Dieser Niedergang spottet jeder Beschreibung

Dieser Niedergang spottet jeder Beschreibung In etwa neunmal habe ich angesetzt. Wollte was zum endlosen, nie abbrechenden Niedergang der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands schreiben. Speziell über den Finanzminister, der den Vorsitzenden und Vizekanzler bedauerte und ihm sein Mitgefühl aussprach, weil er mit dem Vertrauen von lediglich einem Dreiviertel der Delegiertenstimmen ins neue Jahr gehen muss. Da dachte ich mir, wenn man den Zerfall dieser Partei an einer Anekdote festmachen, an einem Ereignis deutlich machen will, dann wohl daran. So nichtig ist sie mittlerweile geworden, so beliebig ihr Vorsitzender, dass sie selbst ihr angeblich größter politischer Kontrahent bemitleidet. Immer wieder probierte ich einen Anfang, war unzufrieden, stellte Sätze um und hatte dann endlich etwas, womit ich leben konnte, doch da kam mir das Sujet des geplanten Textes oder besser gesagt, das Personal des Sujets, mit neuem Futter in die Quere.

Just da meldete sich der stellvertretende Bundesvorsitzende zu Wort. Mit den Mehr-Bretto-vom Nutto-Liberalen, den postwesterwellianischen Neoliberalen würde er eher koalieren wollen als mit »Die Linke«, geiferte er. Mit denen also, die die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als einen Frontalangriff gegen unternehmerische Freiheit auffassen, die Steuersenkungen für alleinstehende Arme ab einem Jahresgehalt von 100.000 Euro und deren liberaler Geist laxe Regeln auf dem Arbeitsmarkt fordert, aber Überwachung und Polizeistaatlichkeit durchaus für gut bekömmlich hält. Das sagte er übrigens nur einen Tag, nachdem laut einer Emnid-Umfrage bekannt wurde, dass das Soziale bei den Sozialdemokraten vermisst wird. 49 Prozent der Befragten lehnten es ab, »mehr soziale Gerechtigkeit« und »SPD« in einem Satz zu schmeißen. Nur 32 Prozent hatten mit dieser Verquickung kein Problem. 2014 waren es noch 46 Prozent, die beides nicht zusammenbringen wollten. Sollte ich nicht lieber damit beginnen, fragte ich mich. Was ich dann auch tat, neuerlicher Anlauf und kaum, dass ich halbwegs zufrieden war, wankte der Text schon wieder.
Jetzt war es der Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion, der natürlich auch etwas gesagt haben wollte zum neuen Jahr. Er beklagte sich bitter, dass die Bundeskanzlerin eine Sozialdemokratisierung ihrer Partei betreibe und damit dem aktuellen Koalitionspartner schade. Wenn der Mann das Gefühl hat, dass ihn da jemand links überholt, wo es kaum linke Attribute gibt, dann könnte er sich ja fragen, ob er vielleicht rechts auf dem Standstreifen steht. Wenn diese konservative Frau, deren Leitmotiv immer vornehmlich der Sozialabbau und die »Geltendmachung Deutschlands in der Welt« war, plötzlich von einem Sozialdemokraten als Sozialdemokratin entlarvt wird, dann muss es wirklich schlimm bestellt sein um jene Partei. Vielleicht sollte ich damit loslegen, besann ich mich. Womöglich wäre das der passendere Einstieg, um die Belanglosigkeit der Sozialdemokratie in unseren Tagen zu beziffern.
Ich begann abermals neu, hielt aber gleich wieder ein. Weil ich befürchtete, dass gleich wieder einer aus dem Verein neuerliches Material liefern würde. Und da wurde es mir schlagartig klar: Über den Niedergang dieser Partei lohnt es sich eigentlich gar nicht mehr zu schreiben, man kann ihn Tag für Tag für Tag selbst sehen. Ein Blick in die Zeitungen genügt. Wozu muss der Chronist und Kommentator wirken, wenn das was man beschreiben will, ganz von selbst auf einen wirkt? Er sollte doch Dinge aufdecken, ja kenntlich machen – aber wenn sich der Gegenstand selbst entblößt, was will man da noch Erhellendes nachschieben? Man lässt die Geschichten rund um die Agonie auf sich einprasseln und wirken und muss eigentlich nichts mehr sagen. Die Anekdoten, die uns der politische Alltag liefert, die sprechen doch wahrhaft für sich alleine. Publizistische Demontage kann man sich getrost sparen, wenn sie täglich aus dem Zentrum dessen zu vernehmen ist, was man eigentlich zu demontieren sich vorgenommen hatte. Hier bin ich überflüssig, muss nichts mehr ausleuchten und aussprechen. Die Sozialdemokraten zeigen Eigeninitiative genug, sich selbst zu entsorgen, so sehr, dass es jeder Beschreibung spottet.

Franz Walter schrieb hin und wieder kluge Gedanken zur neuen Sozialdemokratie nieder; genug andere namhafte und weniger bekannte Kommentatoren in Zeitungen und Blogs bestellten und bestellen noch immer dasselbe Feld. Sie fahren die soziologische Schiene, erklären die Entwicklungen der Partei mit gesellschaftlichen Dynamiken und Prozessen. Warum ist der Sozi so, wie er nun ist? Woher kommen seine Reflexe und die Abkehr von seinen alten Werten? Dies alles sind interessante Fragen und die Antworten sind lehrreich. Eine solche Herangehensweise ist wohl auch notwendig, um begreifen zu können. Aber es ist so viel analysiert wurden, mittlerweile reicht es beileibe auch aus, aus dem endlosen Schatz der Anekdoten zu schöpfen, die diese SPD Woche für Woche, Tag für Tag erzeugt, um ihren eigenen Niedergang mit Bilderreichtum und Erzählstoff auszustatten. Daher werde ich keinen Text mehr über diese demontierte Partei schreiben. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie im Niedergang begriffen ist. Wir wissen, dass es bergab geht – und wie es bergab geht, das wiederholt sich in dem Tagesmeldungen beinahe täglich.
Kaum habe ich diese Zeilen beendet, lese ich, dass der Bundesvorsitzende schnelle Ausweisung und Rückführung krimineller Flüchtlinge gefordert hat. Die juristische Praxis ist gar nicht mal so einfach, wie er es hinstellt. Sollte das Land, in der Menschen rückgeführt werden, sich mit der Aufnahme weigern, so sagt der Parteiboss, so würde er eine Reduzierung der Entwicklungshilfe befürworten. Ach ja, jeden Tag ein neues Kaliber, das jeder Beschreibung spottet.

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