Dieter Schlesak, Der Sprachbaum, der hier steht

Unter: www.blogger.com/blog-this.gDieter Schlesak   DER SPRACHBAUM, DER HIER STEHT
Die Welt ist ein Sprachbaum der Information, ein Buch; darin zu lesen, bis in den Aufbau der Genen und Chromosomen, gelingt. Doch je genauer es entziffert ist, umso näher dem Verschwinden befinden wir uns mit der schönen bunten Lichtwelt.   Der dichteste Ort der Welt ist der Kopf, der sie vernichtet, Spiegel des "Schöpfers", der nun zur Erschöpfung führt, eine Art neuer Sündenfall; wir kennen den ersten Fall am Baum der Erkenntnis im menschheitlichen Kindheitsparadies Eden. Es scheint sich zu erweisen, daß jene schönen alten Legenden lauter große Modelle sind, für deren Gültigkeit wir jetzt mit unserem eignen Leben einstehn müssen.   Tod war schon in jener alten Bibellegende Folge des Essens vom Baum der Erkenntnis; das Abreißen der Frucht, - es war ein Eingriff, eine Störung. Heute ist dieser Eingriff in die Natur eine große Störung, ja, Zerstörung geworden.   ("Fels nach dem Ende. Kein/ Fließen mehr. Nach/dem Fall/ Jahrtausendespät/ versteinert das Hirn // Erschüttert/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier." Hebräischer Block).Alles ist noch da und doch wie längst vergangen. Und nur noch die Sprache, letzter Widerschein eines möglichen Glückszustandes, leuchtet uns heim, macht die Abwesenheit schmerzlich bewußt und führt doch Unmögliches wieder zusammen, bis hin zum Totengespräch mit den Millionen Opfern dieses höllischen Laufes zum Ende falscher Erkenntnis. Aber wie dem gerecht werden? Den Grund des Hebräischen ins Deutsche zu bringen, gehört dazu. Er führt über die Grenze unserer Vorstellung hinaus. Darauf verweist auch der Titel dieses Buches: AUFBÄUMEN. Dieses "Aufbäumen" geht von einer figura etymologica aus, daß der "Baum sich auf-bäumt". Darin überschneiden sich mehrere Sinnebnen. Sich auflehnen; dann das Bild der verbrannten Toten auf einem Rost, Leiber, die sich im Feuer krümmen. Dann das Paradiessymbol Baum und der Sprachbaum der jüdischen Kabbala. Und schließlich, die Vorstellung, daß nach der kommenden Katastrophe der Mensch wieder als posthistorischer Affe auf den Bäumen leben wird.   Dieser Sprachbaum, dieser Informationsbaum des Alls, von jener unsere Vorstellung überschreitenden Intelligenz, die man mit einer Metapher "Gott" nannte, eingesetzt, damit ein Mensch, ein Tier, ein Stein, ein Stern, ein Haus oder ein Fluß sein kann, in seiner spezifischen Form so ist, wie wir ihn sehn und kennen, wird nicht mathematisch, sondern poetisch oder "poietisch" (alte Lehre vom Bau und der Struktur) in der Genesis entfaltet. Ihre geniale Proportionslehre (im Hebräischen) freilich läßt sich nicht in unsere Neusprachen übertragen, denn in jener Vor-Babel-Sprache liegt hinter dem Namenssinn noch der Zahlsinn, da jeder Buchstabe gleichzeitig Zahl ist, und so ein hintergründiges Bezugsgeflecht entsteht, das im Satz oft mehr aussagt, als die Erzählung, die naiven Geschichten also von Adam und Eva, oder von Noah und der Sintflut oder von Kain und Abel. Wir tun es und wir gehn damit um seit Kindertagen und wissen es nicht. Die Katastrophe der heutigen Welt hat damit zu tun. Aber auch damit, daß Zahl und Name, technisches Wissen einerseits und andererseits davon wissend ihm zutiefst ent-sprechen können, auf tödliche Weise getrennt sind. Und offensichtlich widersprechen die hergebrachten Denkweisen und Vorstellungen, Normen des Verhaltens und der gesellschaftlichen Organisation in geradezu gefährlicher Weise jenen mathematischen Wissensvoraussetzungen, die genau diese Lebenspraxis hervorgebracht haben und sie täglich ermöglichen. Wir alle gehen täglich mit den elektronischen Haustieren, wie Radio, Fernseher, Computer um, die die Zeit- und Raum überschreitenden Tiefendimensionen in unseren Alltag holen. Doch diesem Eingriff in die Natur durch die Technik ist das Bewußtsein und die Moral entzogen. Und auch eine Lebens- und Denkpraxis, die auf einer Ebne jenseits der Körperwelt funktionieren könnte.   Es paßt zu den Absurditäten des Okzidents, daß er mit einem ungeheuer wichtigen Teil seiner Kultur so umgeht, wie er mit dem meisten umgeht, was nicht in sein rationalistisches Konzept paßt: verdrängend, ausklammernd, hassend. So auch mit dem Hebräischen, dem Jüdischen und dessen gesamtem Kosmos, wo Zahl und Name, Tun und Transzendenz noch zusammengehört hatten.   "ER starb. Wir zerschossen die Tafeln. Das Tetragramm mit der/ Fünf mit der Zehn. Und es knallt so dröhnend lautlos/ in den Ohren der Schrift./ Kugelvokale, Konsonanten zischen, bellen an die Wand.../ Und Einer, der schreibt, zersplittert, zerschossen, verbrannt." (Schrift an der Schwarzen Wand.)
   Der hebräische Sprach-Baum der Kabbala ist das Modell für die Struktur dieses Bandes, er ist aber verkehrt gedacht: mit seinen zehn Ästen von der Zehn bis zur wortlosen, nicht ausdrückbaren Eins ist er auf den Kopf gestellt, geht von der 10 zurück zur 1 und zur Null, wie beim Countdown: "Null, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1...Null./ VOLLE LADUNG, die Welt/ ein Tumor an der Schläfe./ Schreib/ ab." (Sphärenklang). Anstatt Schöpfung - die Erschöpfung der Welt. So gehn auch die Kapitel, die einem PROLOG NACH DEM ENDE folgen, zurück von der Zehn zur Eins. Und das Prinzip des Rückwärtsgehens und vom Ende her Lesens wird auch in einzelnen Gedichten angewendet. Ab der Mitte des Bandes ist auch das Rückwärtslesen so angelegt, daß die zwei Zeitbewegungen, eine in die Zukunft, die andere zurück in die Vergangenheit gehen. Die beiden Bewegungen werden wie die innere Zeichnung einer Sanduhr zu Versen.   Die zehn Kapitel haben wie die Äste oder Sphären des kabbalistischen Sprachbaums eine Beziehung zur Bedeutung der ersten zehn Zahlen und Buchstaben. So zum Beispiel I, das letzte Kapitel, das den Bogen zum PROLOG NACH DEM ENDE schlägt, und NICHTS STOCKT. NULL. DER CHOCK heißt; es ist nach der unaussprechbaren, undenkbaren Eins (denn ausgesprochen wäre es schon Zwei) und nach dem ersten hebräischen Buchstaben Aleph, der nicht geschrieben werden darf, eigentlich zum Schweigen verdammt. ("Entworfen der Baum, der in die Zeile wächst. 'Esset nicht davon, rührts nicht an`/ - :2: bereschith bara -, `daß ihr nicht sterbet`. Was/ In dieser Sprache uns fehlt, gehört/ in unsere Spaltung..." Optik der Erkenntnis.) Die SCHRIFT, auch die heilige, beginnt mit dem Geteilten, der Zwei, mit B, dem Beth: "Bereshith bara" (Im Anfang schuf", aber eigentlich im Kopf schuf) denn Resch heißt Haupt, "reschith" Hauptsache KOPF. Das II. Kapitel ist ihm gewidmet: HAUPT SACHE LICHTPUNKT DER ÖFFNET. Die 20: Kaph, ist die schaffende Hand. Gott hat ja die Welt aus der schwingenden Information der "Sprache," aus den 22 hebräischen Buchstaben und Zahlen ( Sephira= Zahl, Kräften, Sphären) erschaffen, und Kabbala heißt "Macht der 22" (Kaph=20, Beth= 2, La ist das Wort für Macht.)   Die sieben Schöpfungstage hängen ebenfalls mit der Tiefenstruktur der ersten 7 Zahlen und Buchstaben zusammen. Die ersten sieben Kapitel (10-4) von AUFBÄUMEN haben deshalb eine Querverbindung zu den sieben Wochentagen und ihren Bedeutungen. Doch sie beginnen erst mit dem vierten Kapitel. Denn Kapitel III-I sind der sogenannte Urraum (Zimzum), der "achte Tag", jenseits von Zeit und Geschichte, doch zugleich in ihnen verwoben: I Null, II Lichtpunkt, III Grenze oder das Hinabgehen in Klang und Form: Dieses Hinabgehen ins Materielle ist sehr nah an den Modellen der heutigen Informationstheorie: Erst die Erscheinungsform im Kopf als Wissen des "Lichtpunktes" als Nulldimensionalität des Reshith (allerdings immer noch als berührbare Unendlichkeit) ermöglicht es dem Urlicht der Eins (En-Sof im Hebräischen) hier in der menschlichen Welt überhaupt zu erscheinen. Dieser Punkt aber braucht Laut und Klang, die Begrenzung, Umhüllung des Unmeßbaren, Verstofflichung des Gedächtnisses, das nicht von dieser Welt ist (Wissen im Samen, in den Genen, Chromosomen, dem Atom), Mater Materia ist ja Geist, der nicht als Geist erscheint,aber er braucht die Form, die Grenze, um sich verkörpern zu können. BINA, der dritte Ast (oder die 3. Sphäre) die Ur- Mutter ermöglicht es.   Wir sahen, der Ausgangspunkt von AUFBÄUMEN ist das Essen vom Baum der Erkenntnis mit allen Folgen. Es gibt dazu eine schöne altjüdische Legende: als Gott sich in Adam verkörpern wollte, dem Ebenbild, gab es ein großes Geschrei im Himmel, weil Er Adam mit den eignen göttlichen Kräften und Möglichkeiten ausstatten wollte. Da erbot sich die Schechina ( die mystische Rose), diese Ur-Mutter, mit hinabzugehen und als "Einwohnung Gottes in der Welt" den Mißbrauch der Erkenntnis und damit ein kosmisches Unglück zu verhindern. Es scheint nicht gelungen zu sein. Der Strahl, der über sie die 7 Tage (oder Stufen) der Erscheinungswelt als kosmischen Bau bildet, war zu stark, diese Schwingungskonfigurationen brachen vor allem im Licht der Augen die "Gefässe", (das Auge bricht. Lichtbrechung, feste Welt!) der Strom von oben nach unten wurde unterbrochen.   Dazu kommt, daß Adam, der Mensch, das Strömen im "Fall" nochmals unterbrach, das Außen, den Augenschein, die Frucht vom Baum trennte, und so der Tod auf die Welt kam, denn der abgerissene Körper stirbt ja "tat-sächlich"; Formen sterben, die Information des Samens, der sie weiß, aber bleibt im Immateriellen erhalten! ("Niemand, der es weiß wie Gott: `Iß (ACHOL), so/ wird dein Auge aufgetan,`/ die Netzhaut/ `Ein Ewigkeitszeichen`." Optik der Erkenntnis). Essen, "Essen" der Sinne, Aneignung der Welt heißt im Hebräischen "Achol"; es verbindet A, die Eins, mit Chol, dem Vielen, dem spezifischen Schwingungsklang der in jedem Ding als Eigenart vibriert. Liebe ist die Verbindung der fünf Sinne auf höherer Ebne der Berührung. A-Chol. Das Zerreißen, die Spaltung ist die Hölle. Das Sichtbare, so vom Einen getrennt, ist seither einem furchtbaren Ungenügen, ist den zerstörerischen Gewalten, die Macht über den Körper haben, wehrlos ausgeliefert. Heute ist dies als Riß in uns und in der Welt und als Schmerz zu spüren, auch die Not-Wende: Denn noch nie war diese größte humane Aufgabe, das Ganze wieder herzustellen, die abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen, so lebensnotwendig und dringlich, und dies nicht nur für die menschliche Welt, wie gerade heute. Denn jenes Falsche, jener Makel, eine Wunde, die im Menschen am hörbarsten tickt, ist nicht nur in einem, für viele unerklärlichen Leidensdruck spürbar, sondern auch in der Falschheit des klassischen Erkenntnisansatzes: letzlich hält uns die Natur den Spiegel unserer eignen Mittel und Instrumente vor, so z.B, formuliert in Heisenbergs "Unschärferelationen," die die Berechnung einer zeitbedingten kognitiven Unfähigkeit sind ( "...Und was wir fassen können, Unkenntnis/ Sprachgewimmel,/ geht Jetzt als Rechnung auf. Licht,/ das diese beiden Welten trennt/ zusammenhält, strahlt/ Aus." Optik der Erkenntnis). Erstaunlich ist, daß sich in der Quantentheorie unser Fehlverhalten sogar berechnen läßt durch die auf den Beobachter bezogene Wahrscheinlichkeit und die damit verbundene "unvollständige Kenntnis eines Systems". Das besagt die Formel. Der Physikerphilosoph C.F. von Weizsäcker schreibt sogar "Vielheit ist letztlich nicht wahr. Der Begriff eines isolierten Objekts ist...nur eine Annäherung, und eine schlechte. Mathematisch gesprochen enthält der Hilbertraum eines zusammengesetzten Objekts nur eine Menge vom Maße Null von Zuständen, in denen eine bestimmte Zerlegung dieses Objekts in Teile real ist.... Fakten sind irreversibel, aber Irreversibilität in einem isolierten Objekt bedeutet nur mangelnde Kenntnis der Kohärenz (der `Phasenbeziehungen`) der Wirklichkeit... Objekte (sind) nur Objektefür endliche Subjekte (d.h. für Subjekte, denen gewisses mögliches Wissen fehlt." Aber diese Falschheit und Störung des Ganzen durch unkontrollierbare Eingriffe ist für die gesamte Natur und für die menschliche Gattung insgesamt gefährlich geworden, sie äußert sich ökologisch, atomar und in zunehmendem Maße auch im biologischen Informationssystem als Krebs, als Aids und als Neurose und Geisteskrankheit.Aber ist das Falsche nicht schon im Ansatz des Humanums da, das Auf-Tauchen in der Körperexistenz, somit: Ausgewiesensein, also Hiersein. Die Ur-SCHRIFT, Information und Gottes-Wissen also, die die Welt baut, war der Bibel nach ursprünglich mit schwarzen Feuerbuchstaben auf weisses Feuer geschrieben ( Atomfeuer, Kern und Schalen?). Innerste Formung, die wirklich werden sollte. Zwei Eingrabungen: Herzschrift und Mündlichkeit, sie waren aber noch nicht sinnlich wahrnehmbar, nur als Gedankenanreger da. Das weiße Licht war die SCHRIFT. Der Baum des Lebens. Das Mündliche und nach ihm Verkehrte, das davon Abgespaltene, Gedeutete und menschlich Geschriebene hieß Baum der Erkenntnis, die schwarze Schrift; es waren die Begrenzungen und die Gesetzesmacht, auch die Naturgesetze und die Mächte der Zeit, also des Todes. (Zeitstrafen, Paragraphen, Folter, Todesurteile gehören dazu.) Moses gelang es auf dem Sinai zum weißen Licht, zu den verborgenen Tafeln der zehn Ur-Worte (der Sphären I-X) vorzudringen. ( Der deutsche Vers in AUFBÄUMEN empfindet es heute wie eine Satire: "Mit dem Zungenspitz zur Tafel/ weder Zehn noch schwarzer Stein./ Griffel Staub und etwas leichter./ Besser ist die Eins gelacht/ ganz und gar noch ungedacht/ brennt dir schon der Fingersatz - Spiel nur spiel mein Wortschatz weiter/ in der Wüste Himmelsleiter." Sinai.) Alles, was aufgeschrieben werden kann, mit Tinte auf Papier, auch in der Genesis oder der hebräischen Thora, ist nichts als Deutung, ja, nur halbwegs Wahrheit, gar Fälschung. Im besten Fall Metapher und Gleichnis, der Rest aber ist Schweigen. Im kleinen Blitz der Intuition und Ekstase Nichts als ein Schimmer. Aber auch dies ist höchst aktuell. Nicht einmal die so einfachen mikrophysikalischen Vorgänge, die in unserem Bildverständnis mal als "Teilchen" , mal als "Welle" im Vor-Schein und "eingedeutscht" da sind, lassen sich einfangen, sie sind wie Träume, die am Morgen aus dem Wachzustand verschwinden; als wären sie noch unberührt von der Erbsünde des Augenscheins, dem sogar die Buchstaben der Genesis ausgesetzt waren, wie die Kabbala meint. Ihr grobmaterieller Charakter sei eine Folge des Falls. Ebenso wie Adams Lichtgestalt eine materielle Haut bekam und die Erde nicht mehr durchsichtig war wie vor dem Fall. Der Himmel war dichtgemacht. So wie das Chaos der Augenblicke Jetzt, sei auch die Buchstabenkombination der niedergeschriebenen Genesis noch verkehrt, erst beim Ende der Welt werde sie lesbar sein. Ein Spiegel des Sünden-Falls in der Wirklichkeit, so erscheint zwangsläufig alles gespalten und vermischt in Lüge, Wahrheit, Gut, Böse, also paradox und absurd, Sprachprozess dessen, der ist und schon nicht mehr ist: der Abwesende. Aber auch ein paradoxes Problemhandeln im Möglichen leuchtet auf.   Neben der mathematischen Formel und der Musik ist das Gedicht die einzige Möglichkeit der herrschenden gefährlichen Hohlform des Wirklichkeitswahns und seinen Täuschungsmanövern und sozialen Manipulationen durch Hinabtauchen in die Tiefendimensionen zwischen den Zeilen zu entgehen, und zugleich zum Angriff überzugehen: so dem historischen Erbe, dem fassbaren Nichts zu ent-sprechen, - selbst eine dichte Sonde im Freilegen des Absurden, wie beim Unfasslichen einer Todesnachricht, an dieses anzulegen. Und entlarvt z.B. im Blitz der Erkenntnis, daß Differenz nur gedacht, in Wahrheit aber Alles-Eins ist. ( "Von Schönberg vertont: Es ist Alles-Eins." Sphärenklang.) Das Undenkbare des Todes, der Schlag einer Todesnachricht, sind dafür Zeuge. Sie lassen nun auch historische, ontologische und alle Kategorien der Logik oder der Zeit, Raum und Sprache hinter sich. Heute als Möglichkeit kollektiver Auslöschung, wo jeden Augenblick auch das Gedächtnis und die Toten auf der Erde noch einmal sterben können, ist der Gedanke des Todes ein apokalyptisch Allgemeines, in seiner Tabula rasa noch furchtbarer als früher; "Null, 10/9,8,7,6,5,4,3,2,1.../Null. VOLLE LADUNG, die Welt..." Damit ist freilich Kunst lächerlich, jenes Nichtsein kann nicht mehr an etwas Bestehendem, gar am Schönen gemessen werden, Nein, jeder Satz wird durch sich selbst dementiert. "Streich Wolken Himmel/ Blau Meer: immer noch da/ das Bild mit der fliegenden/ Feder hier durch: Viel Rauch/ anstatt Geruch wie schön/ die Wolken einst zogen im Hirn:/ Streich durch was Himmel war/ gebrochen und wir. /Darüber die Erde tief;/ der vergangenen Zeit/ entsprochen." Fragmente für das Gewesene Kommen.)    Jeder Poet ist wie der Wissenschaftler an das Noch-Nicht- Gewußte, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) durch seinen Einfall gebunden, keine überholte Spezies, nein, er taucht dort ein und holt ein unbekanntes Lebewesen vom Grund ans Licht. Es wurden formale Findungen und Erfindungen, auch Schnitte traditioneller Strukturen (Sonett, Madrigal, Akrostichon, Terzine, Rondell, Psalm, aber auch Innenreim, Anakoluth, Inversion, Paranomasie etc.etc.) zur Herstellung der "Worthöfe" und für die Differenzen mit dem Nichtsagbaren eingesetzt.    Angestrebt wird ein Gedicht über das Gedicht und die Literatur hinaus; die Sprache, der Satz, die Syntax der Versbewegung werden gebrochen, als metonymischer Schreibprozess soll die "Wirklichkeit" und unser kausal funktionierendes Bewußtsein umgekehrt werden wie ein Handschuh, daß er so im Zwischenraum zwischen 1 und 0 mehr ausdrückt, als wir wissen, wir meinen, den Verstand zu verlieren. Manchmal (vor allem im VII. Kapitel) ist es ein Gespräch mit den Toten, die auf einer Ebne mit mehr Bezügen leben, es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hier empfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon im Undenkbarbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihe des Zählbaren mit der Eins und dem Einen, nicht mehr getrennt und gespalten, sondern heimgekehrt. "Die Leute gingen /in seine Verse hinein/ wie in einen Gasthof, um vor dem plätschernden Regen /der Sekunden sicher zu sein." (Geistergespräch. Milton). Auch wir freilich wissen genau so wenig wie die Spinne, wie wir unser Netz weben, das dauernd zerreißt, und wir Schmerzen empfinden, weil wir im Zerrissenen leben müssen. Und im Zweifel, daß es doch nur ein Surrogat ist:"Unsichtbar schmerzt ein Papierkind." Und: "Aufs Blatt geworfen, solange die Stunde/ hält,// ein Hof, sonst/stürzt du atemlos/ hinab.//*/Zurück, zurück. Die Spindel Spur:/ der Zorn nach vorn, nur was dazwischen/ sinnt, kommt noch im Himmel vor." (Schatten, ein Blatt).Wäre eine Herausführung und Engführung durch WORTHÖFE und Sprach- BERÜHRUNG in "Zustandsräumen" möglich? Das Unversöhnliche zwischen Unsagbarem und Sagbaren, dem Noch-Nicht, uns und der andern Ebne, den getöteten Möglichkeiten und dem Vergangenen zu heilen? Aber Berührung wird ja erst möglich in Zuständen zwischen Leben und Tod, in Sphären von denen wir durch den Körper getrennt sind. Und diese Art zu denken ist tabuisiert, mit Vergessen auch in uns geschlagen. Muß der Verdrängung des Unvorstellbaren auf allen Ebnen mit INVERSIONEN geantwortet werden, wie es Paul Celan versucht hat, ebenfalls mit Para- und Hypotaxen? Freilich, man müßte selbst vom Blitz getroffen sein, um zu "wissen". Und der Zweifel ist quälend, ob es nicht nur Annäherungen am Blindenstock der Feder sind! Es ist aber so, daß viele von uns selbst täglich mit innerem Druck den Todeszustand fühlen. Günter Kunert sprach von einem "neuen Leiden", die wirklich neu seien: "daß der Tod, eine ART Tod, mehr eigne Realität besitze als das sogenannte Leben... Sich des Abgetötetwerden oder Abgetötetseions bewußt werden, löst das Schreien aus..." Die Metapher ist ein vielleicht antiquiertes Sprungbrett dahin zu kommen, wo wir uns jetzt befinden, hinüberzukommen in den historischen Nullnereich, wo womöglich eine Tür wartet. Aber auch die gescheiterten Versuche entsprechen genau dem radikalen Nachher in dem wir leben, als Gespenster der Geschichte. Dieses Desaster ist aber nicht alltäglich bewußt, der Todeszustand ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Aber in bestimmten Augenblicken ist es wie ein Stich: daß alles vergangen ist und wir doch noch da sind. Auch gibt es da keine "Einfühlung" mehr in Kind und Kegel etwa, in einen Baum, in eine Blume. Es gibt sie ja nicht mehr. Es gibt nur noch Namen dafür. Sie selbst aber sind deutlich am Verschwinden, und wir halten davon nur ein wenig Erinnerung fest, deren falsche Zusammenhänge so etwas wie Wirklichkeit suggerieren. Die erinnerte Welt selbst aber gibt es, nun schon fast augenfällig, nicht mehr. Ein altes Haus, einen gesunden Menschen, einen Fluß, in dem noch Fische oder Pflanzen leben können. Zeit ist passé, nicht mal einmal, geschweige denn zweimal kann man im gleichen Fluß baden. Wer könnte da noch seinen Augen trauen! Zum Beispiel einem blauen Meer.   Und - weiß der Baum, daß ich ihn "Baum" nenne? Ich weiß es, daß er es nicht weiß. Aber etwas weiß in mir, was er ist. Kann er, der heute kranke Baum, durch das Licht des Bewußtseins erlöst werden? Arme Paradiesische Vorstellung. Nein! Doch genau damit beginnt dieses Buch: Mit einem PROLOG NACH DEM ENDE. Und: "...Kein Hals/ mehr für oben: der Galgen ist/ eine Feder." (Es ist). Ist der Autor also ein unverbesserlicher Pessimist? Nein.   Das VII.Kapitel spricht (analog zur 7. Potenz, dem siebenten "Ast" oder "Sefiroth" des Sprachbaumes) vom TOD, DER LEBEN KANN , aber gleichzeitig von der Geduld, mit der auf das Unmögliche gewartet werden muß: "EIN LETZTES MAL du weißt/ es gut/ wohnt keiner mehr/ und dauerhaft zu Haus.// Die Grenze höher/ weigernd/ steht." (Für Borchardt).    Es ist eine Absenz, die das Schreiben bis hin in die Satzfügungen, bestimmt, aber es ist durch den Abschied vom festen Boden wissender und reifer geworden. Nur aus der Erinnerung wird scharf geschossen: "Vor dem offnen Fenster ein Fluß, das andere Ufer/ vom Wachturm, dem Gleichnis besetzt."// In somma, den Stuhl vor die Türe/ gesetzt, ist ein Leben." (Schatten, ein Blatt). Auch der geographische Weltwechsel, die Heimwehkrankheit, die Sehnsucht nach einem bestimmten Ort, ist vom Ende überholt, nur noch ein Zeichen für einen anderen, von ihm selbst verdeckter Widerschein eines fernen Lichts. Dessen Ort zeigt sich mit dem eignen Altern und dem der Welt, die sich schon an einer Grenze bewegt. "Zwischen den Stühlen der Generationen/ sitz Ich. Auf dem Tisch der Sprung im Glas, hinüber ist das Herz gekommen, ein Riß." (Schatten, ein Blatt).    Von oben, vom III. Kapitel an (DIE GRENZE BERÜHRT) und vom X. Kapitel an, von "unten", dem JETZT (WER IST NOCH AUSGEWIESEN) kommen die zwei gegenläufigen Zeitbewegungen des Exils. "Über die Grenze kam er/ nie hinweg, er// fremd an zu Hause." Und: "...Hinter seinem Rücken vorbeijagen, die Ewigkeit/ erreicht auf die Schnelle?" (Chronokratie). Aber jeden Augenblick ist der Einbruch des Unvorstellbaren möglich.   Der Riß und die Chance, Verleugnung der eignen inneren Wahrheit, zugleich der Aufstand dagegen, zeigt sich in der Geschlechtsliebe, der schaurigen Tiefe der Sexualität und Partnerschaft, dem eigentlichen Krieg heute. Das IX. Kapitel heißt: DAS LUSTSYMBOL, DER RISS. Denn in der Liebe kann nicht nur das Zufügen, sondern auch das Zusammenfügen, für Augenblicke also das unterbrochene Strömen wieder gelebt werden. "Und Sesam offen/ haargenau/ Die Springflut.// Die Seile angespannt/ Kommt ihr hinüber..."(Kühl gestern Nacht). Vom sechsten zum siebenten Tag (vom IX. zum X. "Ast" des Sprachbaumes), klingt der "Hieros Gamos" immer noch an, als wäre die Spaltung aufgehoben: TOR EINER SINNENROSE. Und ist doch Betrug: "Wo bist du, Liebste, wortlos Sprachschatz/ der Gefühle... Weißt du das Falsche/ Wo es stimmt?" (Jahre vermessen). Qual der Sinne, durch die der Same weiter will, Vereinigung vortäuscht, mißbraucht eine Frucht, bevor der Prozeß überhaupt beginnen konnte. "...die Liebe federleicht fliegt fort,/ die Uhren haben die Genauigkeit/ des Todes".( Augentier.) "Die Hora mortis war ein Trick,/ damit sich keiner aufzubäumen traut."   Aufbäumen wenigstens im Wort? Das VIII. Kapitel heißt: SPRACHE, DIE BRÜCKE. ("Wie hast du mich gequält/ langjährige Liebe/ Zeile.) Der Sprach- der Lebensbaum verbindet genau wie der Liebesakt (es IST ein Liebesakt, die Zusammenführung der Sphären X und VI ) Himmel und Erde, ist Form des Wissens hier. Doch seine Imitation im Buch bringt höllische Zweifel und den quälenden Lebensverlust mit sich: "...Als ein Leben wächst.// Hier löscht es meinen Namen aus,/ liest mich auf, wird zu einem/ Fall im Nichts- und im Niemandsland,// die Wunde anstatt ein Haus." ( Du, Vers.) Und auch sonst ist Sprache, das Mündliche "draußen/ in der Rede ein böser Tag." (Schlimme Nacht).   Über Kapitel VII: TOD, DER LEBEN KANN, daß trotzdem oder gerade wegen der erlebten Absurdität, die Hoffnung auf das für unseren Verstand Unmögliche ist, habe ich schon gesprochen. Und daß mit dem Absurden gearbeitet werden muß: dieses Annehmen des Absurden als Zeichen gehört zum AUFBÄUMEN, ist sogar einer Totale des Widerstandes. Gemeint ist, daß die Zerrissenheit jenes hier spiegelt, was bis zum Wahnsinn das Fehlende, die Wunde ist.    Kapitel VI handelt vom Vergangenen, das nicht vergehen will, um uns ist lauter Gewesenes in Raum und Zeit. (Die Schwere der unbeantworteten Erinnerung. Dann die Uneingelösten Zeichen der Kindheit. Das, was jedem einmal schien, wo aber noch niemand war, Heimat. So sagte es einmal Ernst Bloch.) Doch es wird in jedem Augenblick übergangen, jeder Augenbliick ist noch nie dagewesen, neu. Das Unwahrscheinlichste kann jeden Moment eintreten. So wie der Lichtblitz auf dem Sinai. Dieses Plötzliche, die mögliche Öffnung korrespondiert mit der I. Sphäre. Und mit der VII. Wenn man schon gar nicht mehr daran glaubt, in der Hölle des Transzendenzverlustes, im Schmerz, im Inferno lebt, ist die Rettung ganz unerwartet da.   Als wäre die V. Stufe, ( dazu das Kapitel V: SCHRIFT AN DER FESTEN SCHWARZEN WAND) - die Vernichtung dessen, was uns unmittelbar umgibt, die Blutspur der Geschichte, das aktuelle Gewaltpotential, die Bedingung der Apokalypse, dieses Tabula rasa auch die Möglichkeit für die radikale Wende und Rettung. Macht- und Staatsterror, Terror der Masse unterbrechen den Strom nach oben, doch gerade dadurch entsteht ein großes Vakuum, eine große Absenz, die einen Wirbel, eine Gegenbewegung erzeugt, wie die Negation in der Geschichte, diese schließlich kippen läßt."... sechs Schützen sind die Tiere... / Und die Null ist schon fertiggeweint." (Schrift an der Schwarzen Wand). "Als wären die Toten ein Und". Endstation der Geschichte: "Ich aber stand mit Siebzehn nackt im Schnee,/ sagt sie, man wählte für die Kammern aus.../ Ich habe überlebt./ Sie zählen bis Zehn/ und nicht mehr weiter. Seither ist Ende; alles tut weh; wir leben nicht mehr. // Wisch mich aus deinem Buch." (Siebzehn). Die Millionen Opfer wissen mehr. Sie haben alles überholt. Nichts bleibt, was war. Denn wenn überhaupt noch Sinn sein soll, im Tod der Millionen, muß es ein undenkbar neuer sein. "Man redet umsonst von Gerechtigkeit, solange das größte der Schlachtschiffe nicht an der Stirn eines Ertrunkenen zerschellt ist." Schrieb Celan. Lächerlich jede Begriffsbrücke, die am höllisch gelebten Augenblick vorbeigreift - reiner Hohn, Moral, Worte, Verse? Das Absurde, Unfassbare allein spiegelt in unseren Mitteln etwas von der Wahrheit; als habe sich die nur geahnte Un-Vorstellbarkeit in der Geschichte gräßlich wahrgenommen. Es war etwas offenbar geworden, was nicht seinesgleichen hatte. Das Feste; Zeit-Raum- Vorurteil, Ego, Eigennutz, Macht des gesellschaftlich verfassten Außen als Technik und Bürokratie - haben in letzter Konsequenz jenen ORT hervorgebracht. Und doch geht alles weiter, als wäre nichts geschehn. Dabei war Nichts tatsächlich geschehn. Wie ist das möglich?   Das unfassbare Geschenk Licht, das alle Dinge erst möglich macht, in uns als die Möglichkeit der Zusammenführung im Blitz der Hirnsyntax liegt, ist umgeleitet worden in seine Beherrschung für Raubbau und Profit. Davon ist im IV.Kapitel GELENKTES LICHT die Rede. "Im Kreis: AtomPupille wuchs,/ Fingerflug Leitstrahl/ Tod wie Sand am Meer:/ Am Ende Eins/ Lichtblitz geblendetes Auge hier/ maß-Los über dem Abgrund..." (Optik der Erkenntnis). Das Resultat: die Angst, Zugehörigkeit höre im Tode auf. So muß er verdrängt werden, notfalls durch Massenvernichtung. Als wäre er abschaffbar. Und das Geschrei der Engel, als Gott Adam ebenbildlich mit seiner Wissens- Macht ausstatten wollte, war sicher berechtigt. Auch das Angebot der "Schechina", der Ur-Mutter, Adam zu begleiten, ihm auf die Finger zu sehen, hat nichts genützt. In der dritten Sphäre taucht sie auf. Ihr ist das III. Kapitel gewidmet. "...lebt noch und baut im Nichts ein Herz/ der Farbe: Immernie// und wohnt lang nach dem Tod/ ein Leben durch die Augenwand." (Haus mit dem Baumwappen) Abstieg der Eins, des Lichtstrahls durch sie, die Umhüllung des Kerns. Doch davon und vom II. Kapitel dem Lichtpunkt war schon die Rede.Und schließlich das letzte (oder erste) Kapitel, das alle andern zusammenfasst. Auch davon war hier schon die Rede. In jedem Leben, vor allem aber in den Schrecken der Geschichte zeigen sich Mißgriff und Fehlschlag. Wessen? Ist Gott die Absenz, ist Gott heute der Tod? Das Nichts ist im Hebräischen Gott. Ayin heißt Nichts. Es ist zugleich Name eines Buchstabens, er hat die Bedeutung von Auge.   Dieses letzte Kapitel, das Eine als treibende Absenz ist in allen andern enthalten, alle andern Stufen von X-II sind Erwartung, Wartezeit. Die schmerzende Absenz, ein sich ins Absolute verwandelndes Heimweh, das keinem Land mehr angehört, das die Substanz des Fehlenden verdeckt, ist Hohlform unverzichtbarer Hoffnung, seiner Nirgends erkennbaren Gestalt: "Sekunde, der Riß/ im Kopf das Hirn der Dornen. Ein Lichtblitz in jeder Zelle.../ Nichts ist entschieden. Erst aus dem Auge des Fehlenden käme der Blick, der dich sieht.../ Doch das Fehlende kommt. Schon pfeifen es alle Kugeln von den Dächern." (Hinrichtung.) In diesem Gedicht ist von der Kreuzigung die Rede. Sogar von Christi Resignation am Kreuz, die Absenz des Andern ( Vater, warum hast Du mich verlassen?) zwingt ihn zur "Vernunft", er steigt herab, er heiratet. ("Erschüttert,/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier." Hebräischer Block). Diese "Vernunft", die Sonde der großen terroristischen Staats- und Ausdrucksmaschine erledigt jeden mit der Zeit.   Wir wissen es immer: wir müssen unser Leben ändern. Nur wie? Das Zum -innern-Ort-kommen, wo etwas einbricht, das uns erlöst, liegt nicht in unserer Hand, und schon gar nicht im Kopf. Das ganze VII. Kapitel ist diesem Unplanbaren, Undenkbaren gewidmet. Und dem Totengespräch jenseits des Fassbaren. "Vergessen der Namen,/ ein Dunkel, ein Platz,/ wo sie waren." (Für Ion Caraion). Das Vertrauen freilich, daß das Unfassbare jeden Augenblick einbrechen kann, jene Berührung und phantastische Öffnung sich gerade dann einstellt, wenn wir am wenigsten darauf hoffen, wir völlig deprimiert, zerstört sind, gehört zum Abwesenheitsglauben, einer Art anarchischen Mystik des Negativen, wie sie in der Nachfolge Sabbatai Zwis und Jakob Franks auch in chassidischen Kreisen kultiviert wurde. Dieser mystische Nihilismus ist heute hochaktuell. Und zwar bis in die Sprach- konsequenzen hinein. ( "Löschte das Augenlicht, also/ die Landschaften und Städte aus, trog/ nicht mehr, Nein trank/ die Welt täglich aus./ Es gab keinen andern Weg mehr/ als Jahre: gingen hinüber,/ wo ein anderes schwereres Warten war/ das Weinen das Lachen und jeder Erfolg Ja/ die Frauen nur etwas Trauer// Als hätte ich alles überlebt./ Ein Anfang klopfte/ ganz ohne Tür bei mir an." Zeitpunkt.) Selbsterlösung (die ganze Zivilisationsgeschichte ist dafür ein Beispiel): - Ungeduld führt in tieferes Elend, es ist ein Ertrinken in der Zeit; in der Vergötzung des Fassbaren wird der Sündenfall täglich wiederholt. "Der/ Himmel, nein, er kennt kein Grab./ Und weiß und schneid ihn ab, damit er/ nicht vergeht. Was bleibt./ Ein weißes Blatt. Gewebe/ Muster. Der Tod spricht nicht." (Es gibt kein gestern.) Das "Nichts", wo alles, was fassbar ist, gar das "Glück" abwesend sein muß, ist ähnlich dem Todesgefühl, ("Sinne? Woher genommen, mundlos// gesagt, Worte durch die Trennwand/ gedacht; dort bist du dich los./ Und die alte Wunde tickt leise." (Blumen, dort nichts). Wo das EINE ist, sind wir nicht, weil "Es" dort ist, - und doch verwandelt es uns im Blitz einer Zusammenführung mehr als alles andere. "Ein Loch im Fundament öffnete den Einblick.../ Noch einsamer als der Herr ist Niemand." (Das versteinte Buch). "...durchstreicht/ das Nichts/ jeden Blick, der/ festgegraben war/ im Schein."    Im Poetischen ist es wie im Leben, die Untätigkeit, das Lernen der Langsamkeit ist ein höheres Gut: Die vergessne Pause der Sinne wahrzunehmen, um jenem Einbruch eine Chance zu geben: sich zurücktreten lassen bis hin ins Gedächtnis eines Grashalms, eines Vogelgesangs, der zerklüfteten Steine oder des Meeresgrundes, den wir voller Schrecken manchmal sehn, indem wir den Atem anhalten und fast ersticken beim Tauchen, und beim Sehen des Grundes, der Ungesehene in Gedanken, der mich freilich einmal verschlingen wird. So läßt das Ungesehene sich auch in den Wörtern finden, wenn man nicht gewaltsam eingreift. ("Du/ redest dir ein, daß du bist. Rede/ du schwerstes Nein." Hieronymus in der Zelle).   Der VERWESER ist die SPRACHE selbst als Agens der Zeit. Nur der Tod rast, und das fühlen wir: voran, wartet, der einzige Grenzwirklichkeit, die das beredte Sehn durchstößt in schmerzhafter Ahnung. Der Tod aber ist heute kein individuelles Ereignis mehr, sondern ein historisches, ein kollektives, Drohung des Untergangs und des Erinnerns an unvorstellbares Grauen. Nach Hegel wird eine Zeit kommen, wo der Tod ein menschliches Leben führen wird, sie ist da, diese Zeit. Doch heute, an diesem Punkt des Übergangs von Zeit, wo wichtiges über Äußerstes zu sagen wäre, steht in dieser Geldidylle Europa keine Sprache zur Verfügung und kein Bewußtsein davon. Wir haben alkle eine downer-Programmierung in uns, so ist es unmöglich, den neuen Weltzustand des Übergangs, den wir erleben und nicht wahrnehmen, mitzugestalten. Er ist von uns verlassen, wie wir von ihm. Denn "normale" und Alltagssprache im Mündlichen des Dialogs, gehört der Vergiftung an, macht blind, wie die zweiwertige Logik, wie die Alltags-Umgebung, Partner, Institutionen, Gesellschaften stehn heute dafür noch nicht zur Verfügung. Was um uns ist, verfügbar, sind Relikte des Gewesenen, und was wir ahnen, ist überdeckt vom Schleier des dauernd schon Vergangenen. "Verhangen Verhängnis/ Iris.// Atomschleier:/ rund rast wie Licht /Er selbst/ oh Auge/ kein Staunen." (Wirklichkeitswahn).   Das Totengespräch wäre das einzige literarische Mittel, Geschichte am Ende in solchem Grenzgang vorauszudenken, und die Vergangenheit, die unfertig und im Verbrechen stecken blieb, in diesem weißen Blitz der Imagination zu öffnen, ja, als wäre sie wieder verfügbar, und alles Versäumte noch zu erlösen. Denn das Ganze erst leuchtet wirklich heim.    Ja, mehr als das Leben, ist die Hoffnung, die sich probeweise so verwirklicht: zuweilen wie ein Fotonegativ - entwickelbar, als wäre dieses in dieser Unzeit ein Widerschein von Heimkehr. Das Gedicht lädt dazu ein, Wort für Wort heimzukehren, doch dazu müssen Worte im Schweigen gewaschen, das beredte Sehn durchstoßen werden.   "Rücksichtslos tun,/was dich treibt, -/gegen die Zeit/ Verlust, daß du lebst.//Ein Auf Atmen so,/ wie du dich hältst: /gehörst nicht dir,/ tu, was dich zur Berührung treibt,/ ist ewig." (Freie Zeilen).




Eine Rezension:
Wiederkehr des absoluten GedichtsDieter Schlesaks Lyrik-Band "Aufbäumen"
Worte, Worte -, Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug": Mit solchen pathetisch glühenden Sätzen formulierte einst Gottfried Benn das Evangelium seines"absoluten Gedichts". Seine monologische Dichtung der"Wallungswerte" und semantisch aufgeladenen Einzelworte ist seit den sechziger Jahren oft totgesagt worden. Man kritisierte die Geschichtsferne von Benns Konzept und seine metaphysische lüberhöhung des poetischen Prozesses.Die Texte, die nun der rumäniendeutsehe Autor Dieter Schlesak in seinem GedichtbandAufbäumenvorlegt, arbeiten unübersehbar an einer Rekonstruktion des "absoluten Gedichts". Zwar will Schlesak keineswegs die Bennsche Kunstmetaphysik revitalisieren. Im poetologischen Nachwort, das er seinem Band beigefügt hat, rekurriert Schlesak auf Paul Celans Dichtung der Sprachmaeieundauf Denkfieuren der iüdischenSprachmystik, der Kabbala. Aber in der poetischen Praxis führt dieses Konzept zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Benn.Denn auch Schlesak vertraut in seinen Gedichten auf die evokative Kraft des se mantisch aufgeladenen Einzelwortes, auf die magische Aura bedeutungsschwerer Substantive. So flattern in seinen Gedichten die "Gleichnistauben" auf, registriert das lyrische Subjekt den "Sphärenklang" des Seins. Ziel seiner lyrischen Exkurse ist die "weiße Gegend", jene Zone des Unvordenklichen und Unsagbaren, in der sich die Geheimnisse der Welt offenbaren. Die "weiße Gegend" setzt Schlesak synonym mit einem Zentralbegriff der Kabbala: dem unaussprechbaren "Nichts", das den Urgrund des Seins bildet. Über die mannigfachen Analogien zwischen der Bilderwelt der Gedichte und den Symbolen und Motiven der Kabbala wird man im Nachwort eingehend unterrichtet.Aufbäumen,der Titel des Gedichtbands, verweist nicht nur auf den biblischen "Baum der Erkenntnis" und den "Sprachbaum" der Kabbala, sondern zitiert auch Bilder der revolutionären Auflehnung und der Katastrophe: )etwadas vonCelan überlieferte Bild der verbrannten-'-I'o-ten,-der-si-ch- a-ufb-äur-ende-n Leiber im Feuer. Im Nachwort signalisiert Schlesak auch den hohen Erkenntnisanspruch seiner Gedichte. Der Lyrik, heißt es da, falle die Aufgabe zu, in"Worthöfen" und "an Sinn- und Sprachrändern das Nichtsagbare anzugehen" und "sich den offenen Augenblick, dem Unvorhergesagten zu überlassen". Das sprachmystisch inspirierte Gedicht ist für den Lyriker Schlesak der letzte Ort, an dem man sich den von einer funktionalistischen Welt verursachten Tennungen und Spaltungen widersetzen und zur Erfahrung des Ursprungs und des Welt-Zu-sammenhangs gelangen kann.  Es geht aber in diesen Gedichten nicht nur um mystische Erfahrung, sondern auch um historische Erinnerung. Neben die des Eingedenken der jüdischen Leidensgeschichte tritt bei Schlesak die poetische Erinnerung an die verlorene Heimat. 1969 hat der Autor Siebenbürgen, das Land seiner Herkunft, verlassen, ohne seither je wieder an einem Ort heimisch werden zu können. Dieser schmerzhafte biographische Bruch hat sich in seine Gedichte eingeschrieben, erscheint dort in hermetischer Chiffrierung. Denn fast alle sinnlichen Wahrnehmungen, persönlichen Beobachtungen und Erinnerungen werden in diesen Gedichten in eine dunkle Metaphorik transformiert. Schlesaks sprachsystematische Poetik realisiert sich in Texten, die sich um große existenzielle Schlüsselwörter gruppieren: Nichts, Sein, Zeit, Ewigkeit, Gott, Tod und Grenze bilden die elementaren Vokabeln dieser Poeme. So entstehen fast durchweg hermetische Gebilde:  "Hebräischer Block/ kommt näher. Fels nach dem / Ende. Kein / Fließen mehr.Nach / dem Fall / Jahrtausendespät / versteinert das Hirn // Erschüttert, / aus dem Mund, / kein Gott, Gebrochenes Hier."Schlesak sucht das ästhetische Risiko: Das Gedicht wird von ihm zum transzendenten Schöpfungsakt erhöht, der alle profanen Erkenntnisprozesse weit über steigt. Auch hier entsteht also ein "absolutes Gedicht", das die der Sprache immanente Magie entfalten und mystische Epiphanien vermitteln will.Diesen selbsterteilten Auftrag kann Schlesaks Gedicht nicht immer erfüllen. Auf der Suche nach kosmischen Urworten verfallen seine Gedichte zuweilen in ein sakrales Raunen, das suggestive Erlösungsformeln herbeizitiert. Die "radikale Umkehr aller Vorstellungen und Worte" bleibt hier eine poetische Utopie. Aber es finden sich inAufbäumenauch Texte, die in ihrer Genauigkeitsemphase an die   Dichtung Celans heranreichen. "Das absolute Gedicht", formulierte Celan 1959, "nein das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" Aber, so Celan weiter, es gibt den "unerhörten Anspruch" des Lyrikers, der "mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend". Dieter Schlesak hält an dem "unerhörten Anspruch" des Gedichts fest.Und das ist schon viel. MICHAEL BRAUN
(Frankfurter Rundschau) 


STIMMEN DER KRITIK
dem Text "durch zu arbeiten". Wenn die Sprache so von der Oberfläche in die Tiefe geht, wie es eben nur in der Poesie, deinen Gedichten, weg von der Oberfläche geht. Dann kommt das wirkliche Erschrecken über den Schmerz der Trennung, die nur in der Liebe in all ihren Facetten, in der Meditation und dann wahrscheinlich im Tod überwunden werden kann. Deshalb übe ich beides. Dieser ziehende Schmerz, den wir spüren das ganze Leben lang. Wie wir, ob wir wollen oder uns dagegen wehren, auch am täglichen Raubbau beteiligt sind. Ist das die "Erbsünde"?
Das ist mir mit diesem Text wie noch nie klar geworden. Und insofern bist du mein Lehrer. Und ich danke dir dafür. Elisabeth Krause, BerlinEINGESTELLT VON DIETER SCHLESAKUM 00:20 DIESEN POST PER E-MAIL VERSENDENBLOGTHIS!IN TWITTER FREIGEBENIN FACEBOOK FREIGEBEN

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