorab Hervorragendes ahnen und spätestens als mit „Blankenship“ der erste richtige Hit nachgeschoben wurde, war klar, dass ihnen mit „Deceiver“ ein später Killer gelungen war. Die sorgsam im Studio aufgeschichteten Riffs dröhnen prächtig zwischen den einschmeichelnden Melodien und auch wenn der Vergleich mit „Gish“ oder „Mellon Collie …“ etwas hoch gegriffen scheint, so ist es doch eine beachtliche Nummer geworden. Der Schlußtrack „Acheron“, ganze sieben Krachminuten lang, zieht noch einmal alle verfügbaren Register, zu Zeilen wie „Hate the god, I don’t believe in, heaven’s just a part of hell“ schmirgeln die Saiten gar wunderbar, es bersten die Kuh- und die Trommelfelle zu gleichen Teilen. Ein unverhoffter, ein großer Wurf.