Das Geschichtenerzählen ist seit jeher ein unangetastet gebliebenes Metier. Es war allzeit klar, dass Erzählungen durch das persönliche Weitertragen geschehen. Es wurde mündlich erzählt, schriftlich fanden sich in Büchern, Heften, Blättern die erzählten Worte ebenso wieder, wie in der Neuzeit auf Ton- oder Filmträgern. Schon zwischen 1966 und 1972 entwickelte der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette seine Werke Figures I bis III (in der Übersetzung als Die Erzählung erschienen), die sich mit der Erzähltheorie befassten und noch heute Bestand haben. Kein Wunder, die klassischen Erzählformen sind immerhin auch noch vorhanden, seine Theorien wurden aus der Schriftsprache sogar auf das Medium Film übertragen. Was jedoch noch nicht geschehen ist, jedenfalls nicht mit Bezugnahme auf Genette, ist die Anwendung der Erzähltheorie auf digitales Erzählen. Hier finden sich ganz neue Wissenschaftler, die mit neuen Theorien und Vorstellungen die Erzählung eines neuen Zeitalters analysieren wollen.
So auch Dr. Dennis Eick, dessen Digitales Erzählen. Die Dramaturgie der Neuen Medien am 22. Januar dieses Jahres im UVK Verlag erschienen ist. Eick ist freier Autor in Köln mit Hauptaugenmerk auf Thematiken, die sich rund um seine dozierende Berufung des Drehbuchschreibens bewegen. So hat Eick bereits Publikationen über Drehbuchtheorien, über die Strategien deutscher TV Sender bei ihrer Programmplanung oder die Vorkonzepte des Drehbuchs: Exposees und Treatments veröffentlicht. Das deckt sich größtenteils mit seiner Promotionsarbeit über Drehbuchtheorien, die er 2005 an der Universität Mainz erarbeitet hat.
Neue Medien? Ist das etwa das Internet? Warum in der Mehrzahl? Was heißt digitales Erzählen überhaupt? Wer sich solcherlei Fragen stellt, ist bei Dr. Eick ganz und gar an der richtigen Stelle. Schon allein wegen seines lockeren Schreibstils („Ein Buch über Digitales Erzählen, das in Papierform erscheint? […] Ist es nicht sooo outdated? Wo ist der Blog? Wo sind die interaktiven Möglichkeiten?“) ist das Lesen nicht nur eine nebenher amüsante Eigenerzählung, sondern auch schnell und einfach zu verstehen. Es ist ein Ein- und Überblick über eine ganz eigene Welt, die sich eigentlich – wie man denken könnte – gar nicht mehr erst im Entstehungsprozess befindet, sondern schon recht weit ausgeprägt ist. Es geht um virale Spots, die sich im Internet verbreiten, die von Firmen veröffentlicht werden, in der Hoffnung dass sie zu Selbstläufern unter den Rezipienten werden. Ein „like“, „teilen“ oder „weiterleiten“ schickt den Viral Spot wie einen Virus eben in die Weiten des World Wide Web.
Darüber hinaus sprießen Web-Serien aus dem Internetboden wie nie zuvor. Man denke, ein prominentes Beispiel, an den Erfolg von Dr. Horribles Sing-Along Blog, erschaffen von Joss Whedon (Regisseur von The Avengers, Schöpfer von Buffy the Vampire Slayer) während eines Drehbuchautorenstreiks in Hollywood, der ihn gezwungenermaßen zum Drehstop seiner damaligen Serien anhielt. Aber kreative Köpfe suchen und finden ihren Weg, das Internet bietet diesbezüglich nicht nur gestandenen Regisseuren einen Veröffentlichungsraum, auch der Laie, wenn wir durchaus talentierte Filmemacher, die nur nicht an den Bekanntheits- und Erfolgsgrad eines Joss Whedons heranreichen (noch nicht?), so nennen wollen. Am Rande: Felicia Day, weibliche Hauptdarstellerin aus dem Sing-Along Blog hat dann wiederum die Web-Serie The Guild ins Leben gerufen, die von Juli 2007 bis Januar 2013 in sechs Staffeln mit 70 Folgen im Netz erzählt wurde. Auf sowohl den Sing-Along Blog als auch The Guild nimmt Dr. Eick hier Bezug, liefert noch weitere Beispiele und analysiert alles über die Macher, die Finanzierung, den Look bis hin zu Zielgruppe und Marketing, Länge, Dramaturgie und Inhalte.
Außerdem erfüllt er seine eigene eingangs gestellte Nachfrage nach Interaktivität. Auf der Webseite zum Buch (www.digitaleserzählen.de) gibt es Verlinkungen, weitere Anmerkungen und fortführende Dokumente zu seinen Ausarbeitungen. Diese umfassen neben dem Viral Video und der Webserie noch die Gamerwelt sowie E-Books, fein säuberlich geordnet nach der Länge des Formats (ein Viral Spot dauert etwa 30 Sekunden) bis hin zur komplexen genreübergreifenden transmedialen Erzählform, also Geschichten die Plattformübergreifend in unterschiedlichen Verbreitungskanälen erzählt werden.
All diese Dinge werden nicht einfach nur aus Spaß an der Freude aufgelistet und ausgearbeitet, natürlich verfolgt Dr. Eick einen tieferen Sinn mit seiner Publikation. So stellt er sich (oder uns) die Frage, inwiefern die Digitalisierung unseres Alltags Auswirkungen auf das Erzählen nimmt. Heute, wo wir in einer Welt leben, in der wir den Wunsch haben, Medieninhalte sofort und überall zugänglich gemacht zu bekommen, in einer Zeit wo wir vor bereits enorm ausgeprägten Möglichkeiten stehen: wollen wir eine Sendung im Fernsehen sehen, haben wir sie vielleicht auf unserem Festplatten-Recorder aufgenommen oder brauchen wir all diese Dinge gar nicht mehr, weil wir in unserem Konsumverhalten sowieso nur noch Mediatheken ansteuern. Es ist aber eben auch eine Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne des Rezipienten abnimmt. Wer sitzt denn schon noch zwei Stunden lang still um einen Film zu gucken, ohne nebenher einmal die Pause-Taste zu betätigen um sich anderen Dingen zu widmen, wenn man sie nicht gar sowieso parallel ausführt.
Man verliert sich ebenso schnell in diesem Buch wie im Internet selbst, surft von Seite zu Seite und schaut immer mal wieder auf die dazugehörige Webpage. Das ist ein klares positives Votum für diese Publikation, die interessant und anregend, mit Zukunftsprognosen arbeitet und in der man ganz nebenbei noch die ein oder andere sehenswerte Web-Serie entdeckt.
Digitales Erzählen von Dr. Dennick Eick im UVK Verlag