Digitaler Stress (2): Rushing Woman Syndrom. Was Dauerstress mit der Gesundheit von Frauen macht

Von Demo4punkt0 @demo4punkt0

Von Doreen Brumme

Dr. Libby Weaver ist Biochemikerin. In ihrer Heimat Australien und in Neuseeland gelte sie mit mehr als zehn Büchern zudem als „Rockstar" unter den Ernährungswissenschaftlern, hörte ich, als Dr. Libby, wie sie dort auch genannt werde, ihr neues Buch „Das Rushing Woman Syndrom. Was Dauerstress mit unserer Gesundheit macht" in Hamburg vorstellte. Für das Blog Demokratie 4.0 habe ich Dr. Weaver im Anschluss an die moderierte Buchvorstellung interviewt. Lest hier, wie der weibliche Körper und die weibliche Seele auf Stress, auch digital initiierten, reagieren und welche Schritte die Stressexpertin empfiehlt, um das Hamsterrad zu entschleunigen, anzuhalten und daraus auszusteigen.

Vor dem Treffen mit Dr. Libby: I'm a Rushing Woman - Selbsttest

In Vorbereitung auf den Termin mit Dr. Weaver habe ich selbstverständlich das Buch von ihr quergelesen. Darin findet sich gleich zu Beginn ein Selbsttest in Form einer Checkliste mit 40 Anhaltspunkten, der helfen soll, festzustellen, ob ich am Rushing-Woman Syndrom leide. Darunter finden sich Aussagen wie: Die Frau im Dauerstress ...

  • antworte „viel zu tun" oder „gestresst", wenn man sie frage, wie es ihr gehe,
  • neige zu Überreaktionen, selbst wenn sie es äußerlich nicht zeige,
  • könne sich nicht ruhig hinsetzen, sonst fühle sie sich gleich schuldig ... außer wenn sie völlig übermüdet sei ... dann setze sie sich hin, fühle sich aber immer noch schuldig,
  • mache sich Vorwürfe, sie wäre als Frau/Mutter/Freundin nicht gut genug

Ich hatte deutlich mehr als sieben Übereinstimmungen - und wurde von Dr. Libby somit im Club der Rushing Woman willkommen geheißen. Auch wenn dies keine Krankheit ist, Wohlbemerkt mit den Worten: „Beim Abstieg vom Stressberg bilden die hier empfohlenen Maßnahmen das perfekte Geländer."

Das Gruppentreffen mit Dr. Libby

Nach dem eindeutigen Testergebnis waren meine Erwartungen an die angekündigte Hilfe groß. Stress ist Teil meines Lebens, uns verbindet eine Hassliebe. Ich war sehr neugierig auf Erkenntnisse zur biochemischen Wirkung von Stress. Aus welchen Gründen auch immer die anderen Journalisten, Blogger & Co. zum Gruppentreffen mit Dr. Libby erschienen, sie waren zahlreich und Großteils weiblich. Das Thema Stress, insbesondere Dauerstress scheint wichtig und bewegt offensichtlich so manchen Schreiber.

Der moderierte Dialog

Nach einer kurzen Vorstellung stieg Dr. Weaver direkt ins Thema ein. Zuerst nannte sie Symptome wie Schlaflosigkeit, Übergewicht, sexuelle Lustlosigkeit, Regelprobleme und ungewollte Kinderlosigkeit, die Frauen ihr in Beratungssituationen vortrugen. Sie führt diese auf Stress zurück, der

  • sich biochemisch auswirke und damit alle körperlichen Prozesse beeinflusse (Stichworte: Östrogen und Testosteron)
  • von Ernährung buchstäblich genährt werde
  • und auch unsere Emotionen im Griff habe.

Die Frau im Dauerstress beschreibt Dr. Libby als „stets in Eile". Jede Sache sei ihr „wichtig". Stress sei ihr zufolge entweder tatsächlich begründet oder selbst gemacht. Die meisten dauergestressten Frauen seien 30, 35 und älter. Sie stünden fest im Leben und begännen, Verantwortung zu übernehmen: im Job und daheim, in einer Beziehung, mit Kindern.

Das Aufkommen von Dauerstress als ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit sei zwar nicht auf Frauen beschränkt, doch, so Dr. Libby, wären Frauen davon wegen ihrer traditionellen Rollenentwicklung in der Gesellschaft und ihrer weiblichen Biochemie in noch nie dagewesener Weise und anders betroffen als Männer. Sie erklärt das so: Während Männer es gewohnt seien, zur Jagd (Arbeit) zu gehen und sich danach (biologisch) auszuruhen (in der Höhle am Feuer oder auf dem Loungesofa), beginne für viele Frauen nach der Arbeit die zweite Schicht mit Haushalt, Küche und Kindern. Wir Frauen von heute seien die erste Generation, die diese Art von Dauerstress erlebe. Hinzu komme der Anspruch, mit dem viele von uns aufgewachsen seien und den wir nach wie vor an uns selber stellen würden: „to be a good girl". Die „good-girl-attitude", der Wunsch, geliebt zu werden, begründe Dr. Libby zufolge unser Stressverhalten wesentlich, denn Frauen würden ihr ganzes Leben danach trachten, der Welt, insbesondere aber ihren Eltern, zu zeigen, dass sie ihren Aufgaben gerecht würden.

1st Note to myself: Ich muss den Zuspruch an meine Kinder, insbesondere die Mädchen, „Du kannst alles machen!", überdenken. Ist er nicht auch ein Stressauslöser, gleichwohl er zur Steigerung des Selbstbewusstseins gedacht ist?

Dr. Libby schilderte als Nächstes, wie Stress uns biochemisch krank macht. Auf Stress, ganz gleich, ob echter oder eingebildeter, reagiere unser Körper wie bei einem Schock: Der Blutdruck steige, das Blut ströme in Arme und Beine, nach wie vor: um uns zur Flucht zu befähigen, und damit weg von den Organen, darunter dem Verdauungstrakt (daraus resultieren Verdauungsprobleme) und dem Fortpflanzungssystem (daraus resultieren Fruchtbarkeitsstörungen), und der Adrenalinspiegel steige. Wir bräuchten in dem Stressmoment Energie, die gewinne unser Körper gewöhnlich aus zwei Kraftstoffen, bei Stress leider weniger aus Fett als aus Glykose.

Spannend finde ich auch die folgende emotionale Herangehensweise an Stress: Denn Dr. Libby zufolge, die in uns Frauen

  • sowohl den männlichen Part sieht, der insbesondere auf Herausforderungen reagiere,
  • als auch den weiblichen, der im Leben vor allem all unsere zwischenmenschlichen Interaktionen und Beziehungen am Laufen halte,

versetze Dauerstress uns in eine andauernde (Gefühls-)Lage der Herausforderung. Wir ließen damit dem männlichen Part viel Raum.

Das Gruppengespräch

Die Ausführungen von Dr. Weaver warfen eine Menge Fragen auf. Um Denkanstöße zu liefern, will ich nur auf einige davon eingehen. Auf die Frage, wie frau die eingangs erwähnten ständigen Schuldgefühle (Stichwort: Unzulänglichkeit) loswerden könne, antwortete die Stressexpertin: Stress ist ein anderer Ausdruck für Angst. Er rühre demnach aus Sorge und Angst, das frau nicht genüge, ihre Leistung nicht reiche, um dafür - von wem auch immer - geliebt zu werden. Er rühre also aus Sorge und Angst darüber, was andere von einem denken würden. Eine andere Frage fand ich als 4fach-Mutter interessant: Was passiert mit unseren Söhnen und Töchtern, wenn wir ihnen den Lifestyle einer Rushing Woman vorleben? Auch hier weist Dr. Libby auf die größte Angst eines jeden hin: Nicht gut genug zu sein. Sie rühre aus der Tatsache, dass wir als zu 100 Prozent von anderen abhängige Neugeborene nur ‚geliebt' überleben. Als Erwachsene müssten wir lernen, dass wir auch ohne die Liebe anderer überleben können.

2nd Note to myself: Liebe ist nicht leistungsabhängig. Das muss ich mir und meinen Kids noch stärker betonen!

Dr. Libbys Tipps gegen ein Stresstrauma im Hamsterrad

Ich liefere euch hier die Liste aller Tipps gegen Stress, die ich in den anderthalb Stunden mit Dr. Libby notiert habe - mehr davon findet ihr im Buch!

  • Nimm dir morgens 20 Minuten Zeit / Raum für einen Spaziergang! genieße die frische Luft und den Marsch.
  • Versuche Dich kennenzulernen! Reflektiere dich! Wer bist du?
  • Koffein wie in Kaffee ist purer Stress! Der Körper unterscheide nicht, ob frau einem Tiger gegenüberstünde oder ihre to-do-Liste lese und dabei einen Kaffee trinke.
  • Apropos to-do-Liste: Lies sie nicht im Bewusstsein, dass du sie heute abarbeiten musst, sondern, dass du es tun willst!
  • Frag dich, warum du eine vermeintliche Stressituation als Stress empfindest. betreibe ausgiebig Ursachenforschung!
  • Achte auf deine Ernährung! Iss viel Gemüse!
  • Zieh dich um, wenn du von der Arbeit nach Hause kommst. Zünde eine Kerze an! Koch dir Tee in einer schönen Tasse! Genieße die weibliche Seite von dir und lass ihr freien Lauf.
  • Beweg dich, treibe Sport! Aber bitte ohne, dass du dir mit dem Anspruch an Bewegung gleich neuen Stress bereitest!
  • Achte auf deine Atmung! Stress atmet flach! Flachatmung steigert den Adrenalinspiegel.
Wie entstresst Dr. Libby ihr eigenes Leben?

Die mir wichtigste Message, die ich aus Dr. Libbys Mund mitnehme, kam rüber, als die Stressexpertin nach ihrem persönlichen Rezept gefragt wurde, ungesunden Stress aus ihrem Leben möglichst rauszuhalten. Dr. Libby sagte, ihr Leben sei zwar voll und sehr bewegt, aber nicht stressig. Dafür tue sie viel. Sie beschrieb zunächst,

  • dass sie sehr viel Grünzeug esse, auch in Form von zu Pulver verarbeiteten Pflanzenteilen (Stichwort: Green Powder),
  • dass sie sehr bewusst atme
  • und (jetzt kommt's!) dass sie dankbar sei. Dankbar für Zugang zu frischer Luft, gutem und gesundem Essen, für ihre Familie ...

Wortwörtlich sagte Dr. Libby: „Stress und Dankbarkeit herrschen nicht gleichzeitig". Für mich heißt das: In Momenten, in denen ich dankbar bin, bin ich frei von Stress.

Dr. Libby mit mir im Einzelgespräch: Ist digitaler Stress auch nur Stress?

Ihr habt es bemerkt, ich habe diesen Blogpost wie einen Beratungstermin mit und bei Dr. Libby formuliert. Denn so kam ich mir auch vor: Nicht nur als beobachtende und berichtende Journalistin mit der nötigen Distanz zum Thema, sondern auch als gerushte Frau. Ich lechzte persönlich nach Rat, weil ich ein Leben full of Stress lebe, den ich zwar oft als gesunden Eustress empfinde, aber eben auch häufig genug als andauernd seelisch und körperlich schmerzenden Disstress (siehe dazu den ersten Teil dieser Serie). Und natürlich war ich in einer „dienstlichen" Mission unterwegs: Ich wollte herausfinden, welche Rolle Digitalität bei der Erzeugung von Stress spielt.

Geduldig wartete ich nach der Gruppensitzung auf mein persönliches Zusammentreffen mit Dr. Libby. Das entwickelte sich tatsächlich eher als Gespräch auf dem weißen Sofa denn als Interview. Die Frau war in ihrem Element: im Beratungsmodus. Ich stellte mich und mein Anliegen vor und ... kam gar nicht weit, weil Dr. Libby mir ihre Hand auf den Arm legte und mich persönlich in ein Gespräch zog.

Auch digitaler initiierter Stress, so sagte sie mir, sei für den Körper als solcher schädlich. Wobei es immer darauf ankomme, inwieweit wir den Stress als Disstress empfinden würden. Sind wir beispielsweise froh über die neuen Möglichkeiten, die die Digitalität uns eröffnet, oder nehmen wir diese nur als weiteren Stress wahr? Hinzu käme, dass Digitalität in Form von „digital devices" eine technische Seite besäße, deren Auswirkungen auf den Körper längst nicht in aller Tiefe bekannt seien. Insofern sei digital verursachtem Stress in Unkenntnis dessen nicht nur mit der Reflexion seiner Wirkung auf biochemischer Ebene zu begegnen, sondern auf ganzkörperlicher. Hier wies Dr. Libby daraufhin, dass die Wirkung des Monitorlichts, der Funksignale, der oft über Kopfhörer empfangenen Geräuschkulisse von MP3-Player & Co. auf unseren Körper durchaus weiterer Forschung bedarf. Sie sei gespannt, was da an Erkenntnissen noch komme. Bis dahin riet sie mir, sollte ich mit digitalem Stress genauso zu verfahren wie mit „analogem": Es komme in jeder digitalen Stresssituation auf meine Wahrnehmung an - und auf die Konsequenzen, die ich daraus zöge.

Drei Wochen danach

Insbesondere auf meine Atmung achte ich seitdem bewusster. Und ich konzentriere mich häufiger darauf, dankbar zu sein für das, was ich bin und was ich habe. Euch empfehle ich an dieser Stelle die Lektüre von Dr. Libbys Buch. Es hilft, innezuhalten, das Hamsterrrad und sich selbst darin zu hinterfragen. Allein das lässt das Rad langsamer werden. Selbst gemacht, selbst erlebt. Ich wünsche euch: Viel (Selbst-)Erkenntnis bei der Lektüre!

Infos zum Buch: Dr. Libby Weaver: „Das Rushing Woman Syndrom. Was Dauerstress unserer Gesundheit antut", TRIAS Verlag, Stuttgart 2017, ISBN Buch: 9783432104331, ISBN E-Book: 9783432104355, Preis Buch: 19,99 Euro (D), 20,60 Euro (A), Preis E-Book: 15,99

Fotos: Doreen Brumme