Immer, wenn sich ein Kunde entscheidet, keine Online-Pressemitteilungen mehr zu versenden oder sagt, Online-PR gar nicht erst in seinen PR-Instrumentenkoffer packen zu wollen, fragen wir natürlich: Was ist der Grund bzw. was machen Sie stattdessen?
Und eine der häufigsten Antworten lautet: Wir versenden unsere Pressemitteilungen an einen Journalistenverteiler, unser Ziel sind die Medien.
Was dagegen spricht? Erst einmal gar nichts. Gibt es eine spannende – und ich meine aus Nutzersicht spannende – Neuigkeit oder habe ich interessante und wichtige Tipps, dann lohnt es sich, diese zu veröffentlichen.
Bleibt also die Frage, welcher Weg der richtige ist. Lassen wir mal alle Idiologien beiseite: es gibt mehrere. Einer ist der Weg über „die Medien“, die in demokratischen Systemen gerne als vierte Gewalt – neben Exekutive, Legislative und Judikative – bezeichnet werden.
Mit den digitalen Medien steht uns aber auch der Weg über die fünfte Gewalt, die kommentierende Öffentlichkeit in den sozialen Netzwerken, zur Verfügung. Die fünfte Gewalt, wie sie Götz Hamann in seinem Essay „Der Journalismus steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise. Woran liegt das? Und was lässt sich dagegen tun?“ (Die Zeit 26/2015: http://www.zeit.de/2015/26/journalismus-medienkritik-luegenpresse-vertrauen-ukraine-krise/seite-4) nennt, sind nämlich genau die, die Ihre Produkte kaufen, Ihre Angebote annehmen sollen.
Und es sind die, die Ihre Produkte und Angebote empfehlen sollen – nämlich die Influencer, die Blogger mit Reichweite, meinungsstark und meist wortgewaltig.
Also nichts einfacher als das. Schreiben wir also für die Kunden, Nutzer, Interessenten.
Zwei Phänomene stehen dem im Weg:
- PR versteht die eigene Profession klassischerweise und oft genug immer noch darin, Beziehungen zu Medien aufzubauen und über die gut gepflegten Beziehungen Informationen und Inhalte so zu lancieren, dass die Medien und Medienvertreter darauf anspringen und dazu etwas veröffentlichen. PR als Press Relations.
- Diese ominöse fünfte Gewalt, die digitale Öffentlichkeit, hat oftmals zweifelhafte Manieren – zumindest geht so das Gerücht (s. auch Götz Hamann a.a.O.). Shitstorms und verbale Watschen lassen die sozialen Medien als ungemütlichen Ort erscheinen.
Meine Antworten: 1. Ja und 2. Jein
Klassische PR hat über Jahrzehnte funktioniert und man konnte, geschickt angestellt, damit viel erreichen. Konnte man im Clipping renommierte Medien vorweisen, galt der Job als perfekt erledigt. Das ist auch heute noch so, mit einem Unterschied.
Längst gelten die (Fach-) Medien nicht mehr als die Bewahrer der einzigen Wahrheit, sondern stehen in Wettbewerb mit der bereits erwähnten fünften Gewalt. Zeigen Sie Schwächen, legen die aktiven Nutzer der digitalen Medien – manchmal gnadenlos – den Finger in die Wunde.
Natürlich ist die schöne neue Welt der Direkt-PR im Web 3.0 nicht perfekt. Schaut man sich die Kommentare in digitalen Medien, viele Tweets und Posts an, entsteht tatsächlich der Eindruck, ein entfesselter Mob tobt.
Anschließend an den Essay von Alsmann beschreibt die Korrespondentin Golineh Ataj ihre teils befremdlichen Erfahrungen mit der digitalen Öffentlichkeit im Interview.
Ebenfalls Journalisten der Zeit, des Spiegels und der TAZ haben mit Hatepoetry-Events (http://www.fluter.de/de/141/thema/13316/) auf das Thema aufmerksam gemacht, indem sie die schlimmsten digitalen Entgleisungen gegen sich rezitieren.
Riskiert man einen zweiten Blick, findet man schnell aber auch die differenzierten, gut argumentierten Auseinandersetzungen mit Themen und Fragestellungen.
Zudem sind die sozialen Medien – allen voran Twitter – unglaublich schnell: möchte man eine Neuigkeit schnell verbreiten, spontan reagieren und in eine direkte Interaktion mit Kunden und Interessenten treten, ist die digitale Nähe unschlagbar. Der nicht existierende Filter der vierten Gewalt schafft eine Nähe und Intensität, die mit klassischen PR-Methoden nicht zu erreichen ist.
Und es bleibt immer die Erkenntnis: Kunden sind Menschen, ob nun privat oder beruflich. Menschen kommunizieren. Mittlerweile sind laut der Online-Studie von ARD und ZDF in Deutschland 80% der Menschen ab 14 Jahren online, die meisten kommunizieren auch in den digitalen Medien.
PR sollte also nicht die Nase rümpfen über zugegebenermaßen teilweise rohe Manieren, sondern akzeptieren, dass dies die Medien sind, in denen auch über die Angebote gesprochen wird, die die PR zum Thema hat.
Deswegen gilt trotz allen Klagens: digitale Direkt-PR ist unausweichlich und wird noch an Bedeutung zunehmen.
Götz Hamann weist darauf hin, dass das Vertrauen in die (klassischen) Medien geschrumpft ist: laut einer Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der Zeit haben mittlerweile 60% der Befragten nur noch wenig oder gar kein Vertrauen mehr in die Medien, 20% werfen Ihnen Einseitigkeit, 27% sogar Manipulation vor.
Was bedeutet das für die PR? Selbst wenn es gelingt, im Sinne der klassischen PR einen Beitrag zu platzieren, nimmt die Wirkmächtigkeit dieser Veröffentlichung tendenziell ab. Hingegen wird – das zeigt unsere Erfahrung – die Bedeutung und Wirkmächtigkeit der direkten Interaktion in den digitalen Medien noch weiter zunehmen.
Mein Fazit:
Ob PR es nun möchte oder nicht. PR als Press Relations verliert an Bedeutung und das alleinige Verharren darauf führt zu einer Selbstverzwergung. Wenn es also keine andere Motivation zur Eroberung des Web 3.0 gibt, bleibt immer noch das Ziel, die eigene Bedeutung auch zukünftig zu erhalten und zu stärken.